Zwischen den Rillen: Dunkle Prinzen
■ Geheimlogen in Sachen HipHop: Diamond D, EPMD, Gravediggaz
HipHop mischt sich immer weiter, bildet Seitenprojekte, Dream Teams, Seilschaften. Die Transferlisten sind lang und unübersichtlich, die Kooperationen multipel. Hinzu kommen alte Kämpfer, die zurückkehren. Das einzige, was die vorliegenden drei Alben verbindet, ist die Ostküstenvorliebe für filmmusikähnliche Einleitungen, Pianoparts und den Einsatz von Streichern und Gitarren.
Diamond D, der alte Produzenten-Routinier (Fugees u.a.), bringt auf „Hatred, Passion and Infidelity“ wenig Haß, noch weniger Passion, dafür perfekte musikalische Rundung. Das Album, auf dem neben dem unvermeidlichen Busta Rhymes auch Pete Rock und Phife von A Tribe called Quest auftauchen, paßt Blechbläser ebenso perfekt in den Flow ein wie Vibraphon, Klavier und Streicher. Thematisch erstreckt es sich von nachdenklichen Herkunftsbetrachtungen wie in „No Wonduh (where we live is called the projects)“ hin zur Stilisierung des Haschischrauchens als Lebenserfüllung – mit gelegentlich ironischen Brüchen zum zeitlos schönen Thema Sex.
„Hatred, Passion and Infinity“ ist ein Partyalbum, das zumindest auf einem Gebiet Zeichen setzt: Die musikalische Umgebung wird heute – zumindest an der Ostküste – den Reimen direkt auf den Körper geschneidert. Die Zeit des Patchworkens scheint vorbei. Vorgängerraps, Soul, Funk und R&B werden nicht mehr fragmentarisch zitiert, die Instrumente direkt für den jeweiligen Song aufgenommen. Vom Höreffekt her ist das nicht unangenehm, die Stimme steht weniger massiv im Vordergrund. Die Reime werden im Sprechgesang moduliert, ohne daß jemand anfangen müßte zu schnulzen oder zu brüllen.
EPMD, die alten Größen, deren Albumtitel „Back In Business“ hier Programm ist, machen es ähnlich – mit etwas anderen Mitteln. Auf „Richter Scale“ bildet eine Stimme, die Südstaaten-Gospel-Soul intoniert, die eindrucksvolle Grundlage für Vocoder-Ausflüge und Westcoast-Gefiepse. Überhaupt liegt für EPMD, neben dem saisonbedingten Discoding, die Westküste nicht unbedingt auf der anderen Seite. Sie verwenden G-Funk genauso wie Streichereinheiten. Doch der Hang zur klassischen Instrumentierung, bei Diamond noch respektabel, klingt bei EPMD oft nach einer schlechten Titelmusik für fürchterliche Soaps (etwa in „Dungeon Master“). Bloß in „K.I.M.“, das Keith Murray und Redman featuret, scheint eine Mozart-Platte in der Endlosrille zu hängen – das freundlich Belanglose wird zum hysterisch Nervigen gebrochen. „Jane PT.5“ hat ein ultrahartes Beatintro, auf das Seventies- Querflöten gelegt werden, die direkt in Blaxploitation-Sehnsüchte treiben. Wenn die schnelle Euphorie abgefackelt ist, klingen EPMD einfach ein bißchen langweilig.
Ganz anders die neue Gravediggaz. „The Pick, the Sickle and the Shovel“ ist ein Album voll streitbarer Botschaften vom Dream Team des Hiphop, featuring The RZA, Mastermind des Wu-Tang Clans, Prince Paul, ehemaliger Produzent von De La Soul, Poetic aka Grym Reaper formerly known as Two Poetic und Frukwan, der aus seiner Pionierzeit bei Stetsasonic bekannt ist.
Das Erscheinungsbild dieses Totengräberordens ist radical rap chic. RZA sitzt mit Turban und einem stechend weißen, gallabiaähnlichen Bekleidungsstück da und spielt Edward mit den Scherenhänden aus purem Gold. Es hat etwas von 1001er Nacht, Mittelalter, Prinzentum. Zugleich sind die titelgebenden Hacke, Schaufel und Sense eine afroamerikanische Parallele zum Geheimwissen von Freimaurerlogen. Dann wiederum ist die Totengräbersymbolik ganz real, entspricht den Lebensbedingungen von Migranten im urbanen Wahn US-amerikanischer Städte.
Anläßlich der ersten Single „Diary of a Mad Man“ wurde der Begriff „Horrorcore“ geprägt – eine Zuschreibung, die sich auch hier nicht ganz wegschreiben läßt. Die gewählt quälend verlangsamten, vordergründig fröhlich-heilen Sound- Ambiente, in die die Texte eingebettet sind, haben etwas von Splatter- und Horror-Film- Soundtracks. Nur die Dialoge, eine Mischung aus Gottesanbetung, Verschwörung, Polizeibericht und ultrakonservativen Familienbildern, hätten vermutlich keine Chance in Hollywood.
Die düstere Prinzengarde gibt sich mit ihrer Mischung aus orientalischer Ornamentik, mittelalterlicher Mystik und paranoider Radikalität eine ganz eigene kollektive Identität. Anklänge davon kennt man vom Wu-Tang Clan, von Bone Thugs'N Harmony und Scarface, aber alles ist noch offener, noch kruder. Eine kleine Serenade von Barry White paßt sich genauso gut ins Totengräberuniversum ein wie mexikanische Filmmusikanklänge auf „Hidden Emotions“ der Gesang auf „What's going on“, der sich wie ein russischer A-Capella-Chor anhört.
Zu allem Überfluß gibt es auch noch ein Märchen auf der Platte. Es handelt von drei kleinen Schweinchen, dem weißen, braunen und schwarzen, und betoniert die Geschichte von der Bösartigkeit des weißen Mannes, des „Beast“, wie Louis Farrakhan es in einer seiner Nation-of-Islam-Lehren in Kurs gesetzt hat: die Herzlosigkeit des Kapitalismus als Ausfluß eines bösen Wesens blauäugiger Männer.
Auf „Fairytalez“ spielt das Salsound Orchestra gruselige Streicherparts im Hintergrund, die Beatbox hält die Verbindung zum Bauch – im Kopf herrscht eher Beklemmung. „The Pick, The Sickle and The Shovel“ ist ein anstrengendes, nerviges und superspannendes Album.
Annette Weber
Gravediggaz: „The Pick, The Sickle and the Shovel“ (GeeStreet/V2/Rough Trade)
EPMD: „Back in Business“ (Mercury)
Diamond D: „Hatred, Passion and Infidelity“ (Mercury)
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