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■ Nach dem Scheitern des „Bündnisses für Arbeit“ – vor der Bonner Großdemonstration: der DGB am ScheidewegZwischen Öffnung und Regression

Einen „heißen Sommer“, die „machtvollste Aktion der Nachkriegszeit“, „Generalstreik nicht ausgeschlossen“, „Frankreich nur als müder Abklatsch“ – das verspricht uns hochtönend der DGB- Vorsitzende Dieter Schulte vor der gewerkschaftlichen Demonstration in Bonn. Was bringt einen Gemäßigten dermaßen in Rage? Machen die Gewerkschaften jetzt Ernst?

Die Aktion ist eine Antwort auf das Scheitern des „Bündnisses für Arbeit“. Die IG Metall hatte es vergangenes Jahr als furiose Innovation unterbreitet und bei seiner Realisierung auf die alten „partnerschaftlichen“ Regeln gesetzt. Für alle drei Hauptbeteiligten wurde der Vorschlag zum Kristallisationspunkt.

Die Idee war gut und brachte etwas in Bewegung. Aber unausgegoren und angreifbar blieb sie schon bei ihren Urhebern zwischen Trick und neuer Politik stecken. Von der Arbeitszeitverkürzung zur Umwandlung von Überstunden in Freizeit zur sozialen Kürzung bei den Schwächsten gaben die Gewerkschafter zudem ihre eigenen Bedingungen auf, bis sie am Ende unversehens komplett über den Tisch gezogen werden sollten. Mißtrauische und passive Freunde in den eigenen Reihen und untätige Oppositionsparteien ließen die Initiative mit auf Sand laufen.

Den Arbeitgebern mißfiel die Sache von Anfang an. Sie paßt nicht in ihre Strategie „schöpferische Zerstörung“. Nicht neue Bindung, sondern Entbindung von allen gesellschaftlichen Verpflichtungen ist ihr Ziel. Arbeitsplatz gegen Knechtschaft, so lautet ihre Devise. Sie wollen keinen Konsens – im Gegenteil. Der Konflikt kommt ihnen gerade recht, denn sie sind die Stärkeren.

Auch der Regierung paßte kein „Bündnis für Arbeit“. Doch selbst in der CDU steckt noch das alte sozialstaatliche Modell, und Kohls Stärke lag zuletzt gerade in seiner korporatistischen Kraft gegenüber den Gewerkschaften nach deren Entfremdung von der SPD und der Krise ihrer Linken. Der Kanzler ließ die Gewerkschafter hoffen – bis zur Stunde der Wahrheit. Dann setzte die Regierung den Messerschnitt an.

Gerade weil man zuvor grundsätzlich so weit nicht auseinanderlag, überraschte dieser Affront die Gewerkschafter. Zwei Dinge trafen sie ins Mark. Eingemachtes von höchstem Symbolgehalt, die Lohnfortzahlung, sollte geopfert werden, und Regierung wie Sozialpartner lehnten ihr Angebot zum Kompromiß ab. Die treuen Konsensverfechter wurden des Hauses verwiesen. Dieser Vorgang ist ein Wendepunkt, der über den Tag hinausreicht. Die Karten für ein neues Spiel liegen nun auf dem Tisch, und jeder ist gezwungen zu zeigen, was er hat.

Einen Weg zurück in die Kanzlerrunde gibt es definitiv nicht mehr, auch wenn die Metaller noch immer von ausgestreckter Hand und dem Bündnis vor Ort reden. So logisch und unerläßlich der Ausstieg der Gewerkschaften aus der Kanzlerrunde war, so sehr offenbaren die gewerkschaftlichen Reaktionen, daß mit ihm einstweilen eine eher regressive Eigendynamik droht. Die begonnenen gewerkschaftlichen „Kampfaktionen gegen den Klassenkampf von oben“ zeigen sich als eine Art nachträglicher Abschreckungspolitik. So wird ihnen nicht allzuviel Erfolg beschieden sein. Ihre Defensive haben die sich im Sinken Aufbäumenden ja gerade öffentlich dokumentiert.

Wer das Fehlen „sozialer Ausgewogenheit“ im „Sparen“, das heißt im laufenden Zerstörungsprozeß beklagt, wer plötzlich „Kapitalismus pur“ ruft, nachdem er selbst zur Operation schon bereit war, nur nicht ohne Betäubung, wer die „große soziale Bewegung“ beschwört, die er bislang vermied, offenbart, daß er keine Alternative anzubieten hat. Das Ansinnen, das Sparprogramm zu mildern, die „Grundlagen dieser Republik nicht umkrempeln“ zu lassen und auch künftig beim „Miteinander“ zu bleiben, ist nostalgisch. Es hängt der Illusion an, die alten Zeiten wiederherstellen zu können. Doch sie sind mitsamt ihren Spielregeln vorbei.

„Widerstand“ wird nur dann nicht zu bloßem Wutablaß mit anschließend vertiefter Resignation, wenn gewerkschaftliche Reform und ein Bündnis für Arbeit jetzt ernst genommen werden. Selbsterhaltung gibt es nur durch Wandel. Ohne ihn wird auch in betrieblichen „Vereinbarungen“ nur das Sankt-Florians-Prinzip bedient. Der Protest wird ohnmächtig bleiben, wenn keine Öffnung zur Gesellschaft erfolgt. Inhalt und Ort für ein Bündnis müssen nicht hintergangen, sondern überschritten werden. Nicht Lautstärke und Betriebsamkeit hilft, sondern Kräftesammeln.

Ein neuer gesellschaftlicher Arbeitsvertag und eine grundlegend neue Konstruktion des Sozialstaates sind überfällig. Sie setzen voraus, daß die Gewerkschaften sich eine neue eigene Basis dafür erarbeiten. Dazu müssen sie nach dem ersten, vorsichtigen Versuch ihre hausgemachten Tabus weiter und deutlicher brechen, auch damit eine gesellschaftliche Verpflichtung der Wirtschaft oder anderes Wirtschaften neu durchsetzbar wird. Dies ist nicht mit Selbstaufgabe zu verwechseln. Es geht um die Leichen im eigenen Keller, auf denen sich schlecht Solidarität bauen läßt: die Geschlechterhierarchie, die Ausbeutung der Natur oder des Südens etwa.

Zur Gerechtigkeit gehört die Güterneuverteilung von oben nach unten, Reichen zu Armen, Arbeitsplatzbesitzern zu Erwerbslosen, Männern zu Frauen, von der industriellen zur sozialen und ökologischen Arbeit etc. Sie erfordert eine andere Warenwelt, andere Lebensqualität und nachhaltiges Wachstum. Sie erfordert von A bis Z neue gesellschaftliche Regeln, auch für Tarifverträge und den Sozialstaat. Mit Ladenschlußdogmatismus sind keine der Zeit gemäße abgesicherte Frei- und Arbeitszeiten zu schaffen. Wo alle ein garantiertes Minimum an Eigentumsrechten haben, um sich auf dem Markt zu bewegen, sind Selbstbestimmung und Verantwortung zwingend. Wenn Demokratie auch in der Arbeitsverteilung gilt, gibt es Produktivität, Gesellschaftlichkeit und Sinnerfahrung für alle.

Es gibt viele hochinteressante Vorschläge für Auswege aus der Erwerbslosigkeit. Sie wären zu markanten tragfähigen Konzepten zu bündeln und jenseits traditioneller Klassenfronten in kreativer Praxis vorwegzunehmen. Gewerkschafter finden viele Bündnispartner, wenn auch kein „einheitliches Subjekt“, der Rest wird sich zeigen. Kirchen, Sozialverbände, Grüne, Frauen, Eppelmann und andere sind schon da. Mechtild Jansen

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