Sechs Überstunden jeden Tag

Eine Studie über die weltweite Textilproduktion zeigt: Die Lieferanten der deutschen Modebranche produzieren nach wie vor unter schlimmen Bedingungen  ■ Von Matthias Urbach

Wie wär's mit dem Stehkragenpullover auf Seite 5 für nur 50 Mark? Oder darf es der Melange-Cardigan für 99 Mark sein von Seite 143? Wer im Otto- Katalog von Herbst/Winter 1996/97 blättert, wird jede Menge Produkte finden, die in Entwicklungsländern häufig unter miesen Bedingungen überwiegend von jungen Frauen produziert werden.

Pullover und Cardigan wurden vom Otto-Versand für neun und 12,50 Mark bei der philippinischen K-Phil eingekauft. Ein günstiger Preis, der auch in dem Billiglohnland nur durch Druck auf die Arbeiterinnen erzielt werden kann. Ergebnis: Als die Frauen einen Betriebsrat gründen wollten, schloß die Firma den Betrieb, eröffnete ihn neu und stellte die Frauen als Subunternehmerinnen mit Knebelverträgen wieder ein.

Dies ist eines der Fallbeispiele aus der gestern veröffentlichten Broschüre „Kleiderproduktion mit Haken und Ösen“ von Südwind, dem Institut für Ökonomie und Ökumene in Siegburg. Darin faßt das Institut zwei asiatische Gutachten über philippinische und chinesische Textilbetriebe zusammen. Alles Firmen, die auch an Otto, C&A, Quelle, adidas und Karstadt liefern. Die sind aber nur herausgegriffene Firmen, betonen die Gutachter. Bei anderen Unternehmen sähe das Ergebnis vermutlich ähnlich aus.

K-Phil aus San Pedro gehört noch zu den besseren Firmen: Die Fabrik ist sauber, es wird mehr als der Mindestlohn gezahlt. Doch wie die meisten der philippinischen Firmen ist sie organisiert in Subunternehmen, läßt die Frauen in Heimarbeit mit Zeitverträgen arbeiten.

Inzwischen sind bis zu neun von zehn Textilien in deutschen Schaufenstern Importware. Die Zahl der deutschen Beschäftigten in der Kleiderbranche schrumpfte seit den Siebzigern auf gut ein Viertel. Fast die Hälfte der Importe kommt aus Entwicklungsländern. Auch die Billiglohnländer stehen unter starkem Preisdruck. In der Folge nahm Heimarbeit in den vergangenen Jahren immer mehr zu: Rund 24 Millionen Menschen arbeiten weltweit in Unternehmen der Schuh-, Textil- und Bekleidungsindustrie, etwa fünf- bis zehnmal so viele arbeiten in Heimarbeit oder in kleinen Klitschen in Hinterhöfen, schätzt die UN-Arbeitsorganisation ILO. Deutlich schlimmer noch als auf den Philippinen sind dem Südwind-Gutachten zufolge die Bedingungen in China. Der Textilexport der Volksrepublik verdreifachte sich in den vergangenen vier Jahren. In den untersuchten Betrieben wird dort 69 Stunden pro Woche gearbeitet, das chinesische Arbeitsrecht erlaubt nur 44.

Die durchschnittlichen Überstunden betragen 90 pro Monat, eineinhalbmal mehr als gestattet. Meist werden sie nur gering oder gar nicht entlohnt. Die Gesamtlöhne liegen meist deutlich unter dem chinesischen Durchschnitt.

Bei Kam Tai in der Sonderwirtschaftszone Shenzen (nahe Hongkong) müssen die meist 18- bis 25jährigen Frauen regelmäßig bis 0.30 Uhr Überstunden leisten. So kommt die Mitarbeiterin Sui Wong auf täglich mindestens sechs Überstunden. Die Firma liefert an Karstadt. Shenzen Fulide liefert an Quelle: Sie gewährt nicht einen einzigen freien Tag im Monat – trotz Siebentagewoche.

Durch die langen Arbeitszeiten ist die Unfallgefahr groß, die Akkordarbeit führt zu Krämpfen und Sehnenentzündungen. Der Kontakt mit Reinigungsmitteln wie Perchlorethylen und Formaldehyd erzeugt häufig Krebs. Viele Fabriken sind vergittert gegen Einbrecher, bei Feuer eine tödliche Falle.

Südwind fordert eine Sozialcharta für diese Betriebe, deren Einhaltung die deutschen Importeure vertraglich mit ihren Lieferanten vereinbaren sollen. Doch seit Kampagnenstart 1989 habe sich dazu noch keine Firma bereit erklärt, so das Institut. Erste Anläufe gibt es bei dem Bemühen, höhere Preise an Lieferanten zu zahlen, um so den Druck von den Textilfabriken zu nehmen. Der Otto- Versand nahm inzwischen eine kleine Auswahl sogenannter Fair- Trade-Produkte ins Angebot. Der Umsatz blieb aber weit hinter den Erwartungen zurück.