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: Die zähe Langeweile der Danish Cookies

■ Dagegen bewies Nobelpreisträger Dario Fo, daß er ein amüsanter Unterhalter ist

„Von Wand zu Wand sind es vier Schritte, von Tür zu Fenster sechseinhalb“ ... Warum summe ich bloß immer dieses blöde, uralte Reinhard-Mey-Lied vor mich hin?

Entwickelt man auf der Messe schon am ersten Tag perverse Sehnsüchte nach einer Einzelzelle und der Abgeschiedenheit eines Gefängnisses? Wirr und ungeordnet übertrumpfen sich die Eindrücke: Der Markt, das kann man hier studieren, ist ein großes Durcheinander ohne Sinn und Verstand. Statt einer Ordnung schafft er nur notdürftige Sortierung und zufällige Bezüge und Begegnungen. Oder gibt es eine planende Instanz, die zum Beispiel dafür gesorgt hat, daß die rechtsextreme Zeitung Junge Freiheit in der Nähe von NZZ und Zeit untergebracht wurde, als gehöre sie in die Familie der seriösen Blätter?

Am DuMont-Stand steht ein bißchen verloren Christian Döring. Zehn Jahre lang war er Lektor bei Suhrkamp und betreute dort die deutschsprachige Literatur. Jetzt will er bei DuMont ein literarisches Programm aufbauen. Junge deutsche Literatur, europäische Literatur, „Travel Literature“, eine im Deutschen kaum verankerte Literaturgattung, sollen die Schwerpunkte sein. Und – das bietet sich bei DuMont an – Bezüge zur Kunst, sagt Döring und eilt davon, er muß, wer hätte das gedacht, zu einem dringenden Termin.

In jeder Verlagskoje befinden sich wichtige, ins Gespräch vertiefte Herren, kostbare, hektische Damen in knappen Röcken und Teller mit Keksen. Die Kekse sind das größte Mysterium der Messe. Seit Jahren trotzen sie jedem Fortschritt. Überall werden dieselben langweiligen Danish Cookies und Mürbebrezeln gereicht, auch die ewigen Waffelröllchen mag ich nicht mehr. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Nein, bloß nicht! Einen Kaffee vielleicht? Aber mir zittern doch jetzt schon die Hände! So sehr die Verlage versuchen, sich optisch zu profilieren, Reichtum, Umsatz und Erfolg durch die Größe des Messestandes und die Menge der Bücher darzustellen, am Keks versagen sie alle. Dabei, das weiß doch jeder, gelingen gute Geschäfte erst dann, wenn man gut gegessen hat.

Der Suhrkamp Verlag weiß das und lädt zum Mittagessen mit portugiesischen Autoren im pikfeinen Hessischen Hof. Ein kleiner Raum mit chinesischen Bildern, geblümte, schwere Tapete, Kronleuchter, weiß gedeckte Tische, livrierte Kellner, die reichlich Wein nachschenken, gedämpfte Gespräche. Augustina Bessa-Luis, Autorin von mehr als 50 Romanen, feiert ihren 75. Geburtstag, Siegfried Unseld gratuliert in hölzernem englisch. Auch die Autorin Lidia Jorge ist da, Übersetzer, Lektoren, Portugalspezialisten. In der Rede von Henry Thorau besteht die portugiesische Literatur aus auffallend vielen Suhrkamp-Autoren. Die gescheiterten Nobelpreiskandidaten Antonio Lobo Antunes und José Saramago kommen nicht vor. Aber bei einer so freundlichen Werbeveranstaltung und so gutem Essen muß ein bißchen Einseitigkeit erlaubt sein. Der neue Suhrkamp-Lektor, der lange gesuchte Döring-Nachfolger, wird auch schon bemunkelt. Offiziell ist die Nachricht noch unter Verschluß, aber insgeheim verbreitet sie sich dennoch zuverlässig. Thorsten Ahrend, derzeit noch bei Kiepenheuer in Leipzig, dem der Ruf anhängt, der beste Lektor aus dem Osten zu sein, ist der neue Suhrkamp- Mann.

Bestens gelaunt empfängt wenig später Dario Fo die Journalisten zur Audienz. Wann er zum ersten Mal davon erfahren habe, daß er den Nobelpreis bekomme? – „Vor 25 Jahren.“ – Warum Franca Rame nicht hier sei, gebühre ihr der Preis nicht genauso? – „Sie muß den Teufel mit den Titten spielen, außerdem müssen Frauen bei uns in Italien zu Hause sein und arbeiten. Ich fürchtete schon, sie könnte den Preis erhalten. Aber ich hatte das Glück, ein Mann zu sein.“ Dario Fo ist ein echter Schalk, der die Pressekonferenz zu einer höchst amüsanten Veranstaltung macht.

Geduldig beantwortet er Fragen nach dem Euro, der italienischen Regierung, italienischem Humor. Ob es Bossi gelingen werde, ein norditalienisches Reich Padanien zu gründen? – „Ihm fehlt die Ernsthaftigkeit, die der Komiker haben muß, wenn er Erfolg haben will. Ein Komiker muß ernsthaft sein, sonst wird er bloß ein komischer Politiker.“ Wer herkam, um Fo kritische Fragen zu stellen und ihn mit der deutschen Skepsis gegen die Nobel-Entscheidung zu konfrontieren, verstummt vor diesem witzigen, sympathischen Energiebündel. Ich gehe mit der Überzeugung zurück ins Messegetümmel, daß er ein sehr okayer Preisträger ist. Jörg Magenau