Ein „Kalter Krieger“ wird geehrt

Späte akademische Anerkennung für den DDR-Forscher Karl Wilhelm Fricke. Früher bei den FU-Politologen verpönt, wird er heute mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet  ■ Von Martin Jander

Am Anfang seiner wissenschaftlichen Arbeit stand die eigene Entführung: Mit der Ehrendoktorwürde für den ehemaligen Studenten des Otto-Suhr-Instituts werden Leistungen anerkannt, auf denen politikwissenschaftliche DDR-Forschung heute aufbaut.

Während seines Studiums an der Freien Universität ab 1950 mußte er sich mit Erfahrungen auseinandersetzen, die Studenten des OSI und die Öffentlichkeit der Bundesrepublik erst wieder seit der Wende beschäftigen. Sein Vater, während des Nationalsozialismus Volksschullehrer und Mitarbeiter der NS-Lokalzeitung, war 1946 von den sowjetischen Militärbehörden unter dem Vorwurf der „NS-Propagandatätigkeit“ im sowjetischen Speziallager Buchenwald interniert worden. 1950 wurde er von den DDR-Behörden in den „Waldheimer Prozessen“ zu zwölf Jahren Haft verurteilt. 1952 starb er im Gefängnis.

Karl Wilhelm Fricke selbst war am 22. Februar 1949 einer bereits vollzogenen Verhaftung in seiner Heimatstadt Hoym durch Flucht nach Westberlin entkommen. Er hatte sich über kommunistische Lehrer lustig gemacht.

Vor allem die Publikation dieses Unrechtsprozesses in Waldheim im damaligen Westberlin, die Analyse der Mechanismen der Entnazifizierung in Verbindung mit der Herrschaftssicherung in der DDR machten Karl Wilhelm Fricke früh zu einem gefürchteten Mann in Ostberlin. Kurzerhand entführte ihn das Ministerium für Staatssicherheit am 1. April 1955 und verurteilte den Journalisten unter dem Vorwurf der „Spionage“ in einem Geheimprozeß zu vier Jahren Bautzen. Erst Ende März 1959 wurde er nach Westberlin entlassen.

Die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Entführung, der Haft und dem Tod seines Vaters, die wissenschaftliche Analyse von Entstehungsgeschichte wie Struktur der DDR und das Engagement für die Opfer und die Widersacher des SED-Regimes wurden nur erst recht zum Lebensprogramm Frickes. Er nahm seine journalistische Arbeit wieder auf, 1974 wurde er Redaktionsleiter beim Deutschlandfunk in Köln.

Von nun an aber mußte er um die Anerkennung seiner Analysen in der BRD streiten. So beispielsweise sahen die politologischen DDR-Forscher in Westberlin am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der FU die DDR in den siebziger und achtziger Jahren als weitgehend gewöhnlichen Industriestaat an, der nur noch durch eine „vormoderne“ Herrschaftsstruktur geprägt sei. Sie bekämpften die Totalitarismustheorie der fünfziger Jahre wegen ihrer normativen Orientierung an der parlamentarischen Demokratie. Vertreter der Totalitarismustheorie – wie Hannah Arendt – beurteilte man zwar als moralisch integere Persönlichkeiten, ihre Analysen aber galten als untauglich. Diese DDR-Forscher wähnten – ganz ähnlich wie Entspannungspolitiker – den „Sozialismus in einem halben Land“ unter ökonomischen Modernisierungszwang und deshalb nicht selten schon auf dem Weg zur Demokratie.

Fricke dagegen orientierte sich in seinen Beiträgen an der noch in den fünfziger Jahren im OSI gelehrten Totalismustheorie. Er sprach weiter von einer Diktatur. Er recherchierte ohne Zugang zu den Archiven des Ministeriums für Staatssicherheit und der SED Themen, die heute die Forschung wieder bestimmen, damals jedoch kaum bearbeitet wurden.

So unter anderem veröffentlichte er das erste Buch über das Ministerium für Staatssicherheit. Außerdem schrieb er über den 17. Juni 1953 und über die Situation von politischen Gefangenen in der DDR. Von ihm stammt auch die bis heute einzige Gesamtdarstellung zu Opposition und Widerstand.

Seine Publikationen wurden in den siebziger und achtziger Jahren als Relikte des Kalten Krieges angesehen, weil ihr Autor darauf aufmerksam machte, daß die Entspannungspolitik zwar zu menschlichen Erleichterungen führte, aber nicht zu einer Zurückdrängung des Macht- und Herrschaftsmonopols der SED. Die umfassende Kontrolle und Bespitzelung der DDR-Bevölkerung hielt Fricke für ein untrügliches Zeichen der Nichtreformierbarkeit des DDR-Staates. Diese Unfähigkeit, Konflikte zivilisiert auszutragen, beschrieb er als Kern ihrer Krisenanfälligkeit und letztlich ihres möglichen Zusammenbruchs.

So ist es verständlich, daß Frickes Analysen nach dem Ende der DDR die Anerkennung in der akademischen Zunft erfahren, die ihnen von Kennern der Materie schon immer zugeschrieben wurde.

Unlängst fand Fricke ein solches Dokument der Wertschätzung in der Gauck-Behörde, ein Personendossier der Stasi. Frickes Arbeiten – heißt es dort – lassen „auf Sachkenntnis und genaues Studium aller Veröffentlichungen aus und über die DDR schließen, keine wüsten Ausfälle, sondern hintergründig, auf analytische Arbeit schließende ideologische Einmischung ...“

Die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Karl Wilhelm Fricke findet heute um 15 Uhr im Hörsaal A des Otto-Suhr-Instituts, Ihnestraße 21, statt.