■ Eine überstürzte Abschiebung der bosnischen Flüchtlinge destabilisiert die Region und provoziert neue Konflikte
: Deutschland und die Vertriebenen

Die Flüchtlinge aus Bosnien- Herzegowina sind lästig geworden. Nicht nur für jene, die offen für Abschiebungen und für die Anwendung der „Härte des Gesetzes“ eintreten. Mit steigender Arbeitslosigkeit und um sich greifender sozialer Verunsicherung verlieren offenbar auch die linksliberalen Mittelschichten an Motivation, sich für die Kriegsflüchtlinge einzusetzen. Gesellschaftlicher Protest gegen die Abschiebepraxis ist nur leise zu vernehmen. Dabei ist der Umgang mit den Bürgerkriegsflüchtlingen nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch eine höchst brisante Frage.

Die unbürokratische Aufnahme von Flüchtlingen seit 1991 hat nicht nur die breite Hilfsbereitschaft der Bevölkerung widergespiegelt, sondern auch zu einer außenpolitischen Imageverbesserung Deutschlands beigetragen. Das kurz nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten auftauchende Mißtrauen gegenüber dem neuen großen Deutschland wurde gedämpft. In allen Nationen des auseinanderfallenden ehemaligen Jugoslawiens hat die deutsche Haltung bezüglich der Flüchtlinge Eindruck gemacht. Und nicht nur dort. Während Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien die Aufnahme von Flüchtlingen blockierten, verhielten sich die Deutschen genau so wie die in humanitären Fragen stets beispielhaften skandinavischen Länder, wie Österreich, die Schweiz, Ungarn und Slowenien. Doch jetzt scheint der Ruf der Gemeinden nach Entlastung der Haushalte in der Gesellschaft angekommen zu sein. Verständlich. Es ist ja auch keine Kleinigkeit, die da von den Bürgern geleistet werden muß.

Sicherlich, der Status des Kriegsflüchtlings beinhaltet kein Bleiberecht. Das gesamte Instrument, Vertriebene und Flüchtlinge während eines Krieges aufzunehmen und damit schnell und unbürokratisch zu helfen, würde entwertet, wenn man Kriegsflüchtlinge, wie von manchen gewünscht, zu Einwanderern machte. Die Bereitschaft der Gesellschaft, bei kommenden Kriegen ebenfalls zu helfen, würde sinken, der Status Kriegsflüchtling hätte sich verbraucht. Die inzwischen tatsächlich nur noch von wenigen erhobene Forderung nach einer vollständigen Integration der Vertriebenen aus Bosnien-Herzegowina in die hiesige Gesellschaft ist unter diesem Gesichtspunkt keine praktikable Politik. Es ist breiter gesellschaftlicher Konsens, daß die Vertriebenen in ihre Heimatland zurückkehren sollen. Über das „Wie“ jedoch ist innenpolitischer Streit ausgebrochen.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die Abschiebepraxis der Innenminister, vor allem jener in Bayern und Berlin, nicht nur unmenschlich gegenüber den Flüchtlingen ist – dies wäre schon Grund genug, diese Praxis abzulehnen –, sondern auch mühsam erworbene außenpolitische Anerkennung und damit internationale Einflußmöglichkeiten zerstört. Wenn den Innenministern tatsächlich nichts anderes einfällt, als mit massiven Druck und Einschüchterungen die „Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr“ zu stärken, wird dies in den vom Krieg geprägten Gesellschaften als starkes Zeichen wahrgenommen. Die Fratze des deutschen Polizeistaates gewinnt wieder Kontur. Unter diesen Vorzeichen ist es kein Zufall, daß die Innenminister es vermieden, sich während der von Kinkel vorgeschlagenen Reise nach Sarajevo mit der realen Lage vor Ort zu konfrontieren. Und die ist nach wie vor gespannt.

Nach wie vor weigern sich die nationalistischen Eliten, die Vertriebenen zurückkehren zu lassen. Die serbischen Nationalisten haben trotz der Unterschrift unter das Abkommen von Dayton jegliche Rückkehr blockiert. In vielen von Kroaten kontrollierten Gebieten ist die Rückkehr wie in Westmostar oder in Stolac unmöglich gemacht. Und auch in den muslimisch kontrollierten Gebieten ist die Aufnahmebereitschaft gesunken. Lediglich in den Regionen um Bihac und Tuzla sind keine politischen Hürden errichtet, dafür türmen sich die administrativen. Die vor dem Krieg 100.000 Einwohner zählende Stadt Tuzla hat bereits 50.000 Flüchtlinge aus Ostbosnien und Brčko aufgenommen. Gegen eine schnelle Rückkehr der Flüchtlinge spricht darüber hinaus, daß viele der Wohnungen der im Ausland lebenden Vertriebenen – wenn sie überhaupt noch existieren – von anderen Flüchtlingen besetzt sind. Neben Wohnraum muß erst noch eine Infrastruktur geschaffen werden. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Wirtschaft liegt angesichts der Blockadepolitik der serbischen und kroatischen Nationalisten immer noch völlig am Boden. Die internationalen Programme dazu sind erst angelaufen und werden zum Teil durch die Brüsseler Bürokratie verschleppt.

Aber warum sich um Details kümmern? Für die bayerischen und Berliner Stammtische spielen diese keine Rolle. Becksteins Idee, Flüchtlinge und Vertriebene zurückzuschicken, auch wenn sie nicht an den ursprünglichen Heimatort zurückkehren können, unterläuft sogar im Einklang mit den Blockierern und ethnischen Säuberern – den Kriegsverbrechern – das Abkommen von Dayton, vernachlässigt Menschenrechte und stellt sich gegen das Völkerrecht. Becksteins Pläne münden in eine Destabilisierung Restbosniens, schlimmstenfalls in einen neuen Krieg. Wie sollte es der muslimischen Volksgruppe und ihrer Führung unter diesen Umständen noch zu vermitteln sein, daß sie sich als einzige an das Abkommen von Dayton halten sollen? Das geteilte Bosnien ist so, wie es jetzt ist, nicht lebensfähig.

Manchen kann dies ja egal sein. Verantwortungsbewußten Menschen jedoch nicht. Außenminister Kinkel hatte in den letzten Tagen die Gelegenheit, sich in dieser Richtung zu profilieren. Leider hat auch er vor dieser Aufgabe kapituliert. Sein pauschaler Appell an die „bosnischen Behörden“, „kooperationsbereiter“ zu sein, geht an der Wirklichkeit vorbei. Warum ist die deutsche Politik in den internationalen Gremien nicht nachhaltig für eine Umsetzung des Abkommens von Dayton eingetreten? Warum weigert sich die Bundeswehr wie die anderen Nato-Truppen innerhalb der SFOR, endlich die Kriegsverbrecher festzunehmen, um damit jene auszuschalten, die nach wie vor die Politik der Teilung verfolgen und die Ergebnisse des Krieges konservieren möchten? Deutschland hat wie andere Aufnahmeländer der Flüchtlinge auch ein Eigeninteresse an der Umsetzung von Dayton. Davon ist in der Außenpolitik trotz starker, aber undifferenzierter Worte des Außenministers nicht viel zu bemerken. Erich Rathfelder