CSU will keinen Kanzler im Rollstuhl

■ Kaum hat Kanzler Kohl Fraktionschef Schäuble zum Thronfolger ernannt, werfen die kleinen Koalitionspartner CSU und FDP mit Dreck. Der FDP ist Schäuble zu sozialdemokratisch und der CSU zu europäisch und zu gebrechlich

Bonn (taz) – Der Wahlkampf gegen den designierten Bundeskanzler Wolfgang Schäuble hat begonnen. Nachdem der amtierende Kanzler Helmut Kohl den CDU/ CSU-Fraktionschef als Thronfolger vorgeschlagen hat, wird dagegen vor allem aus Kreisen der CSU scharf geschossen. Selbst die Behinderung Schäubles ist dabei kein Tabu.

Die CSU gehe davon aus, daß die Ankündigung Kohls „noch nicht das letzte Wort“ gewesen sei, verlautete aus Parteikreisen in München, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete. Schäuble sei in der CSU umstritten. Der Fraktionschef gelte als „Übertaktierer“. Auch seine inhaltlichen Positionen stießen auf Widerspruch. Als Beispiel wurde genannt, daß Schäuble für den Euro notfalls die Maastricht-Kriterien aufweichen wolle. Im übrigen, so AFP weiter, werde in der CSU darauf verwiesen, daß Schäuble aufgrund seiner Querschnittslähmung wegen eines geschwächten Immunsystems gesundheitlich anfälliger sei als andere. Dies werde auch in der CDU immer wieder gesagt.

Offiziell meldete der CSU-Vorsitzende Theo Waigel gestern den Anspruch seiner Partei auf Mitsprache bei der Bestimmung eines Nachfolgers des Bundeskanzlers an. Er sagte: CDU und CSU würden wie in den 70er Jahren „gemeinsam, jeweils in ihrer Eigenständigkeit und Souveränität, den Kanzlerkandidaten bestimmen“. Er betonte aber, daß die Nachfolge Kohls nicht akut sei: „Wir haben einen Kanzler.“

Auch Schäuble bezeichnete die Nachfolgefrage als „nicht aktuell“. Der Wunsch des Bundeskanzlers ehre ihn zwar. Doch erst bei der Bundestagswahl 1998 werde „über die Mehrheit für die kommenden vier Jahre entschieden“. Kohl selbst versicherte gestern, er wolle bei einem Wahlsieg 1998 bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben. Hamburgs CDU- Chef Ole von Beust glaubt allerdings nicht daran: „Einen solchen Schritt kündigt man nicht an, wenn man volle vier Jahre durchmachen will.“ Verteidigungsminister Volker Rühe will Schäuble als Nachfolger von Kohl voll unterstützen. Rühe, der selbst als potentieller Kanzlerkandidat gilt, sagte im RTL-Fernsehen: „Schäuble hat die Priorität.“ Er sei der „logische Nachfolger“ Kohls.

FDP-Politiker halten sich auffallend mit Stellungnahmen zurück. Parteisprecher Rolf Göbel sagte: Der Kanzlerkandidat der CDU für die Wahl 1998 heiße Kohl. Über andere Dinge zerbreche sich die FDP nicht den Kopf. Gegen Schäuble als Kanzler wandte sich allerdings der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Michael Kauch. „Mit Schäuble droht eine Sozialdemokratisierung der Wirtschaftspolitik.“ Kauch spricht offen aus, was sonst bei den Liberalen hinter vorgehaltener Hand diskutiert wird: Schäuble stehe einer Großen Koalition aufgeschlossener gegenüber als der Kanzler. Ein nun durch Kohl gestärkter Schäuble werde sich womöglich auch in den aktuellen Streitpunkten mit der FDP unnachgiebiger zeigen.

Politiker der Opposition deuteten Kohls Aussage als Zeichen der Schwäche. SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering sagte, Kohl wisse, daß er die Wahl nicht mehr allein gewinnen könne.

Markus Franz Kommentar Seite 12