Die Flamme des Zorns schlägt hoch

Im Iran haben die konservativen Kleriker ihre Macht gefestigt. Mit religiösem Eifer und handfesten Schlägertrupps setzen sie ihre Form der islamischen Revolution in die Tat um  ■ Von Ahmad Taheri

Die Pessimisten haben Recht behalten. Sieger der iranischen Parlamentswahlen ist die konservative Richtung der klerikalen Herrschaft. Dies zeigte die Wahl des Parlamentspräsidenten vor wenigen Tagen. Von 241 Abgeordneten, deren Mandate vom Plenum bestätigt worden waren, votierten 132 für den Hodschatolislam Ali Akbar Nateq Nuri, den Anführer des konservativen Lagers. Sein Namensvetter Abdullah Nuri, Kandidat der Technokraten und Gemäßigten, kam auf 95 Stimmen.

Die Gewinner der Wahlen werden im politischen Jargon des Landes „traditionalistische Rechte“ genannt. Sie treten für eine buchstäbliche Auslegung der Scharia, des islamischen Rechts, ein und lehnen jede Erneuerung der Fiqh, der islamischen Jurisprudenz, als Häresie ab. Menschenrechte und individuelle Freiheiten sind für sie leere Worte, mit denen der Westen den islamischen Glauben aushöhlen will. Die Freiheit des Marktes und des Handels hat allerdings ihren Segen. Auch der Prophet sei ein Kaufmann gewesen, bevor er zum Gesandten Allahs berufen wurde; eine Ansicht, die ihnen die Unterstützung des Basars sichert.

In der vergangenen Legislaturperiode gelang es den Konservativen, ihre Macht auszubauen. Sie beherrschen den Wächterrat, ein Gremium aus neun Rechtsgelehrten, das als eine Art Verfassungsgericht der Islamischen Republik fungiert. Die Männer der Rechten führen die Wirtschaftsimperien des schiitischen Gottesstaates, wie etwa den „Fonds der Märtyrer“ oder die „Stiftung der Mostazafin“. Sie verfügen über mehrere Zeitungen und kontrollieren Radion und Fernsehen.

Der parlamentarische Führer der Rechten, Nateq Nuri, ist zur Zeit weit mächtiger als der Staatschef, Ali Akbar Rafsandschani. Der 56jährige Geistliche ist ein Mann mit feiner Nase für die politischen Witterungen. Vor vier Jahren, als er zum ersten Mal den Parlamentsvorsitz übernahm, galt er als Parteigänger Rafsandschanis. Doch bald merkte er, daß der Stern des Staatschefs im Sinken war, und wechselte die Fronten. Seitdem wütet er gegen den „US-Teufel“, den „Weltzionismus“, den „verräterischen Versöhnler Arafat“ oder den „Vortrupp der westlichen Kulturinvasion“, die Intellektuellen.

Das Primat der Gesinnung über die politische und wirtschaftliche Fachkompetenz ist das Credo der Zukunft. „Die Illusion des wirtschaftlichen Aufbaus“, sagte das geistliche Oberhaupt Irans und Mentor der Rechten, Ajatollah Said Ali Chamenei, bei der Eröffnung des neuen Parlaments, „birgt in sich die Gefahr, daß wir uns von den fundamentalen Werten des Islam entfernen und in die Falle der Abhängigkeit geraten“. Die vornehmste Aufgabe der Volksvertreter sei der unerbittliche Kampf gegen den westlichen Liberalismus. Der Revolutionsführer verkündete die Islamisierung der Universitäten, die ein „Hort des liberalen Ungeists“ seien. Im islamistischen Jargon ist Liberalismus ein Synonym für Verwestlichung, Säkularismus und Subversion.

Wie der Kampf gegen die Liberalen geführt werden soll, haben die Hisbollahi, die Gottesparteiler, wie die Schlägertruppe des konservativen Blocks sich nennt, bereits vor Wochen vorexerziert. Mit Schlagstöcken und Stahlketten bewaffnet, ziehen sie in Scharen durch die iranischen Städte auf der Jagd nach den liberalen Feinden. Die Hisbollahi rekrutieren sich aus arbeitslosen Jugendlichen aus dem Süden Teherans, die voller Haß sind auf die reichen und gebildeten Schichten. Ihre Anführer sind meist Kriegsveteranen, die sich von der Regierung Rafsandschani verraten und betrogen fühlen. „Es gibt fast keinen bei uns“, erklärte einer der Anführer, „der keine Prothese am Leibe trägt. Echt ist bei uns allen nur der Glaube. Die Flamme des Zorns in unseren Herzen wird Monat um Monat höher schlagen.“

Die Flamme des Zorns richtete sich als erstes gegen die Frauen. Im Mai stürmten etwa 100 Hisbollahis in den Dschidgar-Park inmitten Teherans und schnitten einige junge Frauen, die angeblich die islamische Bekleidung nicht geachtet hätten, mit Rasiermessern ins Gesicht. Auch junge Männer in modischer westlicher Kluft wurden zusammengeschlagen. Wenige Tage später drangen die „Gottesparteiler“ in Kinos in Teheran ein, verprügelten die Zuschauer und zerstörten die Einrichtung.

Selbst vor den staatlichen Einrichtungen machen die Hisbollahi nicht Halt. Kürzlich besetzten sie die staatliche iranische Nachrichtenagentur und drohten den Redakteuren, sie vom Dach des Gebäudes zu werfen. Die Agentur hätte, so der Vorwurf, positiv über die Antiterrorkonferenz im ägyptischen Scharm al-Scheich berichtet.

Heftiges Aufsehen erregte vor allem der Sturm auf die Universität Amir Kabir, das Teheraner Polytechnikum. Hisbollahis drangen in das Universitätsgebäude ein, um einen Vortrag des bekannten Theologen und Philosophen Abdolkarim Sorusch zu verhindern. Es kam zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen den Gottesparteilern und dem muslimischen Studentenverein, der Sorusch eingeladen hatte. „Weg mit den Faschisten“, riefen die einen, „Tod den Liberalen“, die anderen. Der Rektor sah sich gezwungen, die Veranstaltung abzusagen.

Während die rechten Ajatollahs die Hisbollah als „Arm der Führung“ oder „berechtigter Zorn des muslimischen Volkes“ verteidigen, hüllt sich Rafsandschani in Schweigen. Einst als Hoffnungsträger der Republik gefeiert, erwies er sich in den letzten Jahren als ein Politiker des permanenten Lavierens. Inzwischen greifen die Zeitungen seine nächsten Angehörigen an, was nach iranischer Gepflogenheit den Anfang vom Ende eines Politikers bedeutet. Nach einer Verfassungsänderung, die die Präsidentschaft auf acht Jahre begrenzt, hat der 62jährige Mullah keine Chance mehr, noch einmal zu kandidieren. Der nächste Staatspräsident, der in zehn Monaten gewählt wird, heißt mit großer Wahrscheinlichkeit Ali Akbar Nateq Nuri, der amtierende Parlamentsvorsitzende.