Deutsche Muslime von Rushdie-Kopfgeld entsetzt

■ Sprecher der Muslime in Deutschland ist über den neuerlichen Mordaufruf gegen Salman Rushdie entsetzt. Andere Gemeinden reagieren verhaltener. Protest der EU

Berlin (taz) – „Wir sind entsetzt. Wir sind strikt dagegen.“ Der Sprecher der deutschen Muslime in Berlin, Mohammed Herzog, ist hell empört, daß der Mordaufruf gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie in Teheran erneuert und durch die Erhöhung des Kopfgeldes auf 2,5 Millionen Dollar noch einmal unterstrichen wurde. „Das erschwert den Dialog mit Andersgläubigen für die Muslime in Deutschland enorm. Dabei sind achtzig Prozent aller Muslime gegen diesen Mordaufruf, auch die Schiiten.“

So klar ist die Haltung zum „Fall Rushdie“ unter den Schiiten allerdings nicht. In der größten schiitischen Gemeinde in Deutschland, in Hamburg, ist zunächst niemand auf ein Gespräch erpicht. „Das schiitische islamische Zentrum gibt dazu keine Stellungnahme ab“, wird der Frager kurz und bündig abgefertigt. Das Zentrum, zu dem auch die Imam-Ali-Moschee gehört, habe eben keine offizielle Position zu Entscheidungen, die im Iran fallen. Jeder habe „hier eben seine eigene Meinung“, heißt es lapidar. Schließlich ist eine Sprecherin des Zentrums, Frau Krausen, bereit, über ihre Position zu reden. „Die Erhöhung des Kopfgeldes durch eine religiöse Stiftung ist eine Stimme unter vielen in Teheran“, sagt sie. Man solle nicht jede Äußerung so ernst nehmen. Vermutlich sei dies wieder „ein Sturm im Wasserglas“. Schließlich gibt es „eine ganze Menge Schreihälse im Iran, wie hier ja auch“. Sie persönlich hält die „Satanischen Verse“ von Rushdie zwar auch für „einen gezielten Schlag unter die Gürtellinie der Muslime des indischen Subkontinents“. Aber töten würde sie ihn „deshalb nicht“. Krausen vermißt in Deutschland die Bereitschaft, sich wirklich mit der Sache auseinanderzusetzen. „Ich habe der Evangelischen Akademie in Hamburg ein Seminar über das Buch angeboten, aber daraus ist nichts geworden.“ Gespräche gibt es dagegen mit einzelnen christlichen Gemeinden. Herr Klautke, bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für den christlich-islamischen Dialog zuständig, weiß von Gesprächen auch mit Mitgliedern der Hamburger Imam-Ali-Moschee. Bei diesen Treffen sei auch über den Mordaufruf gegen Salman Rushdie diskutiert worden. „Inoffiziell, im persönlichen Gespräch, haben die Leute sich davon distanziert.“ Für eine öffentliche Stellungnahme sei die Abhängigkeit von Teheran allerdings zu stark. „Viele Leute haben auch einfach Angst, sich zu exponieren“, weiß Klautke aus langer Erfahrung.

Einschlägige Erfahrungen mit öffentlichen Stellungnahmen gegen den Mordaufruf hat auch Salim Abdullah vom Zentralinstitut Islam-Archiv gemacht. Schon vor acht Jahren, als die Fatwa verhängt wurde, habe er „laut seine Meinung gesagt“. Danach erhielt er etliche Morddrohungen und wurde ein Jahr lang unter Polizeischutz gestellt. Für Abdullah ist der Mordaufruf „zutiefst unislamisch. Das Regime im Iran hat sich damit selbst bloßgestellt. Die Fatwa muß endlich zurückgenommen werden.“ Allerdings ist Abdullah die Affäre Rushdie längst zum Rätsel geworden. „Wenn die Iraner Rushdie wirklich umbringen wollten“, meint er, „hätten sie das längst getan. Da kann er sich noch so gut verstecken.“

EU gegen Iran

Die Europäische Union (EU) hat sich gestern erneut hinter Salman Rushdie gestellt und die Aussetzung eines erhöhten „Kopfgeldes“ von 2,5 Millionen Dollar durch die religiöse iranische Stiftung 15. Chordat „zutiefst bedauert“. Jürgen Gottschlich