„Aus mir ist keine weiche Frau zu machen“

Sie ist der Paradiesvogel unter den vier Bürgermeistern der PDS in Berlin: Bärbel Grygier. Nicht mal in ihrer eigenen Partei mag man sie so richtig. Jetzt sollte sie gestürzt werden – der Plan scheiterte  ■ Aus Berlin Vera Gaserow

„Ich bitte, ins Protokoll aufzunehmen“, reckt der CDU-Mann die Arme zum Geschäftsordnungsantrag in die Luft, „daß Frau Bürgermeister bei dieser so wichtigen Debatte soeben den Saal verlassen hat.“ Handknöchel klopfen Beifall auf Parlamentariertische. Frau Bürgermeister hat wieder alles falsch gemacht. Nach quälend langer Sitzung ist sie doch glatt mal pinkeln gegangen. Dabei debattiert das Feierabendparlament des Berliner Plattenbezirks Höhenschönhausen schon drei geschlagene Stunden über TOP 7: „Antrag auf Einleitung eines Abberufungsverfahrens Drucksache 538/III“.

Drucksache ist eigentlich das falsche Wort. Tatsächlich geht es um Druck auf Personen, auf eine Person, auf Bärbel Grygier, Dr. Bärbel Grygier, wie man hier im Osten gern betont. „Frau Dr.“ ist seit einem Jahr Bürgermeisterin des Bezirks. Aber was heißt Bezirk – Hohenschönhausen ist eine Stadt, 120.000 Einwohner. So eine Stadt, noch dazu am Rand der Hauptstadt, läßt man nur ungern von einer Frau regieren, schon gar nicht von einer aus der PDS, und überhaupt nicht von einer, bei der selbst die PDS nicht sicher ist, ob sie wirklich PDS ist.

Bärbel Grygier, Dr. der klinischen Psychologie, 42 Jahre alt, blond, attraktiv. Paradiesvogel unter den vier Bezirksbürgermeistern, die seit den letzten Berliner Wahlen die PDS stellt. „Stellte“ sollte es am Mittwoch abend heißen. Denn da wollten SPD und CDU der Amtszeit Grygiers ein Ende bereiten. „Eine Kette von Fehlleistungen“ warf ihr die Bezirks-SPD in einem Abwahlantrag vor, „intrigant“ sei sie, „selbstherrlich“, „unkollegial“. Bei der Haushaltsdebatte im Berliner Abgeordnetenhaus habe sie „von den Zuschauerbänken aus das Geschehen amüsiert, und zwar sehr amüsiert, beobachtet“. Auf gut sozialdemokratisch: Sie „läßt für ihr Amt den nötigen Ernst vermissen“.

Die CDU sprang auf die Vorwürfe nur allzugern auf: „Frau Dr. Grygier“ könne man zwar keine „intellektuelle Schmalbrüstigkeit“ ankreiden. Aber sie sei schuld, daß Hohenschönhausen bis heute kein Krankenhaus hat. Zum Beweis zogen die Christdemokraten längst überholte interne Aktenvermerke des Berliner Gesundheitssenats heran. Parteifreunde im Senat hatten sie offenbar zugespielt.

Überraschend war der Abwahlantrag gegen die Bürgermeisterin nicht. Verwunderlich war eher, daß er so spät kam. Denn Bärbel Grygier war als Bürgermeisterin schon umstritten, bevor sie überhaupt im Amt war. Kurz vor ihrer Wahl im Frühjahr 1996 hatte sie nämlich im Fernsehen ganz unstandesgemäß geplaudert, „daß sie gerne mal Ärsche anfaßt, Männer und Frauenärsche gleichermaßen“, und daß Sex und Politik doch eigentlich eng zusammengehörten. Sie läßt ihre blauen Augen strahlen, flirtet auf Deubel komm raus und brüskiert gleichzeitig mit Burschikosität und harter Politik all diejenigen, die sie gerade um den Finger gewickelt hat.

All das ist auch „ihrer“ Partei oft zuviel, der PDS, bei der Grygier sich politisch heimisch fühlt, aber deren Mitglied sie nicht sein will. Die parteilose Frau mit ihren Sponti-Attitüden, effizientem 16-Stunden-Tag, unkompliziertem Umgang auch mit CDU-Kollegen und ausgeprägtem Talent zur Selbstdarstellung und Dauerprovokation ist vielen in der PDS bis heute suspekt geblieben. Als Bärbel Grygier am Mittwoch abend mit geschliffenen Worten die Abwahlargumente von CDU und SPD zerpflückt, regt sich daher nur müder Pflichtbeifall an den Tischen der PDS. Warum sagt sie auch, daß es der PDS nur guttäte, im Bezirk nicht die absolute Mehrheit erreicht zu haben, daß sie Stellplätze für Autos verknappen will, daß sie für ökologischen Umbau und nicht nur für „soziale Sicherheit“ plädiert. Und warum muß sie auch – einen Tag vor dem Abwahlantrag – der PDS ins Stammbuch diktieren, Teile der Partei hätten „noch nicht begriffen, daß Demokratie mit Partizipation, Menschenwürde und individuellen Rechten zu tun hat“. Einigen PDSlern ist Grygier nicht grün, sondern zu grün. Als sie neulich in Leipzig einen Vortrag hielt, tauchte dort prompt eine PDS- Fraktionärin aus Hohenschönhausen zum Kontrollbesuch auf.

Am Mittwoch abend dokumentierte sich das tendenzielle Mißtrauen gegen die immer dominante Bürgermeisterin denn auch im Abstimmungsergebnis: Die Bündnisgrünen – „wir haben kein ganz unkompliziertes Verhältnis zu Frau Grygier“ – stimmten geschlossen gegen ihre Abwahl durch SPD und CDU, die PDS zeigte brüchige Parteisolidarität für die eigene Bürgermeisterin: eine Gegenstimme, eine Enthaltung, und die schärfste parteiinterne Kontrahentin war vorsorglich krank. Bärbel Grygier wird also weiter als Bezirksoberhaupt residieren – bis zum nächsten Abwahlantrag, der kommt bestimmt.

Einigen Bezirkspolitikern hat Grygier gerade frisch eingeschenkt: Als „geifernde Männerbande“ hat sie sie tituliert. Die sollten zur Triebabfuhr bei jedem Rot an der Ampel laut brüllen, „das hört keiner und dämpft Aggressionen“. „Aus mir“, warnt Bärbel Grygier schon vorsorglich, „ist jedenfalls keine weiche, leicht handhabbare Frau zu machen. Entweder die nehmen mich so, oder sie lassen's.“ Vera Gaserow