: Mißbrauch von Flüchtlingsschicksalen
Erst wenige Hutu-Flüchtlinge sind in ihre Heimatdörfer nach Ruanda zurückgekehrt. Die Hutu-Milizen haben sie bisher mit Gewalt daran gehindert. Die kampffähigen Männer bleiben in Zaire ■ Aus Kigali Bettina Gaus
Auf dem Flughafen der ruandischen Hauptstadt Kigali steht Raila Odinga. Er ist im Transit: Aus Bujumbura, der Hauptstadt des Nachbarlandes Burundi, kommend, will er nach Hause, nach Nairobi, weiterfliegen. Was tut der prominenteste kenianische Oppositionspolitiker in diesem Teil des Kontinents?
„Ich habe mich immer besonders für Burundi interessiert“, meint Raila Odinga unverbindlich, und dann wird er konkret: Die Sanktionen, die andere afrikanische Staaten gegen das Land nach dem Militärputsch im Juli verhängt hätten, seien kontraproduktiv. Sie träfen nur die Notleidenden. „So werden die Fronten verhärtet.“ Zweimal habe er während seines dreitägigen Aufenthalts Burundis neuen starken Mann Pierre Buyoya getroffen. „Ich kenne ihn. Ihm liegt wirklich nichts an der Macht.“
Major Buyoya ist ein Tutsi. Diese ethnische Minderheit in Burundi stützt sich auf das Militär. Ihre Feinde sind Rebellen, die eine Beteiligung der Hutu-Mehrheit an der Macht fordern. Sie verüben immer wieder Anschläge auf die wichtigsten Verbindungsstraßen des Landes und haben die Hauptstadt Bujumbura weitgehend von der Versorgung abgeschnitten. Seit allerdings ihre Verbündeten, die Kräfte des 1994 gestürzten ruandischen Regimes, in Ostzaire von Tutsi-dominierten Rebellen in Bedrängnis gebracht worden sind, ist die Lage für die burundischen Regierungsgegner schwieriger geworden.
„Der Putsch in Burundi ist doch eine vollendete Tatsache“, sagt Raila Odinga und lächelt freundlich. „Die Sanktionen zeugen nur von doppelter Moral.“ Andere Regierungen der Region seien auch keine Modellbeispiele für eine demokratische Entwicklung.
Es wimmelt derzeit im weiten Umkreis des eigentlichen Krisenherdes von Parteigängern der einen oder der anderen Seite. Immer mehr Länder werden mittelbar und unmittelbar in den Konflikt verwickelt. Die ugandische Regierung, die eng mit der Tutsi-dominierten ruandischen Regierung verbündet ist, hat zairische Militärs beschuldigt, gemeinsam mit ugandischen Rebellen zwei bewaffnete Überfälle auf ugandischem Territorium verübt zu haben. Kurz vorher hatte das ugandische Kabinett öffentlich erklärt, Zaire sei am Aufstand zairischer Tutsi-Rebellen selber schuld.
Viele, die sich derzeit äußern, geht der Konflikt eigentlich überhaupt nichts an. Kenias Regierung war mit dem 1994 getöteten ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana verbündet. Jetzt haben zahlreiche Funktionäre des gestürzten Regimes in Nairobi Zuflucht gefunden. Wenn die kenianische Regierung mit „den Hutu“ befreundet ist, dann zeigt sich der Oppositionspolitiker Raila Odinga eben als Freund „der Tutsi“.
Im Chester House in Nairobi haben viele Auslandskorrespondenten ihre Büros. Sie bekommen dort regelmäßig Besuch. Vertreter der „Bewegung für die Rückkehr der Flüchtlinge und die Demokratie in Ruanda“ (R.D.R.) bezeichnen sich als Sachwalter der humanitären Interessen der Kriegsvertriebenen und werben gleichzeitig für die Sache des gestürzten ruandischen Regimes.
Schon vor einer Woche, als internationale Organisationen und ausländische Regierungen übereinstimmend erklärten, über den Verbleib und die genaue Situation Hunderttausender ruandischer Flüchtlinge in Zaire keinerlei Informationen zu haben, warteten R.D.R.-Repräsentanten mit Details auf: „Es geht ihnen sehr schlecht“, sagte Innocent Butare. „Sie haben keine Nahrung, Wasser oder Medizin.“ Seine Organisation habe Funkkontakt mit Flüchtlingen gehabt, meinte der R.D.R.- Mann. Dann kam er zur Sache: „Es gibt keine Zukunft für Ruanda, wenn nur eine kleine Gruppe von Leuten die Macht hat. Die internationale Gemeinschaft muß die Flüchtlinge in eine politische Lösung einbinden. Wir denken, daß es sehr wichtig ist zu fragen, was sie wollen.“ Doch der Ausdruck „die Flüchtlinge“ symbolisiert für die R.D.R. allein das 1994 gestürzte ruandische Regime.
Bisher erhält man nur wenige gesicherte Informationen über die Lage in der Umgebung der zairischen Grenzstädte Goma und Bukavu. In den Städten selbst, die von zairischen Tutsi-Rebellen der Banyamulenge mit Hilfe der ruandischen Armee erobert worden sind, gibt es erste Anzeichen für die Rückkehr zum Alltag. Junge Männer fegen in Goma die Abfälle zusammen, die noch von den Kämpfen mit der zairischen Armee und Plünderungen zeugen. Nur wenige Bewaffnete lassen sich auf der Straße sehen. Märkte und Geschäfte, sogar Friseursalons, sind wieder geöffnet. Taxis fahren. Es gibt Benzin.
Internationale Organisationen haben damit begonnen, Hilfsgüter zu verteilen. Es sieht so aus, als sei die Versorgungslage nicht ganz so dramatisch gewesen, wie zunächst befürchtet wurde. Goma war seit langem eine unsichere Stadt gewesen, in der vor allem die undisziplinierten zairischen Militärs eine ständige Bedrohung darstellten. Deshalb hatten viele Einwohner zu Hause Vorräte für Notzeiten angelegt. „Als unsere Nahrungsmittel zur Neige gingen, haben unsere Nachbarn uns etwas verkauft“, erzählt eine Frau, die während der Kämpfe in ihrem Haus eingeschlossen war.
Entwarnung kann dennoch nicht gegeben werden. In den letzten zwei Tagen ist Goma erneut von schwerer Artillerie beschossen worden. Wer hat gefeuert? War es die zairische Armee? Oder waren es bewaffnete Kräfte des gestürzten ruandischen Regimes, die sich nach ihrer Flucht aus den Lagern jetzt neu formiert haben?
Die wenigen Informationen, die sich derzeit gewinnen lassen, sind noch am ehesten von den Flüchtlingen zu erhalten, die in den letzten Tagen über die Grenze von Zaire nach Ruanda gekommen sind. Zwar treffen inzwischen täglich mehrere hundert Neuankömmlinge ein, doch der von Hilfsorganisationen erwartete große Ansturm ist bisher ausgeblieben.
„Ich habe meine Söhne auf der Flucht verloren“, sagt Zephanio Bushakiro, ein alter Bauer aus Ruanda. Mehr als zwei Jahre lang lebte er im zairischen Flüchtlingslager Katale nörlich von Goma. Jetzt steht er barfuß und verloren im zerrissenen Regenmantel in einem Übergangslager des UNO- Flüchtlingswerks in Ruanda unweit von Gisenyi, der gegenüber vom zairischen Goma gelegenen Grenzstadt. Nach dem Rebellenangriff auf Camps in Zaire ist er, wie er erzählt, allein durch den Busch geirrt, bis es ihm gelang, die Grenze zu überqueren.
„Ich habe meinen Mann auf der Flucht verloren“, sagt Euphrasia Musabyimana aus der ruandischen Gemeinde Ramba. Ihre Geschichte gleicht der des alten Mannes: Sie hatte im zairischen Lager Kahindo gelebt. Als die Kämpfe ausbrachen, versteckte sie sich vier Tage lang irgendwo im unwegsamen Gelände. Dann schaffte es auch sie über die Grenze.
Euphrasia Musabyimana hat ihre beiden Kinder, zwei und neun Jahre alt, bei sich. Von ihnen wurde sie während ihrer Flucht nicht getrennt. Doch immer sind es die Männer, die ihre Familien aus den Augen verloren haben – so jedenfalls behaupten es alle. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge, die in den letzten Tagen aus Camps in Zaire in ihre ruandische Heimat zurückgekehrt sind, sind nach Schätzungen des UNO-Flüchtlingswerkes Kinder. Ein weiteres Drittel sind Frauen. Und die wenigen Männer, die über die Grenze kommen sind zu alt zum Kämpfen.
Für ausländische Journalisten ist es schwer, bei ihren Berichten zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. In den zairischen Flüchtlingslagern hatten die alten ruandischen Machtstrukturen fortbestanden. Repräsentanten des gestürzten Regimes und Drahtziehern des Völkermordes an der Tutsi-Minderheit war es gelungen, in den Lagern allgemeine Sprachregelungen durchzusetzen. Alle Außenstehenden stießen in den Camps seit Bestehen auf eine Mauer des Schweigens. Die politische Linie der ehemaligen Machthaber war alles, was ihre Bewohner je wiedergaben – ob aus Angst vor den Milizen der Lager oder aus ehrlicher Überzeugung war im Einzelfall kaum auszumachen.
Die Tatsache, daß derzeit fast alle Frauen und alten Männer in den ruandischen Übergangscamps behaupten, von ihren jüngeren männlichen Familienmitgliedern während der Flucht der letzten Tage getrennt worden zu sein, deutet darauf hin, daß selbst im Chaos der letzten Wochen noch Sprachregelungen vereinbart wurden. Immerhin geben die Heimkehrer jetzt zu, was alle Beobachter längst wußten und was aber von den Bewohnern der Camps mehr als zwei Jahre lang konsequent bestritten worden war: Soldaten und Milizen des alten Regimes hatten Rückkehrwillige mit Gewalt davon abgehalten, die Grenze nach Ruanda zu überqueren.
„Unsere Vorgesetzten haben uns daran gehindert, nach Hause zurückzugehen. Sonst wäre ich schon früher gekommen. Nach dem Angriff auf unser Lager sind sie geflohen. Da konnte ich weg“, erzählt Euphrasia Musabyimana. Wer waren diese Vorgesetzten – Militärs oder Zivilisten? Die junge Frau zögert: „Zivilisten“, sagt sie dann. Nein, sie habe sie vor ihrer Flucht nach Zaire nicht gekannt. „Aber wer vorher in Ruanda die Autorität hatte, der hatte sie auch später in den Lagern.“
In den Lagern war es schwer, Unschuldige von Mördern und Zivilisten von Militärs zu trennen. Milizen lebten mit ihren Familien zusammen. Die bislang nach wie vor nur kleine Zahl von Rückkehrern nach Ruanda läßt darauf schließen, daß die meisten Familien nach wie vor bei ihren Männern in Zaire bleiben.
Der 40jährige Bauer Johann Buhahano aus der ruandischen Gemeinde Karago gehört zu den wenigen Männern im waffenfähigen Alter, die in den letzten Tagen in ihre Heimat zurückgekehrt sind. „Man hat uns in den Lagern gesagt, daß wir in Ruanda umgebracht werden. Aber auf dem Weg von der Grenze hierher ins Übergangslager habe ich so viele Leute auf den Feldern arbeiten sehen, sie leben im Frieden. Ich bin sicher, daß ich keine Probleme haben werde.“
Er selbst habe mit den Massakern nichts zu tun gehabt, erklärt Johann Buhahano. „In meiner Gemeinde ist niemand getötet worden.“ Doch das kann nicht stimmen. In Ruanda gab es nach dem Genozid von 1994 keine Gemeinde, die keine Toten zu beklagen hat. Viele Heimkehrer werden sich auf eine gerichtliche Untersuchung gefaßt machen müssen, bei der ihre mögliche Beteiligung an den Massakern geklärt werden soll. Johann Buhahano behauptet, davor keine Angst zu haben: „Ich habe mich für alle diese Probleme nicht interessiert“, sagt er. „Während des Krieges war ich nur auf meinen Feldern und habe meine Kühe gehütet.“
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