Unprofor, Ifor, SFOR und nun die „Abschreckungstruppe“ DFOR: Bei den Nato-Militärs liegen bereits verschiedene Modelle für eine Verlängerung der Truppenpräsenz in Bosnien in den Schubladen. Doch die Verantwortlichen fürchten die Risiken. Von Andreas Zumach

Friedenssicherung ohne Ende

Laut Volker Rühe „geht das Mandat der 36.000 Mann starken) SFOR auf jeden Fall zu Ende“. In einem Interview beschrieb der Bundesverteidigungsminister diese Woche seine Vorstellungen für die Zeit danach: „Eine ganz andere Truppe, eine ,deterrence force‘. Deutlich weniger Soldaten, in Schwerpunkten, auch von außerhalb, hochmobil, flexibel und effizient wie schon jetzt die SFOR- Kräfte.“

Warum dann überhaupt zunächst 36.000 Mann stationiert wurden, erklärt Rühe nicht. Ansonsten verfährt er nach bewährtem Rezept, um die eigene Rat- und Konzeptionslosigkeit zu verbergen: forsche Sprüche klopfen, ein kurzes Gedächtnis beweisen und die wahre Lage in Bosnien beschönigen. Als positive Entwicklung vermerkte der Minister die „vielen Unterstützer“ der Karadžić-Gegnerin Plavsić in der Republika Srpska. Nicht beirren läßt sich Rühe dabei von den Ergebnissen der jüngsten Kommunalwahlen. Sie brachten der extrem nationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) alarmierende Zugewinne. Als Erfolg wertet der Minister auch die Rückkehr von „wahrscheinlich 100.000“ der knapp 300.000 Bosnienflüchtlinge aus Deutschland in ihre Heimat bis Ende dieses Jahres. Das hätte „vor kurzem niemand erwartet“.

Zur Erinnerung: Innenminister Manfred Kanther hatte bereits unmittelbar nach dem Dayton-Abkommen vom Dezember 1995 die Heimkehr von 200.000 Flüchtlingen bis Ende 1996 als „realistische Planzahl“ ausgegeben. 70.000 haben bis Mitte September Deutschland verlassen.Schließlich schürt der Bundesverteidigungsminister die Erwartung, daß sich der mutmaßliche Kriegsverbrecher Radovan Karadžić „freiwillig oder unfreiwillig“ zum Internationalen Tribunal in Den Haag begibt. Wobei Rühe die „unfreiwillige“ Variante durch Zugriff einer SFOR- Einheit möglicherweise unter Beteiligung deutscher Soldaten auf Nachfrage gleich wieder ausschließt. Denn die SFOR habe „nicht das Mandat, Kriegsverbrecher zu jagen“. Dennoch will Rühe die verbleibenden Monate bis zum Auslaufen des SFOR- Mandats zu „entschiedenem Handeln nutzen“. Worin dieses Handeln besteht, bleibt jedoch völlig unklar.

Davon dürfte allerdings nicht nur die Zukunft Bosniens, sondern auch die weitere Karriere des Bundesverteidigungsministers abhängen. Bislang wußte Rühe den Bosnienkonflikt erfolgreich zur eigenen Profilierung zu nutzen. Nach Darstellung eines engen Mitarbeiters gegenüber der taz ist das gesamte Handeln des Ministers im Bosnienkonflikt und bei anderen Themen, ebenso wie sein Schmusekurs gegenüber der SPD ausschließlich auf das Ziel ausgerichtet, nach den Bundestagswahlen Außenminister einer CDU-geführten Regierung beziehungsweise einer Großen Koaliton zu werden.

Doch wenn sich die Lage in Bosnien bis zum nächsten Sommer nicht deutlich verbessert, dürfte nicht nur der Ruf der Nato-geführten SFOR, sondern auch das Image Rühes erheblich beschädigt werden. Wird die SFOR hingegen endlich aktiv bei der Verhaftung mutmaßlicher Kriegsverbrecher, der Schutzbegleitung rückkehrender Flüchtlinge und der Unterbindung schwerwiegender Verstöße gegen das Dayton-Abkommen, könnte es zu Verlusten auch unter deutschen SFOR-Soldaten kommen. Das wiederum hätte unkalkulierbare Folgen nicht nur für Rühe. Es würde auch die Entscheidung der 16 Nato-Staaten über ein Mandat für eine künftige „deterrence force“ (DFOR) wesentlich beeinflussen. Zudem könnte Moskau bei einem Vorgehen westlicher SFOR-Einheiten gegen mutmaßliche serbische Kriegsverbrecher die bislang vielgepriesene Kooperation zwischen Rußland und der Nato in Frage stellen.

Mit noch größerer Unwägbarkeit und politischem Risiko ist das Thema Bosnien und die SFOR- Nachfolge für die Entscheidungsträger in den USA behaftet. Mehr noch als für US-Präsident Bill Clinton gilt dies für dessen Vize, den mutmaßlichen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000, Al Gore. Aber auch für viele der Kongreßabgeordneten und Senatoren, die sich im nächsten Herbst zur Wahl stellen müssen. (siehe untenstehenden Text). Vom Ausgang der zunehmend kontroversen Debatte in den Vereinigten Staaten hängt ab, ob es nach Juni 98 überhaupt noch eine internationale Militärpräsenz in Bosnien geben wird. Denn über eines herrscht bei aller Unklarheit Konsens: wenn die USA ihre Soldaten ersatzlos abziehen, gehen auch alle anderen.

Das wohl größte Interesse, dieses Szenario zu verhindern, haben Briten und Franzosen. Mit wachsender Sorge sehen sie die Stärkung der muslimisch-kroatischen Föderationsstreitkräfte durch das „Trainings- und Ausrüstungsprogramm“ der USA. London und Paris befürchten, daß diese Streitkräfte nach einem ersatzlosen Abzug weite Teile der Republika Srpska erobern. Dies, so die Befürchtung, könnte zu einer erheblichen Destabilisierung Serbiens und der fragilen Machtbalance in Südosteuropa beitragen. Gemeinsames Problem der 16 Nato-Regierungen ist, daß ein Scheitern der Allianz in Bosnien ihre Glaubwürdigkeit bei den osteuropäischen Beitrittsbewerbern beeinträchtigen könnte. Auch wäre dadurch womöglich die Zustimmung der 16 Parlamente zur Aufnahme neuer Nato-Mitglieder gefährdet.

Unter den bislang von den Militärs erarbeiteten Optionen für eine „deterrence force“ gilt als wahrscheinlichste Variante die Aufstellung einer Truppe von insgesamt 15.000–18.000 Soldaten. Sie soll einen Anteil von bis 6.000 US-GIs haben. Vor allem diese sollen überwiegend oder gar ausschließlich auf Luftwaffenbasen in Italien und Ungarn stationiert und im Bedarfsfall schnell nach Bosnien gebracht werden.

Weitere Vorentscheidungen sollen nach bisherigen Planungen auf der Tagung der Nato-Verteidigungsminister im Dezember fallen. Mit Rücksicht auf die innenpolitische Diskussion in den USA werden diese Vorentscheidungen allerdings voraussichtlich nicht öffentlich verkündet werden. Es ist sogar möglich, daß sie auf das Frühjahr 98 verschoben werden.