Die Wiederkehr von Elvis

Spätestens seit dem Album „Ingenue“ galt K.D. Lang als countrysingende Ikone des Gay-Chic. Auf „Drag“ besingt sie die Zigarette danach und mehr  ■ Von Jörg Feyer

Es war einmal ein Cowgirl aus einem 714-Leute-Kaff in der kanadischen Provinz Alberta. Das wollte Liebe und Anerkennung, Glamour und Ruhm. Der Vater, die wichtigste Bezugsperson der Kindheit, war wegen einer anderen Frau eines Tages einfach verschwunden. Einfach so, als Kathryn Dawn Lang, das Mädchen vom Land, das ebensogern Volleyball wie Klavier spielte, gerade 13 war.

Mit 14 schrieb sie das erste Liebeslied: für die Lehrerin. Und eine himmlische Instanz, an die zu glauben man in diesem Fall selbst als bekennender Atheist geneigt ist, nötigte sie, nicht mit Zitronen zu handeln: Es ward ihr auch eine Stimme mit auf den Weg gegeben, die später selbst neben der von Roy Orbison bestehen sollte. Und ein Charisma, eine natürliche Autorität als Performerin, die eine gewisse Madonna einmal auf ihre womöglich größte Weisheit brachte: Sie habe Elvis wiedergesehen – und der sei jetzt eine Frau und „wunderschön“.

Nachdem sie zuvor an der Country-Festung „Nashville“ mit Alben wie „Absolutely Torch & Twang“ mutig und in Würde gescheitert war, hatte K.D. Lang 1992 dann endlich, wonach „ich all die Jahre gestrebt hatte“. Mit dem wunderbaren Album „Ingenue“ streifte die Sängerin nicht nur die stilistischen Fesseln des Country- Genres ab (wenngleich das Image der „etwas anderen“ Countrysängerin hartnäckig an ihr kleben blieb). Zudem gelang ihr mit der subtilen Verarbeitung einer durchlittenen Liebe zu einer Frau in (leider anderen) festen Händen die Wende zu einem eher autobiographisch inspirierten Songwriter-Stil. Und mit der „Grammy“-dekorierten Hit-Single „Constant Craving“ schaffte sie auch den Durchbruch zum Mainstream-Publikum, ohne an Credibility für die Lesbengemeinde einzubüßen, die Lang schon lange vor ihrem Coming-out verehrt hatte.

Lang war endgültig zur Ikone eines Gay-Chic geworden, was am sinnfälligsten wohl in einer Titelgeschichte in Vanity Fair seinen Ausdruck fand. Da posierte Lang gemeinsam mit Cindy Crawford – im Anzug auf dem Barbierstuhl bei neckischen Rasierspielchen mit dem knapp bekleideten, hoch stöckelnden Starmodel: „Sisters are doin' it.“ Oder tun zumindest so. K.D. Lang auf dem Weg zum Superstar mit Hollywood-Ambitionen?

Zwei Jahre später lieferte sie plötzlich nur noch Rückzugsgefechte. Zu groß war offenbar die Lücke zwischen der öffentlichen Person K.D. Lang geworden, die sich auf Tourneen aus Selbstschutz gern den „maskulinen Mantel“ (Lang) umhängt, und der sensiblen Künstlerin, die mit Erfolgsdruck und Erwartungshaltungen nicht klarkam. Ihr öffentliches Engagement für allerlei gesellschaftliche Belange (etwa die Tierschutzorganisation Peta) hatte die Vegetarierin eingestellt oder bestenfalls auf eine „informelle“ Ebene verlagert. In Consort, dem 714-Leute-Kaff, hatten sie das stolze Ortsschild „Home of k.d. lang“ nach einem lokalen Engagement für die vegetarische Sache (und entsprechendem Zorn der Farmer-Lobby) abgehängt. „Eat meat, Dyke“ („Iß Fleisch, Lesbe!“) hatten böse Menschen vorher drangeschmiert. Von den Fotos mit Crawford distanzierte sie sich: Sie könne, so Lang, jetzt die „negativen Konnotationen“ dieser Aufnahmen erkennen, die eben doch wieder nur in den Klischees einer Sexualität erstarrten, die sie immer kritisiert hatte (und etwa ihrer Mentorin Madonna vorwarf).

Auf dem merkwürdig blassen Album „All You Can Eat“, das obendrein nicht nur hinter ihren Verkaufserwartungen zurückblieb, haderte sie 1995 voller Selbstzweifel mit der Szenerie des Ruhms, die sie nach „Ingenue“ selbst gesucht hatte. Fazit: „Die Leute wollen immer das, was sie nicht haben.“

Unausgesprochen schloß sie das selbst mit ein. Und: Nichts „von dem da draußen“ bringe einen „wirklich irgendwohin“, sondern nur „der eigene Instinkt“. Im Gespräch träumte sie schon mal vom musikalischen Vorruhestand, von der „großartigen Flucht“, einfach nur noch Bilder zu malen (was sie nebenbei schon seit einer kleinen Ewigkeit tut). Stummes Entsetzen schließlich bei ihrer Plattenfirma, als sie Ende vorigen Jahres verkündete, ein neues Album sei „in den nächsten fünf Jahren“ wohl nicht zu erwarten. Fünf Jahre, nicht zwei! Quo vadis, Kathryn Dawn Lang?

Doch dann ging plötzlich alles sehr schnell. Eine „Vision“ überkam sie im Januar diesen Jahres, „verschiedene Dimensionen“ des Themas tauchten vor ihrem geistigen Auge auf: Eine Frau und eine Zigarette – da muß doch mehr drin sein als schwüle Fotostrecken mit Mega-Models für kriselnde Wochenmagazine?

Keine fünf Monate später sitzt Lang schon in First-class-Hotels an ausgewählten Medienstandorten rund um die Welt herum, um dezent, aber bestimmt die Promotrommel fürs neue Album „Drag“ zu rühren. Aufatmen bei der Company. Wenngleich: Es gibt kein Video diesmal – „teure Zeitverschwendung“, mosert Lang, zumal sie ohnehin keiner spiele. Dem blauen Dunst als Metapher für kleine und große human tragedies war Lang schon immer zugetan. Patsy Clines „3 Cigarettes In An Ashtray“ gehörte einige Jahre zu den Höhepunkten ihres Live- Repertoires, auf dem durch und durch klassischen Country-Album „Shadowland“ schenkte sie 1988 Harlan Howards „I'm Down To My last Cigarette“ der Ewigkeit.

Auf „Drag“ geht's exklusiv ums Rauchen, aber natürlich immer auch um mehr als das. Nicht nur, weil Lang Nichtraucherin ist und bei ihrem Showcase-Auftritt im Hamburger „Erotic Art Museum“ Rauchverbot erteilt. Die Zigarette also als Sinnbild für Lust und Sucht, für die ewige Konstante im Auf und Ab des Alltags – „Human need“, heißt das bei K.D. Lang.

Die Klippen der Political Correctness, die in den zumal schadenersatzfreudigen USA steil aufragen und selbst dem scheuen Rehauge Winona Ryder zusetzen (weil sie in einem Film geraucht hatte, mon dieu!), umschifft Lang dabei hochelegant. Natürlich sei ihr klar gewesen, daß das Thema „kontrovers“ diskutiert werde. Ihr sei es aber nicht um ein „persönliches“ oder gar „politisches Statement“ gegangen, vielmehr darum, eine möglichst „objektive Studie der Angelegenheit“ abzuliefern. Was sich – gottlob! – viel weniger trocken anhört, als es sich liest.

So rehabilitiert sie den Hollies- Song „The Air That I Breathe“ als sanftes „Schlaflied nach dem Sex“ (Lang); und dem Macho-Klassiker „The Joker“ von Steve Miller krault sie verspielt die Eier weg.

Kein anderer Song aber bringt den Tenor von „Drag“, dieses stete Zusammenspiel von Dunklem und Leichtem, von Humoreske und Tragödie, besser auf den Punkt als Jane Siberrys brillantes „Ain't It Funny“ – eine emotionale Fata Morgana, der letztlich doch nur Banales entspringt: Er oder sie ist wirklich nur eben mal Zigaretten holen gegangen. Und nicht für immer. Erstmals seit „Shadowland“ zieht sich Lang auf „Drag“ wieder ganz auf ihre Interpretationskunst zurück. Wirklich „befreiend“ sei das gewesen, sich nicht dem „intensiven Prozeß“ des Schreibens aussetzen zu müssen, nachdem sie auf „All You Can Eat“ im Strudel eigener Befindlichkeiten unterzugehen drohte. Und erstmals in einer nun 13jährigen Plattenkarriere stand ihr bei „Drag“ jener Mann nicht zur Seite, der bisher zu K.D. Lang gehörte wie Pat zu Patachon: Ben Mink. Schon im Vorfeld von „Ingenue“ hatte sie Bedenken angemeldet, ob ihr Arrangeur und Koautor den Weg weiter mit ihr gehen könne. Doch jetzt entwickelten sich die Dinge auf „natürliche Art und Weise“ (Lang) auseinander – Mink ist letztens zum zweitenmal Vater geworden und möchte es nun als „family man“, so Lang, „etwas ruhiger angehen lassen. Unsere kreative Beziehung fußte immer auf dem Songwriting, aber diesmal wollte ich einfach singen und die Stimulanz neuer Leute suchen.“ In deren Gegenwart, so Lang mit typischem Hintersinn, müsse man sich überdies „gut benehmen und ein paar alte Gewohnheiten abschütteln“.

Damit markiert „Drag“ einen interessanten Wendepunkt in Langs Karriere, die nun jenseits großer Erwartungen von außen oder ihren eigenen Ambitionen wieder offener scheint. Und das selbst für Dinge, die sie nach „All You Can Eat“ schon voller Selbstzweifel zu den Akten gelegt hatte. So fühlt sie sich „durchaus inspiriert“, wieder eifrig in Drehbüchern zu wühlen, um ihrem Leinwanddebüt als kantiger Eskimo- Androgyn in dem leider mißglückten „Salmonberries“ von Percy Adlon (1991) weitere Kinoauftritte folgen zu lassen. Es gebe „vielleicht doch ein paar Dinge, die ich nur vor der Kamera ausdrücken kann. Denn meine Stimme schränkt mein stilistisches Spektrum doch ein.“ Selbst in der Rubrik „Produzentin“ dürfte ihr Name künftig öfter auftauchen. Die erste Arbeitsprobe mit The Murmurs, der Band ihrer aktuellen Lebensgefährtin Leisha Hailey – „eine Mischung aus frühen Veruca Salt und den GoGo's“ –, steht dieser Tage in den Läden, für weitere Angebote sei sie „jederzeit offen“.

Ihrem eigenen Anspruch an die Kunst der Interpretation wird K.D. Lang mit „Drag“ jedenfalls gerecht. Es gehe darum, so Lang, „die Absicht des Autors oder des Sängers, von dem man es gelernt hat, wahrhaftig zu erkennen“ und etwas davon zu bewahren, aber „gleichzeitig dem Ganzen den eigenen Stil zu geben“. Alles müsse „größer werden, nicht kleiner“. Man dürfe sich nicht in Wiederholungen erschöpfen, aber „auch nicht alles über den Haufen werfen“. Rückblickend fällt ihr kein Song ein, den sie unter Wert verkauft hat, „aber wahrscheinlich habe ich die Ausrutscher aus meiner Erinnerung getilgt oder ganz weit in die Ecke geschoben“.

Ganz frisch allerdings ist noch dieser Anruf von Joni Mitchell, die Lang fragte, ob sie nicht für ein Tribute-Album „Help Me“ singen wolle. Nichts ist ihr bislang schwerer gefallen. Zwar verehrt sie Joni Mitchell, aber es sei „ungeheuer schwierig“, ihre Songs zu singen, weil man kaum etwas verändern könne, „ohne gleich den ganzen Song zu ruinieren“. Text, Phrasierung und Melodie seien bei Mitchell einfach so eng miteinander verwoben. K.D. Lang: „Wenn es je einen Song gegeben hat, bei dem ich Angst hatte zu versagen, dann bei diesem.“ Trotzdem: Für ein Cowgirl ist sie verdammt weit gekommen.

K. D. Lang: „Drag“ (WEA)