Das Portrait
: Abgewirtschaftete Edelherberge

■ Hotel Astoria in Leipzig

Louis Armstrong und Enrico Caruso sind dort abgestiegen. Hans Albers und Johannes Heesters. Walter Ulbricht und Willi Stoph. Das Astoria am Leipziger Hauptbahnhof war immer eine Edelherberge. Nach Jahresende soll das traditionsreiche Hotel schließen. Die Leipziger sind satt: Erst wird ihr „größter Sackbahnhof Europas“ zum Supersupermarkt mit Gleisanschluß umgebaut, nun gleich nebenan das Ende einer weiteren Legende.

Beide denkmalgeschützten Bauwerke entstanden nach Plänen des Architekten William Lossow (1854 bis 1914). 1915 wurde das Astoria eröffnet, damals das modernste und luxuriöseste deutsche Hotel. Das bogenförmig dem Straßenlauf folgende Gebäude mit seiner dezenten, neoklassizistischen Sandsteinfassade läßt dem Hauptbahnhof zwar die Show am Platz. Die Schlichtheit im Äußeren ließ behaglichen Prunk im Inneren ahnen.

Der freilich hatte etwas gelitten in den Jahren. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hotel stark zerstört. Nach dem Wiederaufbau war es vor allem während der Leipziger Messen eine gefragte Adresse. 1958 gab sich der Kunstmaler Werner Tübke große Mühe bei der Ausgestaltung des Stadtrestaurants. Seine auf 40 Quadratmetern ausgebreiteten „Fünf Erdteile“ sollten die Gäste zum Denken und Handeln anregen. Tübke blieb seinem Hotel über dieses Frühwerk hinaus verbunden: „Astoria“- Gäste können einen Atelierbesuch buchen.

Am Sonntag sind die Leipziger eingeladen zu einer vielleicht letzten Besichtigung – und zur Solidarität gegen die Kündigung des Pachtvertrages durch die Maritim- Gesellschaft. Die Interhotel- Gruppe wollte das Astoria als Kongreß- und Tagungshotel nutzen, stellte nun aber fest, daß ihr die Renovierung zu teuer wird. 107 Mitarbeiter trifft es wie ein Schlag. Verkaufsleiterin Christa Schwarz klingelt Reisebüros an für die letzte Silvesterparty. Prominente buchen für den Leipziger Opernball Ende Oktober demonstrativ im Astoria. Das Doppelzimmer kostet 180 Mark, ein Mittelklassepreis.

„Wenn es überall wäre wie hier, wäre man gern unterwegs“, schrieb Martin Walser dem Astoria ins Gästebuch. Stammgast Peter Schreier, Dresdner Startenor, bedauerte, „daß Dresden so nahe bei Leipzig liegt. Sonst würde ich öfter in den Genuß dieses gastlichen Hauses kommen.“ Heute werden Unterschriften für seinen Erhalt gesammelt. Detlef Krell