: Zu zornig für Schönheit
Nach fünf Jahren ohne Ausstellung ist die Fotokünstlerin und Act-Up-Aktivistin Zoe Leonard in Basel, Glarus und Wien zu sehen ■ Von Jochen Becker
Die weiße Ausstellungskiste der Wiener Secession wirkt kahl, in der Mitte ragt ein Ahornbaum durchs teilgeöffnete Milchglasdach mit Blick in die Deckenkonstruktion, die Tür nach draußen zur Gartengastronomie ist offen. Der Baum-als-Skulptur trägt kein Laub, steht wurzellos auf dem Steinboden, und seine Äste sind vielfach mit Metallbändern und Schrauben aneinandergeschient. An drei Seiten der Halle hängen vereinzelte kleinformatige Fotografien, deren Dimensionen eher Amateurbildern als den Tafelbildformaten zeitgenössischer FotokünstlerInnen gleichen. Wenn man nahe genug herantritt, sind auf den Wänden eine Vielzahl von Einstichen zu erkennen, so als wäre der Hängung eine längere Versuchsphase vorangegangen. Die Bilder selbst, obgleich hinter einfachem Glas geschützt, weisen Gebrauchsspuren, Staub und an den Ecken kleine Löcher auf. Die im grobkörnigen Schwarzweiß gehaltenen Abzüge zeigen Kleidungsstücke, Perücken, „blow me“-Klosprüche, „I love you“- Graffiti oder kahle Bäume mit verfrorenem Obst.
Innerhalb des Kunstbetriebs galt Zoe Leonard seit ihrer Arbeit für die documenta 1992 als Shootingstar, doch erst jetzt – mit Ausstellungen in Basel, Glarus und Wien – tritt sie wieder in Erscheinung. Vor fünf Jahren hängte sie in die Säle der Kasseler Gemäldegalerie an Stelle von Kriegs- und Mannsbildern 19 Frontalaufnahmen von Vaginen neben die verbliebenen Frauenporträts. Für diese Lösung entschied sie sich eine Woche vor dem Abflug. Die Aufnahmen waren bei der Öffentlichkeitsarbeit mit der feministischen Aktionsgruppe „Gang“ entstanden, die neben der von Schwulen dominierten Aids-Bewegung eine feministisch/lesbische Position entwickelte. Ein mit dem Zusatz „READ MY LIPS/before they're sealed“ versehenes Foto mobilisierte 1992 als Poster und Rückseite einer Zeitschrift gegen den Informationsbann zum Schwangerschaftsabbruch, den der Oberste US-Gerichtshof verordnet hatte. So durfte nicht einmal das Wort „Abtreibung“ von ÄrztInnen und Beratungszentren benutzt werden.
1990 hatte Zoe Leonard zusammen mit „The ACT UP/New York Women & Aids Book Group“ einen Sammelband „Women, Aids and Activism“ herausgegeben. Hier schrieb sie über die Freuden des Safer Sex sowie die stets präsente Angst, trotz aller Aufgeklärtheit über ihr bisexuelles Coming- out als „glückliche Lesbe“ und über die einzig am Schutz der Männer orientierten Gesundheitskontrollbehörden. Mit Fotos ihrer Verhaftung wegen Verteilens steriler Einwegspritzen, die etwa Texte zur Kunst abdruckte, war Leonard als Act-Up-Aktivistin markiert. Ihre mehrjährige Abwesenheit vom Kunstbetrieb ließ vermuten, sie habe die Fotografie an den Nagel gehängt („im Augenblick steht fest, daß Kunst allein nicht genügt“) und betreibe mit Gang, Fierce Pussy (Grimmige Pussy) oder der Women Action Coalition ausschließlich Aidspolitik.
Die formale Schönheit und Unbekümmertheit der ersten Fotografien der künstlerischen Autodidaktin Leonard – „bevor wir wußten, was HIV war“ – schienen Vergangenheit. „Wer bin ich, daß ich Luftbilder von Städten mache und nun nach Deutschland gehe, um sie auszustellen, und unterdessen protestieren wir und riegeln die Börse in Wall Street ab?“ erinnert sie sich an ein Gespräch mit dem inzwischen verstorbenen Kollegen David Wojnarowicz. „Wir waren zu zornig für Schönheit.“
Organisiert blieb Zoe Leonard noch bis 1992, um sich dann nach Indien und für fast zwei Jahre in eine karge Hütte nach Alaska zu verziehen. Dies bedeutet einen radikalen Bruch mit der kollektiven Politikarbeit und dem Kunstbetrieb gleichermaßen. Sie spricht von Disziplin, die sie in dieser Landschaft gelernt habe, einem neuen Gefühl für notwendige Dinge oder Verschwendung. Nachgerade obsessiv nähte sie in der Innerlichkeit der Arktis etwa 300 Fruchtschalen mit dicken Fäden zusammen, versah Bananen mit Reißverschlüssen, Grapefruits mit Goldbändern, Orangen mit Knopfleisten. Nur wenige Früchte wurden nach ihrer Rückkehr von einem professionellen Kunstkonservator – gleich einer Fotografie – fixiert und stabilisiert. In einem ansonsten leeren Raum der Kunsthalle Basel lagerte sie anläßlich ihrer Einzelausstellung 159 dieser fragilen Objekte entlang der rundum laufenden altmodischen Heizungsbank.
„Wo passe ich hier in dieses Arrangement hinein?“ Auf einer Fotoserie posieren zwei farbige Mädchen in den Räumen der naturhistorischen Ausstellung „The Evolution of Man“ in New York zwischen Skeletten und ausgestopften Menschenaffen. Passenderweise wurden diese Aufnahmen jüngst im Schweizer Kunsthaus Glarus präsentiert, in dessen Kellergeschoß die ausgestopfte Bergwelt ihren Platz hat. Bei ihren Streifzügen durch Museen und Depots einer „Gesellschaft, die Abweichungen nicht erträgt“ stieß Zoe Leonard gleich mehrfach auf zerstückelte Frauenkörper in Wachs. Verstaubt im Abseits des Musée Orfila d'Anatomie fand sie die „Bärtige Frau“, die wie ein Tier enthauptet, ausgestopft, unter Glas gestellt und mit einer Inventarnummer versehen wurde. Woher stammen eigentlich ihre Narben an Stirn und Wange? Ratlos, wie sie diesen Akt der Zerstückelung dokumentieren könnte, wandte sich Zoe Leonard an die gleichfalls vollbärtige Jennifer Miller. Hieraus entwickelte sich in Folge eine Fotosession, bei der Miller im Stil von Marilyn Monroe posierte. Im Unterschied zur Präparation der „Inventarnummer 00029/“ ist der miteinander entwickelte „The 1998 Bearded Lady“- Kalender ein Resultat klarer Absprachen. Miller konnte den Grad ihrer Exponiertheit kontrollieren und erhält einen Teil der Einnahmen. Insofern weist der Kalender auch wieder aus der Opferfalle heraus, in die die Beschäftigung mit Sexismus und Homophobie in Medizin und Museum führt.
Für Cheryl Dunyes dokumentarischen Spielfilm „The Watermelon Woman“ legte Zoe Leonard im Vorfeld ein umfangreiches „Fae Richards Photo Archive (1993–96)“ über die schwarze und lesbische Filmschauspielerin an. Doch Fae Richards hat nie gelebt – was erst der Abspann verrät. Der gefälschten Fotobiographie, den fiktiven Wochenschau-Aufnahmen und gestellten Amateurfilmen gingen ausgedehnte Recherchen zu den „race films“ der Stummfilmära und ihren diskriminierenden Aufnahmetechniken voraus: Weiße, so fand Leonard heraus, wurden mit besonders starken Leuchten weiter aufgehellt. Schwarze eher unterbelichtet. Neben der Sezierung des Studiorassismus verfeinerte sie hierbei auch ihre Kenntnisse in Labortechnik. Ausgedehnte Handarbeit, Versuche mit Papieren und Chemikalien und ein bis zu achtköpfiges Dunkelkammerkollektiv sorgten für den jeweils gewünschten Alterungsprozeß und größere Variabilität der Abzüge.
Mit Präsentationen in Basel, Glarus und Wien taucht Zoe Leonard erneut in der Kunstwelt auf. Ist nun ein Gespräch über Bäume trotz finsterer Zeiten möglich oder neuerlich nötig? Der Pharmakonzern Glaxco Wellcome hat als Sponsor der – alle Drucksachen umfassenden – Graphiklinie der Secession auch bei Zoe Leonards Ausstellung seinen Werbeauftritt. Wellcome war für Act Up ein zentraler Gegner, der wegen Ausnutzung seines AZT-Monopols heftig attackiert wurde. Ist die Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit erfassende Aids-Krise als Thema erledigt, weil AZT etwas billiger ist und die weiter auf diesem hochtoxischen Medikament basierenden Kombipräparate HIV eindämmen sollen?
Bis 14.9., Wiener Secession. „Frauen und Aids“, herausgegeben von „The ACT UP – New York Women & Aids Book Group“, erschienen bei rororo. „The 1998 Bearded Lady Calendar“ ist über das Kunsthaus Glarus erhältlich
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