Energieschleuder mit Himmelsgärten

■ Heute wird in Frankfurt das höchste Haus Europas eröffnet: Die neue Commerzbank-Zentrale. Architekt Norman Foster schuf einen Koloß, dessen pure Masse trotz filigraner Formen das umliegende Viertel erdrü

Energieschleuder mit Himmelsgärten

Für Touristen liegt der Unterschied zwischen der Geldkapitale Frankfurt am Main und Berlin in den Nackenmuskeln. Während sich in der Hauptstadt der Hundehaufen durch das Zu-Boden-gucken-Müssen die oberen Halspartien verspannen, drückt am Main der sogenannte Musculus sternocleidomastoideus – auch Kopfwender genannt. Im Himmel über Frankfurt ragt schon die dritte Hochhausgeneration empor. Trotz sinkender Büromieten und Leerstand auf Gewerbeflächen planen private Investoren und Bankgesellschaften ein neues Hochhaus nach dem anderen. Der Wille zur Höhe dominiert in Frankfurt über das Risiko des Crashs. „Wenn es wirtschaftlich in Richtung Talsohle geht“, bemerkte jüngst ein grüner Stadtverordneter im Frankfurter Römer, „baut man erst recht Repräsentation“. Was zähle, sind Grenzüberschreitungen und neue Dimensionen jenseits der 200- und 300-Meter-Schallmauer im Konzert der „Global-Cities“ für das 21. Jahrhundert.

Die Antenne der neuen 600 Millionen Mark teuren Commerzbank kratzt mit 300 Metern an dieser repräsentativen Himmelsmarke. Das höchste Haus Europas, entworfen vom britischen Architekten Norman Foster, der mit der Honkong & Shanghai Bank, dem Sendeturm in Barcelona und dem High-Tech-Umbau des Reichstags für Furore sorgte, überragt den Messeturm (259 Meter) von Helmut Jahn um satte 40 Meter. Superlativ auch die anderen Dimensionen des megalomanen Bank-Kolosses, der den über 100 Meter hohen benachbarten Altbau der Commerzbank buchstäblich in den Schatten stellt: 60.000 Tonnen wiegt der neue schwere Riese aus Stahl und Glas. Damit er nicht kippt, hat Foster ihn 48 Meter tief in die Erde gesteckt. 120.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche faßt der dreieckige Turm, in dem in über tausend Büros rund 2.500 Banker jobben.

Und die dürfen nicht faulenzen: Ein Bewegungsmelder registriert in jedem Büro, ob sich die Mitarbeiter tummeln. Rühren sie sich nicht, schaltet ein Zentralcomputer automatisch die Rechner, das Licht sowie die Lüftung aus, schließt die Kippfenster und signalisiert der Überwachungszentrale, daß in einem der Büros der laue Lenz Einzug gehalten hat. Tauchen solche Ruhezonen in der Überwachungszentrale gehäuft auf, kann das Konsequenzen haben: Sich nicht regen, bringt der Commerzbank keinen Segen.

Diese Vision ist jedoch eher der Alptraum eines gestreßten Angestellten. „Der Bewegungsmelder bildet in Wahrheit ein Element der Energieeinsparung des Hochhauses“, erklärt der Projektleiter des Foster-Turms, Lutz Kalkstein. Leere Büros oder verwaiste Arbeitsplätze weiterhin zu beleuchten, zu belüften oder gar mit Strom für die Computer zu versorgen, „ist schlichtweg unwirtschaftlich und unökologisch“ – deshalb die „intelligente“ Steuerungstechnik und natürliche Klimatisierung.

Das Atrium – fünfzig Etagen hoch

Das Image des „Öko-Wolkenkratzers“ hat der mächtige Bau, der sich seit 1994 Stück für Stück aus der Mitte Frankfurts hochschraubte, aber nicht wegen seines innovativen Energiekonzepts erhalten, sondern durch die neun „Himmelsgärten“, die Foster als grüne Klimazonen zwischen die High-Tech-Büroetagen schob. Sie nehmen jeweils eine 60 Meter lange Seite des Dreieckturms ein und werden von zwei vierstöckigen Büroflügeln flakiert. Im Wechsel mit den Büros sind die Gärten spiralförmig bis hinauf zum 43. Stockwerk angeordnet. Damit der Blick aus den zum Innenhof liegenden Räumen über die 14 Meter hohen grünen Gartenetagen überhaupt nach draußen gehen kann, hat Foster den Kern des Hochhauses offen gelassen und als durchgehende Atrium-Röhre bis zum 50. Obergeschoß gestaltet.

Die Gärten bilden zwar den Clou der Planung, die mit viel durchlässiger Baumasse, großen Büroräumen, natürlichem Licht und gläsernen Fassaden daherkommt. Von einem Öko-Hochhaus indessen kann nicht die Rede sein. Zwar wurden kostbare Pflanzen – Obstbäume, Olivenbäume, Zypressen, Azaleen und asiatische Magniolen – beschafft, die dem spezifischen Klima in der Höhe standhalten. Doch die „Natur“ wurzelt in großen Pflanzentrögen, unterbrochen von Steinbänken und Getränkeautomaten. Die Grünzonen müssen für das Mittagspäuschen oder kleine Besprechungen Sitzplätze und saubere Gehwege anbieten.

Auch die 80 Millionen Mark, die der Bauherr als Investition in die Haustechnik steckte, um Energie für Wärme, Wasser und Kühlung zu sparen, werden zur Chimäre, schaut man sich die Energiebilanz des High-Tech-Towers genauer an. Es werden zwar rund 25 Prozent weniger Energie verbraucht als bei herkömmlich betonierten Spargelbauten. Doch der Wolkenkratzer entpuppt sich als Energieschleuder: Allein der tägliche Energieverbrauch kommt der Versorgung einer Kleinstadt gleich. Fast eine halbe Million Mark täglich, betont Kalkstein, verschlinge das Gebäude für die elektronische Technik, sanitären Anlagen, Lüftung und so weiter.

Skepsis ist auch bezüglich der Dominanz des Hochhauses inmitten der City geboten. Während sich der Turm mit der Antenne aus der Ferne zu einer regelrechten Spitze verjüngt – die Nordseite ist 198, die Südseite 205 und die Westseite 221 Meter hoch –, verschwindet aus der Perspektive der Stadt die filigrane Form. Statt schlanker Höhe drückt das Hochhaus mit purer Masse die umliegenden Bauten zwischen Kaiserplatz und Großer Gallusstraße nieder.

Schnickschnack als Formel für Urbanität

Zum anderen ist es gerade die Bebauung rund um den Turm mit Geschäfts- und Parkhäusern, die sich als kalte Stadtkulisse darstellt. Als Hauptelement der Vermittlung zwischen der Verwaltungszentrale der Commerzbank und der Stadt hat sich Foster eine Passage vom Kaiserplatz über eine „Plaza“ hinein in das riesige Foyer gedacht, von dem aus der Besucher über eine Freitreppe zur Großen Gallusstraße gelangt. Auf dem Weg dorthin begegnet man viel architektonischem Schnickschnack – ein Lichthof mit Restaurants, Casino und Bistros neben Säulen, polierter Stein, ein „Skulpturengarten“ und gläserne Aufzüge, die nach oben schießen.

Ob das Konzept der Integration von Stadt und Hochhaus allerdings aufgeht, ist zweifelhaft, bleibt doch von der beschworenen Urbanität nicht mehr übrig als ein schicker Imbiß. Kommunikation und urbaner Raum schrumpfen auf Bestellen und Kassieren zusammen. Zudem liegt der „öffentliche“ Bereich über dem Straßenniveau. Nachts wird der Durchgang geschlossen: Urbanität als Leerformel.