Sehnsucht saugt

■ Gern konkret: Stubenhocker-Rock mit Niels Frevert

In Hamburg sind die Jahreszeiten zwischen den Jahreszeiten länger als anderswo. Wenn in Berlin längst der Sommer ausgebrochen ist, sehnt sich der Hamburger nach den ersten Frühlingstagen. Rodelt der Münchener bereits in den Voralpen, nieselt es Schneematsch in der Hansestadt. Lieder, die in einer derartigen Umgebung entstehen, sind nicht selten geprägt von der Melancholie oder schweren Gedanken, hervorgerufen durch zuviel Stubenhocken. Im besten Falle jedoch finden die Grübelei und die Sehnsucht nach einem Himmel ohne dunkle Wolken zusammen, und es entsteht so etwas wie eine nachdenkliche Euphorie.

Niels Frevert kennt den Himmel über Hamburg. Selbst seine Karriere war bislang verhangen, denn mit seiner ruhenden Band Die Nationalgalerie hatte der Sänger die zweifelhafte Freude, bei jeder anstehenden Veröffentlichung seiner Gruppe von der Trendpresse als die große deutsche Pop- Hoffnung gefeiert zu werden – und doch nie mehr als ein paar hundert Menschen zu seinen Konzerten zu locken.

Jetzt hat der 30jährige sein erstes Soloalbum veröffentlicht. Und wieder heißt es, Frevert sei Hoffnungsträger, Frevert stünde kurz vor dem Durchbruch. „Ich kann meine Uhr danach stellen“, gibt der so auf brüchige Sockel Gehobene zu Protokoll, „aber die Leute reden sowieso.“

Als ob der Weg, den Die Nationalgalerie mit ihrem im Laufe der Jahre zunehmend bekümmerter geratenen Power-Pop eingeschlagen hatte, sich rückblickend als zwar euphorisch, aber zuwenig nachdenklich erwiesen hätte, geht Niels Frevert auf seinem ersten Album unter eigenem Namen in sich. „Du mußt zu Hause sein, wenn es dunkel wird, wenn die Welt untergeht, und der Flieder nie mehr blüht, dann mußt du bei mir sein“, umschreibt der Hamburger, der seine Jeans gegen einen zerschlissenen, aber gut sitzenden Nadelstreifenanzug tauschte, in dem swingenden Lied „Du mußt zu Hause sein“ den schlichten Wunsch nach Nähe. Eben keine Hamburger Schule, sondern von einem Streichquartett begleitete Betrachtungen von außen auf das Verhaftetsein in der eigenen Nachdenklichkeit.

Worte also, die, anders als bei willkommenen Theoretikern wie Cpt. Kirk und/oder Blumfeld, nicht nach Synonymen suchen, sondern mit Bildern arbeiten. Und von diesem Standort aus zu berichten. „Ich habe da diese Vorstellung, daß dieses Lied im Radio läuft, wenn die Welt untergeht. Natürlich weiß ich, daß das eine seltsame Idee ist, aber sie entspricht meiner Sicht der Dinge. Mich interessiert das Konkrete mehr als das Abstrakte.“

Daß die Musik dieses nicht mehr ganz so jungen Hamburgers dennoch verhältnismäßig wild geriet – wir reden von Rockmusik, nicht von Pop-Universen –, steht dem privaten Weltentwurf Niels Freverts nicht im Wege. Höchstens den Vermarktungsstrategien seiner Plattenfirma Motor Music, denn heute verkauft sich am besten Musik, die sich unter dem Etikett „Drum & Bass“ dem hysterischen, von Heroingenuß beeinflußten harten Jazz eines Miles Davis nähert – und selbst die muß man in Deutschland lange suchen. Nein, die Rockmusik Niels Freverts explodiert unter dem Wunsch, mit sparsamer Instrumentierung und knappen Arrangements direkt zu kommunizieren, eben keine Brechungen um der Brechungen willen zu transportieren. „Es gibt Zweifel, die ich habe, und für die habe ich Worte gefunden, die mir adäquat erschienen: Diese Worte sind spröde, aber sie öffnen sich, wenn man sich ihnen widmen möchte. Und genauso wollte ich, daß die Musik sich mitteilt – spröde, aber mitteilsam.“

Bei einem Auftritt Niels Freverts im Hamburger Hafenklang- Studio, einem zum Abriß freigegebenen alten Haus direkt an der Elbe, präsentierte sich der Sänger kürzlich gelassen wie selbst in guten Tagen der Nationalgalerie nur selten. Das Publikum feierte das Heimspiel nicht zuletzt, weil eine Stimme wie aus der Versenkung wieder aufgetaucht war. Denn eines sollte hier noch angemerkt werden: Dieser Mann hat eine schöne Stimme. Und seit diesem Neustart lohnt es sich, ihr zuzuhören. Max Dax

Niels Frevert: „Niels Frevert“ (Motor Music)