Pfälzer zahlen für Kohls Atomruine

■ Bundesgerichtshof erklärt die Genehmigung für das AKW Mülheim-Kärlich für „rechtswidrig“. Betreiber RWE bekommt jedoch keinen vollen Schadenersatz von Rheinland-Pfalz. Richter müssen noch über Summe entscheiden

Karlsruhe (taz) – Mit einem Teilerfolg für den Stromkonzern RWE geht das teuerste deutsche Gerichtsverfahren in eine neue Runde. Gestern entschied der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, daß das AKW Mülheim-Kärlich 1975 nicht nur rechtswidrig genehmigt worden war, vielmehr habe Helmut Kohls rheinland-pfälzische Landesregierung dabei auch „schuldhaft“ gehandelt. Damit ist der Weg „grundsätzlich“ frei für eine milliardenschwere Schadenersatzforderung des Mülheim-Kärlich-Betreibers RWE gegen das Land Rheinland-Pfalz. Wie teuer Kohls Erblast für die sozialliberale Nachfolgeregierung kommt, ist noch ungewiß. Einzelheiten muß das Oberlandesgericht (OLG) in Koblenz entscheiden.

Daß die Genehmigung des zwischen Koblenz und Neuwied gelegenen Reaktors rechtswidrig war, hat das Bundesverwaltungsgericht schon 1988 festgestellt. Seither ruht der Betrieb des Reaktors. Ob die Anlage mit ihrem markanten 162 Meter hohen Kühlturm jemals wieder ans Netz gehen wird, ist eher ungewiß. Die Erdbebensicherheit des Atommeilers ist nach wie vor ungeklärt. Eine abschließende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird noch für dieses Jahr erwartet.

Derweil wird aber längst schon darüber prozessiert, wer letztlich auf den horrenden Kosten sitzenbleibt. RWE würde gerne das Land als Genehmigungsbehörde haftbar machen. Indem die Kohl- Regierung wissentlich eine rechtswidrige Anlage genehmigte, habe sie sich einer „Amtspflichtverletzung“ schuldig gemacht. So argumentierte RWE, und so entschied auch das Oberlandesgericht in Koblenz. Das Land Rheinland-Pfalz, das finanziell ohnehin mit dem Rücken zur Wand steht, hatte jedoch Revision eingelegt.

Doch auch beim BGH hatte die Pfälzer Landesregierung im grundsätzlichen wenig Erfolg. Es war auch wenig überzeugend, wenn ausgerechnet die heutige atomkritische Pfalz-Regierung unter Ministerpräsident Beck die Tricksereien der atomfreundlichen Kohl-Administration als „vertretbar“ zu verkaufen versuchte. Damals waren die Baupläne im Genehmigungsverfahren heimlich geändert worden, als man feststellte, daß das AKW sonst direkt auf einer Erdbebenspalte gestanden hätte. Genehmigt wurde 1975 damit ein Atomkraftwerk, das nach Ansicht von Land und RWE in dieser Form gar nicht mehr geplant war. Der Mainzer Regierungssprecher Walter Schuhmacher sagte gestern, das Land richte sich auf einen langjährigen Schadenersatzprozeß ein.

Doch auch RWE kann sich seiner Sache noch nicht sicher sein. Für die Zeit von 1975 bis 1977 schloß der BGH jeglichen Schadenersatz sogar ausdrücklich aus. Schließlich habe RWE an den Mauscheleien aktiv mitgewirkt und könne sich daher nicht auf Vertrauensschutz berufen. Erst mit der zweiten Teilgenehmigung vom Juli 1977 sei eine neue Situation entstanden. Bei der RWE Energie AG in Essen fielen die Reaktionen entsprechend gemischt aus. Der Konzern begrüßte in einer ersten Stellungnahme, daß der Bundesgerichtshof prinzipiell eine Haftung des Landes bejaht habe. Der Konzern räumte aber gleichzeitig ein, daß wesentliche Teile der Schadenersatzforderungen des RWE vom BGH endgültig abgewiesen worden seien.

Das Oberlandesgericht in Koblenz muß nun drei Fragen klären. Erstens: Wieviel Geld hat RWE bis zum Juli 1977 verbaut? Denn hierfür gibt es keinen Schadenersatz. Zweitens: Durften die Mauschelgeschwister von RWE darauf vertrauen, daß mit der zweiten Teilgenehmigung die Fehler des ersten Teilbescheids geheilt wurden? Wenn ja, dann wird Schadenersatz fließen. Drittens: Liegt dennoch eine Mitschuld von RWE am Schaden vor, dann bekommt der Konzern nicht den vollen Schadenersatz. Im ersten Anlauf hatte das OLG Koblenz auf eine Teilung 50:50 entschieden.

RWE beziffert seine Schäden gerne mit sieben Milliarden. Zur Debatte vor dem BGH stehen offiziell aber nur Forderungen in Höhe von 4,5 Milliarden Mark. Und von dieser Summe hat der BGH auch nur 3,4 Milliarden Mark als ersatzfähig anerkannt. Konkret geht es dabei um die Baukosten, die Brennstoffe und die Kosten für den Stillstandsbetrieb. Entgangener Gewinn und Rückstellungen für die Entsorgung können definitiv nicht abgerechnet werden (Az.: II ZR 117/98). Christian Rath