Zwischen den Rillen
: Dandy, Playboy, Mäusespeck

■ Die antirockistische Subversion lebt: Katerine, Mike Flowers, Tiny Tim

Echtes Dandytum hat immer etwas Heroisches: Der Dandy muß zuallererst mit einem stoischen Gleichmut gegenüber der Möglichkeit ausgestattet sein, auf weniger exquisite Gemüter peinlich zu wirken. Versteht sich, daß solch königliche Haltung zur eigenen Disposition nichts mit Selbstironie gemein hat. Ein Dandy ist kein Kasper.

Der Franzose Katerine hat das Zeug zum besonders netten Dandy. Zunächst einmal ist da die Sache mit dem Namen. Emanzipation hin, Emanzipation her – über eine Frau Walter staunt kein Mensch, aber wie steht es mit einem Herrn Marion? Philippe Katerine geht noch einen Schritt weiter und läßt zugunsten des „weiblichen“ Nachnamens gleich seinen Vornamen weg: Bonjour, Katerine!

Aber auch die Coverfotos seiner ersten CD verraten eigenwilligen Geschmack. Der durchaus virile Katerine präsentiert sich auf grüner Wiese im Playboylook der späten Sixties – nur trägt er keine Schuhe, sondern irritierenderweise dunkle Socken. Das hat etwas Ungeschütztes und ist ein bißchen sexy.

Briten würden den smarten Philippe wohl den ersten Wimp- Sänger Frankreichs nennen. Mit überraschend heller, sanfter Stimme besingt er in 16 mild fatalistischen Miniaturen die Fährnisse des Alltags und der Liebe. „Ich wartete im Botanischen Garten auf Sie und wußte gar nicht, daß Sie gestorben sind.“ Seine an Charles Trenet geschulten, zart jazzigen Kompositionen sind so schwerelos und so frühsechzigerjahremäßig charmant umgesetzt, daß sie an Tati-Filme denken lassen. Xylophon, Zupfbaß und E-Gitarre, sommerliche Leichtigkeit und ein leise wehender Hauch von Melancholie. „Sind Sie denn nicht homosexuell, Monsieur Katerine?“ heißt es in einem Lied, und die Antwort lautet: „Quelle importance? Wir sehen uns sowieso nie wieder.“ Das allerdings wäre sehr, sehr schade.

England, du hast es schwerer. Wo bei Katerine der Charme aus dem Handgelenk fließt, da quillt bei den Mike Flowers Pops der Mäusespeck aus dem Hüfthalter. Nach dem unverhofften Hit „Wonderwall“, der Coverversion eines Oasis- Songs, war es nur eine Frage der Zeit, bis Mike Roberts alias Flowers ein ganzes Album mit Easy-Listening-Versionen bekannter Hits auf den Markt bringen würde.

Was aber ist eigentlich so toll daran, wenn Jürgen Marcus, unterstützt vom Peter-Thomas- Soundorchester, die Top ten nachsingt und sich immer noch wie Jürgen Marcus anhört? Frei heraus: Bis zum Erscheinen von „A Groovy Place“ habe ich nicht verstanden, wieso das Easy-Listening-Revival Ausdruck einer Bad-Taste-Welle sein soll.

Allerdings hat es durchaus etwas Bezwingendes, wenn Titel wie „All tomorrow's parties“ oder Björks „Venus as a boy“ auf ihre hübsche Melodie reduziert werden und im euphorisierten Sound der Ute-Mann- Singers daherkommen. Der Partykeller übt die antirockistische Subversion. Gleichwohl: Der Mann mit der dotterblonden Perücke ist kein Dandy, sondern ein Tingeltangelunternehmen, sein grooviger Platz ist die runderneuerte Haifischbar.

Ein ganz anderes Kaliber ist Tiny Tim, Generationen deutscher Rockfans als Gegenstand des ominösesten Eintrags im rororo-Rocklexikon vertraut. In den Sixties hatte der überhaupt nicht schmächtige Tiny, optisch eine Mischung aus Hermes Phettberg und Robert Morley, einen schönen Hit mit der Falsettfassung des Evergreens „Tiptoe through the Tulips“. Kaum ein anderer kennt die Ups und vor allem die Downs des Rockzirkus so gut wie er. Und kaum jemand wird trotzdem so unbeirrbar an seiner Existenz festhalten. Mögen sich die Fans ausschütten vor Vergnügen, Tiny Tim ist die personifizierte Würde. In den letzten Jahren hat der laut Rocklexikon inzwischen 71jährige mehr Platten aufgenommen als zu seinen Glanzzeiten, darunter so amüsante Titel wie „I saw Mr. Presley tiptoeing through the tulips“. Da macht es nichts, daß auf der aktuellen CD mit Covern so scheußlicher Songs wie „Stairway to Heaven“, „New York, New York“ oder „Over the Rainbow“ schon mal der Pubrock sein nicht eben schönes Haupt hebt. Wer hätte schließlich gedacht, daß das auf ewig totgenudelte „Hey Jude“ ausgerechnet in einer brutalen Chacha-Fassung noch einmal salonfähig werden könnte? Keine wirklich „schöne“ Platte, aber welch ein Juwel der Menschlichkeit! Reinhard Krause

Katerine: „Mes mauvaises fréquentations“ (Rosebud/Motor)

The Mike Flowers Pops: „A Groovy Place“ (London)

Tiny Tim with Brave Combo: „Girl“ (Rounder/Import)