"Wir predigen nichts"

■ Stadionrock hat doch eine Zukunft. Sie heißt The Prodigy, kommt aus England und hat mit Techno halbe-halbe gemacht. Bloß die Feuerzeugromantik ist passe

taz: In seltener Eintracht werden The Prodigy von den Medien als die Zukunft der Rockmusik gepriesen. Dabei hat die Gruppe als Dancefloor-Projekt begonnen.

Liam Howlett: Ich spucke drauf, wenn du es wissen willst. The Prodigy lachen allen schallend ins Gesicht, die uns nachsagen, wir würden auf einen Zug aufspringen. Am Ende des Tages haben alle das gleiche geschrieben, und wir haben bloß die Energie und die Aggression des Rock mit den Rhythmen des HipHop und elektronischen Sounds kombiniert.

Zum erstenmal hat eine solche Grenzüberschreitung jedoch Erfolg.

Keith Flynt: Unsere Musik ist sehr expressiv. Für mich ist es außerordentlich wichtig, daß man zu Musik tanzen kann, daß Musik körperlich wird. Das aber hat mir bei der Rockmusik mit ihren abgenutzten Posen immer gefehlt. Wenn du zu uns kommst, kannst du the fuck tun, was du willst: Du kannst abrocken, du kannst Aggressionen katalysieren, du kannst Drogen essen, du kannst tanzen, du kannst mitwippen. Wir predigen nichts, alles ist erlaubt. Als wir neulich in Japan aufgetreten sind, kam unser Publikum gepflegt in den Saal – und ging mit verrutschten Krawatten wieder raus.

Das ist das Prinzip von Rock'n'Roll immer schon gewesen. Der große Unterschied zwischen Rockmusik und The Prodigy allerdings ist, daß es bei euch keine Balladen gibt, keine Momente der Ruhe. Wie hält ein Mensch das aus?

Howlett: Mit Haschisch zum Beispiel. Im übrigen besitzt unser musikalisches Konzept sehr wohl Momente der Ruhe: das Störgeräusch, ein langes Intro, beatlose Momente zum Luftholen bringen dich wieder zur Besinnung. Ich scheiße auf die sogenannten Rockballaden. Was brauchen wir falsche Romantik?

Aber trägt nicht selbst die Sehnsucht nach konturenscharfer Härte in der Musik Züge einer – nennen wir es – „Endzeit“-Romantik?

Howlett: Klar tut sie das, aber gerade das ist ja eben keine falsche Romantik. Und mit Keith Flynt, Maxim Reality und Leeroy Thornhill haben The Prodigy drei exzentrische Tänzer und Sänger, die in der Lage sind, diese Sehnsucht nach Rausch auch zu transportieren.

Geht der Rausch auch ohne Aggressivität?

Howlett: Bestimmt. Aber das machen andere, und ich höre denen zu. Ich würde unserer Musik eher eine Ventilfunktion zusprechen: Aggression wird in der Musik katalysiert. Das ist wie Fußball oder Boxen. Also mußten wir den Dancebeats von The Prodigy Härte stiften, damit der Druckablaß auch funktioniert. In diesem Sinne hat jede Musik, ja jede Schallplatte eine Funktion: Will ich entspannen, höre ich Oasis. Will ich auf den Kopf, höre ich Rage Against The Machine. Oder uns.

Das war einmal anders. Zu Beginn ihrer Karriere wurden The Prodigy als „Kinder-Techno“ verhöhnt.

Howlett: Die stilistische Wandlung, die wir durchgemacht haben, hat tatsächlich etwas damit zu tun, mit welcher Musik ich in den ganzen letzten Jahren konfrontiert wurde. Vor fünf Jahren, als wir mit „Experience“ unser erstes Album herausbrachten, war ich von der explodierenden Tanzmusik, von Techno, von Elektro, von den Anfängen der Breakbeats begeistert – und hörte auch nur solche Musik. Daß das Album dieser Gewohnheit Tribut zollte, ist für mich aus heutiger Sicht nur nachvollziehbar.

Und dann änderten sich die Hörgewohnheiten und somit auch die eigene Arbeitsweise?

Howlett: Ja, mir wurde das alles irgendwann zu eindimensional, zu langweilig. Ich begann Schweinerock wie Led Zeppelin zu hören – und war von der Power begeistert, obwohl mich die Attitüde langweilte. Ich begann wieder HipHop zu hören. Mit einem Mal wollte ich nur noch, daß es knallt.

Das heißt: vor allem im Konzert?

LH: Es gibt nur ein Gesetz: We want to rock the fuckin' place off!

Mehr nicht?

KF: Wir haben eine einfache Philosophie: Ich will noch viel erleben. Und zwar am besten Dinge, die mir einen Kick geben. Davon handelt „Firestarter“ – und davon handelt auch „Breathe“. Wenn bereits die Musik in der Lage ist, das zu transportieren, braucht nicht mehr viel gelabert zu werden. Das haben wir vom Dancefloor gelernt.

Aber gerade ein Album wie „Music For The Jilted Generation“ besaß auch eine politische Bedeutung, mit seinem Bild einer politisierten Jugend, die nicht mehr den Dialog mit den sogenannten Herrschenden sucht, sondern an deren Gesetzen vorbei ein Leben lebt, das als lebenswert erscheint. Das war eine klare Kontraposition zum britischen „Criminal Justice Bill“-Gesetz, das große Versammlungen von Jugendlichen – etwa auf Raves – verboten hat.

Howlett: Danke, aber das ist Vergangenheit. Es ging uns damals direkt an – als Musiker, als Menschen, die Spaß haben wollten. Das hat sich jetzt etwas entspannt.

Flynt: Die Raves finden jetzt als Festivals statt und haben den alteingesessenen Rock-Open-airs völlig unerwartet gänzlich neue Impulse gegeben. Es ist nun einmal ein Unterschied, ob die Chemical Brothers, The Prodigy oder Underworld an einem Festival teilnehmen oder nicht. Wenn ja, mischen sich die Zuschauer, und es entsteht etwas Neues.

Haben sich die Zeiten geändert oder die Jugendlichen?

Flynt: Beides. Und Musik hat immer beschleunigt, gelenkt, beschwichtigt, geschürt. Denk doch einfach mal an die Zeiten, die wir selbst gar nicht miterlebt haben, als sich Mods und Rocker gegenseitig auf die Fresse gehauen haben. Auch wenn viele sagen, die Jugend sei heute nur noch konsumgeil: Ich sehe zunächst einmal die Weltoffenheit, die dahintersteckt, wenn man sich kleiden darf, wie man will, wenn man seine Haare tragen darf, wie man will, wenn man sich ausdrücken darf. Und niemand nimmt sich das Recht heraus, das zu kritisieren. Das war vor 30 Jahren anders.

Vor drei Jahren behaupteten The Prodigy, sie müßten ihre Musik vor der Kommerzialität schützen. Einleitend hieß es auf dem letzten Album: „So I decided to put my work back underground.“ Jetzt seid Ihr Weltstars.

Flynt: Der Begriff „Underground“ und unser Status als Band, die mittlerweile die großen Hallen ausverkauft, sind Dinge, die nicht so leicht zusammenzukriegen sind. Wir für unseren Teil haben uns auf die Sprachregelung verständigt, daß wir „glaubwürdig“ bleiben wollen – und wir dem „Underground“ alles Gutes wünschen. Es gibt niemanden, der uns diktiert, wie wir uns anzuziehen haben, es gibt niemanden, der uns marktkompatibel macht, und es gibt kein Interesse unsererseits, den Mainstream zu erobern. Im Gegenteil: Der Mainstream hat sich uns angenähert. Aber das ist nicht unser Problem. Wir nehmen das zur Kenntnis.

The Prodigy lehnten das Angebot der gelifteten U2 ab, deren Vorprogramm auf ihrer gerade begonnenen Welttournee zu bestreiten. Etwa, weil das „Ausverkauf der Ideale“ gewesen wäre?

Howlett: Nein, das ist so nicht wahr. Wir mögen die. Es hätte uns jedoch aufgerieben. Bei unserem Status wäre es in jedem Fall ein Fehler, jetzt nicht unter eigenem Namen – und dafür zumindest in Amerika in viel kleineren Hallen – zu reisen. In diesem Sinne gehen wir in Amerika gerne den harten Weg und sind ein zweites Mal „Underground“, arbeiten uns langsam nach oben. In Amerika ist so etwas wie ein Fundament viel wichtiger als in Europa, wo die Menschen ein besseres Personengedächtnis haben. Als wir vor fünf Jahren zum erstenmal in den USA waren, mußten wir unter entwürdigenden Bedingungen spielen. Das hat sich von Jahr zu Jahr gebessert. Und jetzt machen wir sie fertig. Interview: Max Dax

Restliche Tourneedaten:

13.6. Essen

21.6. Leipzig

22.6. München