Ich wäre zehn Spice Girls

Vorteil durch Vielschichtigkeit? Von wegen. Janet Jackson auf der Suche nach der verlorenen Zielgruppe  ■ Von Harald Peters

Janet ist sauer. Weil ihr Album „The Velvet Rope“ sich nämlich mies verkauft. In der fünften Woche nach der Veröffentlichung ist es von Platz 6 auf Platz 10 der LP- Charts hinter Badesalz und Eros Ramazotti gefallen. Auch begeisterte Rezensionen gibt es kaum zu lesen. Gibt es überhaupt irgendwelche Rezensionen?

Es sieht alles danach aus, daß nicht nur niemand auf eine neue Janet-Jackson-Platte gewartet hat, sondern daß es den fürs Marketing zuständigen Strategen nicht einmal gelang, den Leuten einzureden, daß sie eigentlich hätten warten sollen. Sie dürfen sich deshalb schon mal nach einem neuen Job umsehen. Allerdings: Was können die denn dafür? Und überhaupt: Wer ist eigentlich Janet Jacksons Zielgruppe?

Bei ihrem letzten Album „janet.“ von 1993 war alles noch einfacher. Da war die Zielgruppe relativ leicht mit „Mädchen um die Sechzehn“ zu bestimmen. Aber das ist vier Jahre her, in Popzeit gemessen mehrere Äonen. Und wer damals um die Sechzehn war, ist heute um die Zwanzig. [An dieser Stelle erstarrt der Säzzer: Vor Ehrfurcht – der Autor kann rechnen!] Und das bedeutet – schließlich will man sich seiner eigenen Entwicklung vergewissern – nicht zuletzt ein verändertes Konsumverhalten. Soll heißen: Die Zielgruppe ist futsch.

Kein Einzelfall. Betrachtet man die Liga der Superstars der achtziger Jahre, so haben alle mit sinkenden Verkaufszahlen, mangelnder Aufmerksamkeit und dem eigenen schleichenden Anachronistischwerden zu kämpfen. Einzig Michael Jackson vermag es noch immer, für Spektakel zu sorgen. Weil er sich rechtzeitig in die Umlaufbahn geschossen hat, weil er Kontakt hält zum neuesten Produktionschic und nicht nur Kinder ein Herz für Aliens haben. Ansonsten gilt: Das totalitäre Starmodell hat in puncto Massentauglichkeit ausgedient.

Wie kommt's? Wer sich Prince, Madonna, The Boss (Springsteen) oder King Of Pop nennt, hat sich die Unerreichbarkeit schon derart in den Namen eingeschrieben, daß der Höhenunterschied zu den Fans mindestens mehrere Meter mißt. In den Achtzigern mag das beeindruckend gewesen sein. Die Starmodelle der Neunziger hingegen tun zumindest so, als stünden sie direkt neben einem. Die Spice Girls, die Backstreet Boys, 'N Sync und der ganze Rest könnten Freundin, Freund, Lover oder was auch immer sein.

Das ist das Take-That-Schema. Motto: Sei immer hübsch greifbar, nur jetzt grad nicht da. So hängen die Fans zufrieden in der Warteschleife. Dumm für Janet. Die alte Klientel ist ihr mir nichts, dir nichts weggealtert, und beim Nachwuchs ist besetzt.

Zwar gehört Janet Jackson, was den Erfolg betrifft, nicht direkt in eine Reihe mit Bruder Michael, Madonna oder Prince gestellt, doch sie funktioniert sozusagen ähnlich. Weil sie erstens, logisch, allein ist, zweitens künstlerisch unabhängig und drittens erwachsen. Stars, die nach dem Take-That- Schema funktionieren, vermeiden es hingegen tunlichst, den Eindruck zu erwecken, auch nur im entferntesten etwas mit Erwachsenheit am Hut zu haben. Die sind nicht einmal Kinder, sondern einfach praktisch.

Die Boy- und Girlgroups sind derart grob geschnitzt, daß für jeden Teilnehmer immer nur ein Wesenszug übrig bleibt: kühl, sexy, frech, sportlich. Kylie Minogue sagte im i-D über die Spice Girls: „Nacheinander war ich zu einem bestimmten Zeitpunkt meiner Karriere jede von ihnen.“ Auch Janet Jackson könnte ihre Singles in Reihe legen und sich daraus mühelos zehn Spice Girls basteln. Aber was nützt ihr das? Vorsprung durch Vielschichtigkeit? Kein Stück. Brüche lassen sich halt schlechter vermarkten.

Ein anderer Punkt ist: Janet Jackson hat kein wirkliches Genre. Sie ist weder R'n'B noch Soul, PopHop, Dance, Swingbeat oder was es sonst noch an handelsüblichen Schubladen gibt. Zwar ist sie von all dem immer ein bißchen, doch im Laufe ihrer Karriere hat sie sich ein Genre erspielt, in dem nur für sie selbst Platz ist. Eine Platte wie „The Velvet Rope“ füllt dieses Janet-Genre prima aus. Nur fehlen dafür grad die Käufer. Womit auch das Genre hinfällig wär'. „The Velvet Rope“ hängt damit in der Luft.

Da nützt Janet Jackson dann auch der Name nichts. Während er den einen (unter zwanzig) schnurzpiepe ist, steht er bei den anderen (über zwanzig), die sich noch nicht mit Genesis, Cocker und Turner auf ihr Altenteil vorbereiten, unter dringendem Mainstream-Verdacht – siehe auch MTV-Award. Da haben es sogar Madonna und Prince besser. Für die interessieren sich wenigstens Multi-Instrumentalisten oder Fachleute in Sachen Gender.

Was bleibt, ist also die Musik, und das ist im Pop immer ein bißchen zuwenig. Um das Ruder rumzureißen, bräuchte es eine ordentliche Ladung Hits. Die kann man auf „The Velvet Rope“ aber lange suchen.

Die aktuelle Single „Got Till It's Gone“ holt schon alles raus, was von dem Format zu haben ist. Aber was soll das für ein Hit sein, auf dem Joni Mitchell und Q-Tip zu Gast sind? Die beiden hatten ja selber noch nicht einmal einen. Der Rest ist extrem ambitioniertes und heterogenes Soundgefrickel mit Maschinenquietschen, Chorgesängen, Geflüstere, Hörspiel-Inserts, Bollerbeats und sanften Tönen. Plus Texte voller Herzblut, Einsatz für Randgruppenbelange und selbsterfahrenem Leid. Mit James-Brown-Samples gegen Homophobie; mit einem Rod-Stewart-Song („Tonight's The Night“) für lesbische Liebe; und gegen Macker als solche.

Immerhin, in Singapur weiß man soviel Engagement noch zu schätzen und setzte „The Velvet Rope“ prompt auf den dafür vorgesehenen Index. Hierzulande wird Janet Jackson in der nächsten „Wetten daß...“-Sendung plaziert, um ihre kommende Single vorzustellen. Hat sie das verdient? Was soll man sagen. Ein phantastisches Album. Leider gnadenlos unkommerziell. Schade eigentlich.

Janet Jackson: „The Velvet Rope“ (Virgin)