Schlammschlacht in Jüdischer Gemeinde

■ Fünf Monate vor der Wahl zum Gemeindeparlament reden sich die noch amtierenden Repräsentanten gegenseitig in den Keller. Die gegenseitigen Vorwürfe schaden dem Ansehen der Gemeinde

Die Auseinandersetzungen um die Nachfolge des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde und die Zusammensetzung des Gemeindeparlaments in den nächsten vier Jahren spitzen sich zu. Seit vorgestern steht der Wahltermin, der 1. Juni, fest, seit längerem, daß Jerzy Kanal nicht mehr kandidieren wird. Über die Modalitäten, Listenwahl wie bisher oder Personenwahl, wird derzeit verhandelt. Fest steht bisher nur eines: Es wird die schlimmste Schlammschlacht in der Geschichte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Einen Vorgeschmack darauf lieferten sich vorgestern die Repräsentanten der mit etwa 10.000 Mitgliedern größten Gemeinde Deutschlands, in ihrer regulären Sitzung. Jerzy Kanal, seit 1992 nicht nur Vorsitzender der Gemeinde, sondern auch Listenführer des Liberal-Jüdischen Blocks (LJB), warf einem Gemeindeparlamentsmitglied von der oppositionellen Demokratischen Liste (DL) vor, in kriminelle Aktivitäten verwickelt zu sein. Wörtlich: „Es ist nicht nur eine Vermutung, sondern eine Tatsache, daß ein Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels und Körperverletzung gegen S. F. läuft“. Zuvor hatte er gesagt, daß man mit allen Mitteln verhindern müsse, daß durch unklare Satzungsbestimmungen beispielsweise die „Russenmafia“ in das Gemeindeparlament eindringen kann.

Die von Kanal schwer belastete Repräsentantin ist Zuwanderin aus der ehemaligen Sowjetunion. In der Sitzung widersprach sie der Behauptung von einem anhängigen Ermittlungsverfahren. Gegenüber der taz ergänzte F., daß sie einen Anwalt beauftragt habe und dieser von der Polizei die Information bekam, daß „gegen ihre Person kein Ermittlungsverfahren laufe“.

Der vom Vorsitzenden der Repräsentantenversammlung Michael Zehden und von anderen Mitgliedern des LJB geäußerte „Verdacht“, der nur von Kanal zu einer „Tatsache“ erweitert wurde, steht im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um das stellvertretende Vorstandsmitglied, die Rechtsanwältin Simona Reppenhagen (LJB). Sie soll in mindestens drei Fällen gegen die Interessen ihrer im Ausland lebenden jüdischen Mandanten gehandelt haben. Obwohl kein Ermittlungsverfahren gegen sie läuft, fordert die DL dennoch ihren Rücktritt. Mitglieder des LJB warfen der Opposition deshalb Doppelmoral vor. Schwarze Schafe in den eigenen Reihen würden geschützt, die des Liberal-Jüdischen Blocks, Beispiel: Reppenhagen, hingegen verleumdet.

Mit dem Fall Reppenhagen beschäftigt sich inzwischen das Schiedsgericht des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bis Ende des Monats will es prüfen, ob die im Tagesspiegel und in der israelischen Zeitung Maarif aufgestellten Vorwürfe stimmen. Die Zeitungen hatten berichtet, daß die mit der Wahrnehmung von Restitutionsansprüchen beauftragte Anwältin, in mindestens drei Fällen den Wert von Immobilien oder Grundstücken heruntergerechnet habe, um ihre Mandanten damit zu veranlassen, die Grundstücke zu einem Preis weit unter dem Verkehrswert zu verkaufen. Als Käufer vermittelte sie jeweils Giora Padowitsch, Immobilienhändler und Schwiegersohn von Jerzy Kanal. Ohne näher auf die Vorwürfe einzugehen, erklärte vorgestern Reppenhagen, ihr Mandat als stellvertretendes Vorstandsmitglied vorläufig „ruhen zu lassen“.

Auch in einem weiteren Fall zeigte sich Reppenhagen in der Repräsentantenversammlung uneinsichtig. Die Anwältin erklärte, daß sie mit ihrer Behauptung vom November letzten Jahres, nämlich daß die Familie des früheren Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnany eine „prominente Ariseurfamilie ist“, keine Beleidigung beabsichtigt habe. Den Begriff „Ariseurfamilie“ habe sie als einen „rein juristischen Terminus“ gebraucht.

Diese vom Blatt gelesene Kurzerklärung wird innerhalb der Jüdischen Gemeinde noch für Ärger sorgen. Denn das Grundstück in Potsdam, um den sich der Streit dreht, kaufte der 1945 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordete Widerstandskämpfer Hans von Dohnany erst zwei Jahre nach dem Zwangsverkauf 1939 durch den jüdischen Eigentümer und auch nicht von ihm. Ignatz Bubis entschuldigte sich inzwischen für Simona Reppenhagens Behauptungen bei Dohnanny. Eine Entschuldigung, zu der der LJB sich bisher nicht durchringen konnte. Anita Kugler