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Zweiteilig, flamingofarben

■ Besuch im alten Zentralgefängnis von Ruandas Hauptstadt Kigali

Der untersetzte, dickliche Mann blickt auf. „Ich war hier noch nie“, sagt er kurz angebunden und blickt wieder weg. Sein teurer Anzug ist verrutscht, seine Schuhe verstaubt, die Brille sitzt schief. Er steht vor dem Büro des Gefängnisdirektors. Der ist nicht da, dafür wartet im Büro ein Staatsanwalt, der über den Direktor schimpft: Er will einen Gefangenen einliefern, das Gefängnis aber ist voll. Also braucht er ein Auto, um den Gefangenen woanders hinzubringen.

Ist es der da draußen? frage ich und weise auf den Dicklichen im Anzug vor der Tür. Der Staatsanwalt nickt. Der Dicke habe im April 1994, als in Ruanda die Massaker an Tutsi und moderaten Hutu losgingen, Leute dafür bezahlt, in seinem Dorf und den umliegenden Dörfern zu morden. Er sei sehr reich. „Er hat viele auf dem Gewissen. Heute hat sich die Schlinge zugezogen.“ Wir werden vom Direktor unterbrochen. Das Auto steht bereit.

Wenig später stehe ich vor der verriegelten Pforte. Das Justizministerium hat eine Erlaubnis zum Fotografieren erteilt, nicht aber zum Gespräch mit dem Gefangenen. Erklärt wenigstens jemand das Gefängnisleben? Schließlich darf das ein Häftling, etwa Mitte 20, in ruandischer Gefängniskleidung: zweiteilig, flamingofarben.

Wenig später bin ich froh, daß ich nicht reden muß. Hinter mir schließt sich die Gefängnistür. Vor mir stehen, sitzen und liegen über 9.000 Menschen. Der Ort war einmal für 2.000 geplant.

Angenehm ist nur, daß man sich unter freiem Himmel aufhalten kann und nicht unbedingt in einem Gebäude. Auf dem Hof sind die Gefangenen so eng zusammengepreßt, daß mein Begleiter und ich uns mit Mühe den Weg bahnen müssen. Nach ungefähr 30 Metern erreichen wir ein niedriges Gebäude. „Das ist Block eins.“

Ich schiebe mich in einen dämmrigen Raum mit Strohbetten. In jeder Reihe stehen drei Betten übereinander. In jedem sitzen bis zu vier Gefangene.

Alte und junge Menschen wohnen hier. Ein Großteil von ihnen soll am Völkermord mitgemacht haben. Mit Gewehren, Messern und Macheten. Unschuldige aber sollen hier auch sitzen. Denn schon der Verdacht auf Teilnahme am Völkermord reicht, um verhaftet zu werden. Manche nutzen diesen Umstand, um unliebsame Nachbarn aus dem Weg zu schaffen.

Waschplätze folgen, Toiletten, Essensausgabe, „Großspüle“, weitere Schlafsäle. Manchmal werden die Gerüche streng. Auf den Dächern der einstöckigen Gebäude im Innenhof liegen die flamingofarbenen Häftlingskleider zum Trocknen.

Mein Begleiter sagt, daß sich die Situation schon erheblich gebessert habe. „3.000 Gefangene wurden verlegt. Vorher waren wir 12.000.“ Seit Bundesaußenminister Klaus Kinkel im Sommer 1995 das Gefängnis besuchte, wurden sechs Ausweichquartiere mit internationalen Hilfsgeldern gebaut. Kinder unter 14 Jahren wurden entlassen. Eine Kommission entließ einige Gefangene, die nur wegen geringer Straftaten einsaßen.

In den letzten Monaten nehmen die Verhaftungen jedoch wieder sprunghaft zu. Über 1.000 neue Häftlinge pro Monat ließen die ruandische Gefängnisbevölkerung bis Juli auf 77.000 Menschen anschwellen. Die wenigsten kommen in die großen Gefängnisse. Sie landen in kommunalen Haftanstalten, sogenannte cachots. Besser ist es dort nicht. Im Juni starben in einem cachot 20 Menschen: Unter den 100 Insassen des 30 Quadratmeter großen Verlieses brach Panik aus, der einzige Gefängniswärter traute sich nicht, die Tür zu öffnen, forderte Verstärkung an, und bis diese eintraf, waren viele erdrückt oder erstickt.

Bislang saßen die Gefangenen in U-Haft. Nun hat das ruandische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Gerichtsverfahren möglich macht. Gerechtigkeit soll die Grundlage für das zukünftige Zusammenleben in Ruanda werden. Irgendwann. Daniel Stroux

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