„Einmal ist Ereignis, zweimal Tradition“

Eine Tagung über „Globale Lerngemeinschaften“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Was kommt nach dem Ende der westlichen Belehrungskultur? Künstler und Kulturpolitiker erproben sich in konkreter Beiläufigkeit  ■ Von Harry Nutt

„Wen, außer ein paar Rufern in der Wüste, kümmert es schon“, fragte vor einiger Zeit Hans Magnus Enzensberger, „ob unser Land ein paar hundert Wissenschaftler nach Freiburg oder Leipzig einladen kann; ob es ein Kulturinstitut in Dakar unterhält oder schließt; ob es für litauische oder indonesische Studenten deutsche Bücher zu lesen gibt oder nicht?“ Auswärtige Kulturpolitik steht nicht sonderlich hoch im Kurs, lautete Enzensbergers skeptische Diagnose.

Die bemerkenswerte Karriere des Wortes von den „globalen Lerngemeinschaften“ läßt allerdings anderes vermuten. Zur Profilierung des Wirtschaftsstandorts D. kommt Politikern Kulturfühliges gerade recht, und Handelsreisende verstehen sich gern als Teilnehmer einer Art globalen Tupper-Party. Lerngemeinschaft, das klingt nach einem Passepartoutbegriff zur Beschwichtigung wirtschaftlicher Verlustängste. Miteinander reden, weltweit Handel treiben, und alles wird gut. Die eine große Welt als kreativer Workshop. Kultur und Wirtschaft begeistern sich am Zauber von Synergieeffekten.

Was unter Lerngemeinschaften tatsächlich zu verstehen sei und ob aus ihnen operative Erkenntnis erwachsen kann, daran versuchte sich ein Arbeitstreffen von Kulturpolitikern und Künstlern am Mittwoch im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Lernkultur statt Belehrungskultur westlicher Prägung, hatte es vor einiger Zeit Wolf Lepenies, Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs, auf eine eingängige wie allgemeine Formel gebracht, mit der die Tagungsteilnehmer beim freien Assoziieren so ihre Schwierigkeiten hatten. Am Anfang standen Verständigungsfragen. Die tiefgreifende Kritik am Eurozentrismus habe längst zu einem Gestus der Selbstbezichtigung geführt, der im Dialog mit fremden Kulturen hinderlich sei, sagte der Literaturwissenschaftler Klaus Scherpe. Die Furcht vor der eigenen Arroganz hat eine Rhetorik der Freundlichkeit auf den Plan gerufen. Es gelte statt dessen wieder mehr auf symbolische Formen, Möglichkeiten nichtsprachlicher Verständigung zu achten.

Auf allerlei Bemerkungen zum Verstehen und Nichtverstehen unter Fremden folgte die Diplomatenerfahrung, mehr mit der eigenen als mit der fremden Kultur beschäftigt zu sein, ehe Wolf Lepenies, letztlich der Initiator der Debatte, ein Machtwort sprach: Die kulturmetaphysischen Fragen seien vielleicht interessant, aber nicht das Problem. Es gehe um Geld sammeln und Strukturbildung.

Was unter letzterem zu verstehen sei, veranschaulichte Nawojka Cieslinska, die Direktorin des angesehenen Muzeum Sztuki in Lódz. Sie hatte eine vom Autokonzern Daewoo gesponserte Ausstellung polnischer Gegenwartskunst in Seoul organisiert und mußte dabei die bittere Erfahrung machen, daß lediglich Interesse an bereits bekannten und arrivierten Künstlern bestand. Man wollte das Ereignis, nicht Austausch künstlerischer Erfahrung. Die Aufforderung, herauszufinden aus den fatalen Zwängen der Ereigniskultur, fand allgemeine Zustimmung. Es komme zunächst darauf an, zusätzliche Kanäle für einen funktionierenden Kulturaustausch zu schaffen.

Einen grotesken Fall von einheimischer Werbung für die Belange der Entwicklungspolitik schilderte die indische Ethnologin Shalini Randeria. Erst kürzlich hatte das Bundesministerium für Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik (BMZ) die Fernsehserie „Klinik unter Palmen“ mit Klaus-Jürgen Wussow mit 250.000 Mark gefördert. Vor der Fernsehklinik auf den Philippinen hatten sich schließlich lange Schlangen von Kranken gebildet und stießen doch nur auf Dr. Brinkmann.

Auch unter Entwicklungspolitikern scheinen Lerngemeinschaften dringend geboten. Peter Sötje, Kurator der Deutschen Stiftung für internationale Entwicklung, beklagte die enorme Lücke zwischen Wissen und politischem Handeln, die mit Hilfe von Lernkultur geschlossen werden könnte. Häufig scheiterten solche Bemühungen jedoch an korrupten Eliten im jeweiligen Land. So verstanden, bekunden Lerngemeinschaften am Ende doch wieder nur das Interesse an außenpolitischer Handlungsfähigkeit.

Seinen Begriff der globalen Lerngemeinschaft, der fraglos etwas hausbacken daherkommt, wollte Lepenies noch etwas grundsätzlicher verstanden wissen. „Die Europäisierung der Welt war so erfolgreich, daß wir nun Gefahr laufen, damit allein gelassen zu werden.“

Es käme darauf an, neue Problemlösungspotentiale aus der kulturellen Differenz zu gewinnen. Hieran anknüpfend, deckten sich einige Tagungsbeiträge sichtlich mit der Angst der Wirtschaftsbranche, von der einstigen Dritten Welt wirtschaftlich wie kulturell überrundet zu werden. Beinahe beruhigend führte Lepenies die Erfahrung an, daß gerade unter dürftigen Bedingungen oft herausragende wissenschaftliche Ergebnisse erzielt worden seien. Ohne zynisch klingen zu wollen, sieht Lepenies nicht zuletzt im Mangel Chancen zur Innovation.

Die Lerngemeinschaft im Haus der Kulturen der Welt ging am Ende ganz im Sinne des Begriffs ohne feste Absichten und Beschlüsse auseinander. Die Förderung von Beiläufigkeit hatte ganz zu Beginn der Frankfurter Philosoph Friedrich Kambartel gefordert. Interkulturelle Verständigung benötige vor allem Zeit.

Lerngemeinschaften brauchen Zeit. „Einmal ist ein Ereignis, zweimal ist Tradition“, steuerte Wolf Lepenies eine Erfahrung von seinen deutsch-amerikanischen Sommerschulen bei. Daß man sich wieder trifft, scheint ausgemacht.