■ Amerikanische Aussicht
: Noguchis Museum – Oase in Queens

Die spitze Ecke des hellen Gebäudes ist nach oben geöffnet, und ein Baum grüßt hinüber. So sieht man das Noguchi Garden Museum, wenn man den Vernon Boulevard herunterkommt. Es ist eine Gegend, wo man Parkplätze findet – Industrie und Gewerbe in Queens, hundert Steinwürfe von Manhattan.

Sobald man eintritt ist klar, daß dieses Museum ein Gegenentwurf ist, zu was auch immer. Sofort nimmt es einen hinein in das Ambiente der Arbeit des Bildhauers Isamu Noguchi, der hier sein amerikanisches Atelier hatte. Er wurde 1904 in Los Angeles geboren und starb 1988 in New York. Seiner Arbeit ist anzusehen, daß er mit der Moderne erwachsen wurde – und daß es einen rituellen Aspekt gibt, der mit der „ungebundenen Form“ versöhnt werden sollte. Würde man unter der falschen Prämisse in das Museum geführt, es zeige nicht das Werk eines Künstlers, sondern die Schätze eines Sammlers, bräuchte man sehr lange, um zu begreifen.

Es gibt Skulpturen, die wie zersetzte Knochen auf Stützen lagern und wie zu Hünengräbern aneinandergelegte eirunde Steine. „The Roar“ (1966) sieht aus wie ein gigantischer zerklüfteter Backenzahn, der von einem Riesen sanft auf hölzernen Trägern abgestellt worden ist; „Origin“, zwei Jahre später aus schwarzem afrikanischem Granit gehauen, zeigt an einem helmartigen Gebilde den Übergang von rauher Kruste zu makellosem, spiegelndem Glanz – der unzerstörbare Panzer einer bizarren Amphibie, die sich, in den Betonboden geduckt, totstellt.

Man betritt das Museum über den Neubau, dessen hochgezogenes Erdgeschoß eine Hofbebauung ist, eine Frischluftgarage, in der einige der späteren Arbeiten Noguchis zu sehen sind, gewaltige Steine. Das Obergeschoß ist gewöhnlicher museal, mit einer Dachkonstruktion, die indirektes Licht in die weißen Räume schaufelt. Der Altbau schließt sich direkt an. Er ist ein ebenfalls zweistöckiger Backsteinkomplex, in dem früher eine grafische Druckerei arbeitete und den Noguchi 1975 kaufte.

Noguchi: Origin, Granit Foto: Katalog

Im Altbau sind einige Beispiele seiner frühen Arbeiten zu sehen, die nicht zufällig Ähnlichkeiten mit den schlicht-enigmatischen Formen Brancusis haben: Noguchi war Ende der zwanziger Jahre in Paris und für einige Monate Brancusis Assistent gewesen. Es gibt aber auch Modelle und Fotografien seiner Bühnenbilder für das Tanztheater von Martha Graham zu sehen sowie Modelle seiner Spielplatz-Environments für diverse Orte in New York – keiner von diesen wurde je realisiert.

In Paris hatte Noguchi auch Alexander Calder kennengelernt. Die nieren- und palettenförmigen Elemente von dessen Mobiles sind ähnlich den flachgeschliffenen Steinen, die Isamu Noguchi zu atemberaubenden stehenden und liegenden Skulpturen verschränkte, gewissermaßen ein Sieg über das Auseinanderfallen mit Hilfe der Schwerkraft. Noguchi hätte sich mit dem Erfolg der New Yorker Abstrakten einen Namen machen können; statt dessen zog er Anfang der Fünfziger nach Japan, wo er nicht weit von Kyoto als Bildhauer, der eine verschüttete Tradition beerben wollte, von vorn begann. Dies war einer von mehreren Versuchen, seiner gespaltenen Herkunft einen Sinn abzuringen. Noguchis Vater hatte sich inzwischen als japanischer Dichter und Patriot einen Namen gemacht – zeitweise verleugnete er seinen amerikanischen Sohn. Mit seiner Mutter, Leonie Gilmour, lebte Isamu als Kind in Japan und wurde als Jugendlicher auf ein Internat im Mittleren Westen der USA geschickt, wo er Sam Gilmour hieß. Mit dem Namen des Vaters wählte er später eine schmerzhafte doppelte Identität, die er in seinem Werk zu versöhnen versuchte. Je näher er sich der Lösung sah, desto stärker wurde sein Wille, jenseits von Skulptur Zugriff auf Höfe, Parks und Landschaften zu haben. Sein utopisches Vermögen ging soweit, daß er sich während des Zweiten Weltkriegs in Arizona (freiwillig) mit japanischen Einwanderern internieren ließ, um das Lager in eine Kunstlandschaft zu verwandeln, was sich trotz massiver Protektion als unmöglich erwies. Sein erstes großes Environment wurde dann – konsequent – auf dem Gelände der Unesco in Paris verwirklicht.

Als er sich um 1960 in New York wieder fest installiert hatte, folgten wichtige Kommissionen; seine abgesenkten Terrassen- und Atriumsgärten sind eine melancholische Kunst am Bau inmitten der optimistischen Nachkriegsarchitektur Amerikas. Vor allem aber wurde Isamu Noguchi bewußt, daß er eine Form finden mußte, in der sich Kunst und Leben, Skulptur und Ritual darstellen lassen würden: eine interkulturelle Oase, in der die Gesetze der Zuschreibung, der Trends und -ismen nicht gelten würden. Wenn man sich im stillen Steingarten des Noguchi Garden Museums niederläßt, ergreift einen die Ahnung, daß die Verwirklichung dort möglich wurde, wo das Atelier im Museum zum Stillstand kommt. Der Rückzug des Künstlers aus der Oase ist die Vollendung des Werks.

Wer Isamu Noguchi nicht zu kennen glaubt, wird sich im letzten Raum des alten Ateliers plötzlich erinnern: Dort stehen mehr als drei Dutzend der berühmten Papierlampen („Akari“). Noguchi war der Meister, der die japanische Laterne für die Verwendung der Glühbirne in vielen Varianten neu erfand, als hängende „unendliche Säule“, stehender Mond und in unwahrscheinlicheren Formen. Das Papier wird aus der inneren Borke des Maulbeerbaums gewonnen, und die Lampen werden immer noch in Japan hergestellt. Sie kosten, je nach Modell, zwischen hundert und achthundert Mark und können an der Kasse erworben werden: Kein Museumsshop im weiten Amerika hat irgend etwas Vergleichbares zu bieten. Ulf Erdmann Ziegler

The Isamu Noguchi Garden Museum. 32-37 Vernon Boulevard, Long Island City, New York 11106 (April bis Oktober). Shuttle-Bus von Manhattan Sa./So. Telefon: (001) 718 204-7088. Lampen bei: Akari Associates, Telefon: (001) 718 721-2308, Fax 718 278-2348