piwik no script img

Es riecht nach Broccoli in der neuen Eß-Klasse

Die Kantine im neuen Debis-Hochhaus ist was ganz Ungewöhnliches: Man speist an Tischchen mit overdesignten Aschenbechern Pommes frites, Wildreis und Suppe. Das ist total „urban“, und jeder kann bei einem Gläschen dort auf die Zukunft warten: mehr nicht  ■ Von Kolja Mensing

Eigentlich hätte man gehofft, daß die Debis-Kantine ganz oben ist. 85 Meter hoch. Doch in den höher gelegenen Etagen des neuen Büroturms am Potsdamer Platz wird natürlich nicht gegessen. Dort fällt man Entscheidungen. Unter anderem die, daß die im Erdgeschoß gelegene Kantine von halb zwei bis sieben Uhr abends für die breite Masse geöffnet ist. Vorher steht sie ausschließlich den Dienstleistungstöchtern und –söhnen des Daimler-Konzerns zur Verfügung. Keine Ausnahmen, erklärt die Dame von der Öffentlichkeitsarbeit: „Das ist eine Anordnung – von ganz oben.“

Also hat man noch ein halbes Stündchen Zeit, sich ein bißchen unter dem Glasdach des Foyers herumzudrücken. „Wir stehen in einer Kathedrale“, hatte György Konrad kürzlich bei der Eröffnung des Gebäudes geraunt. Heute passiert nicht viel, und sakral ist es auch nicht. Eine Kunstwerkmaschine von Jean Tinguely langweilt sich in der Mitte der Halle. Der Stecker ist rausgezogen und darum bewegt sie sich nicht. Daneben steht ein kleines, schwarzes und kompaktes Auto. Das bewegt sich auch nicht, und Wachmänner mit blauen Uniformen und Walkie- talkies achten darauf, daß man es nicht umkippt oder anderen Unsinn damit anstellt.

Halb zwei: Vom Hauptschiff der Kathedrale aus tritt man ins Allerheiligste ein, wo Mittag- und Abendmahl bereitgehalten werden. Dort soll es munter zugehen, weiß die Debis-Mitarbeiterzeitung: „Die Kantine ist schon der neue Treffpunkt für alle“, wird Jeannine Thiele aus dem 18. Stock (Personalabteilung) zitiert.

Tatsächlich sind alle da: Bauarbeiter haben Hunger und verlangen reichhaltige Sättigungsbeilagen zum Hackbraten. Manager haben einen empfindlichen Magen und essen Rosé-Champignons auf einer Wildreismischung. Paßt ja gut, denkt man zuerst. Und wundert sich dann doch, während man die Frau am Nebentisch bestaunt und sich überlegt, ob das vielleicht Frau Thiele aus dem Achtzehnten ist. Die Dame steckt in einem irre teuer aussehenden, knallroten Kostüm, ißt schnöde Pommes mit einer Extraportion Ketchup und raucht anschließend ihren zwei Begleitern so viele Marlboros vor, wie in einer kurzen Mittagspause eben zu schaffen sind.

Das ist unkonventionell. Und tatsächlich paßt hier eigentlich nichts zueinander: die Pommes nicht zum Kostüm, die rundgestylten Holztische nicht zum verpieften Blumenschmuck (klein, moosig, immergrün), der darum ständig Gefahr läuft, mit einem Designer-Aschenbecher verwechselt zu werden, die gelbgestreifte Krawatte eines „Chili con Carne“- Connaisseurs nicht zum roten Blumenbinder vor der Brust seines Gegenübers (Wildreis). Und – aber das muß einem erst von ganz oben erklärt werden – auch der Name Kantine paßt nicht, weil die Kantine nämlich ein Betriebsrestaurant ist. Das ist ein Unterschied.

Besonders spannend ist dieses Durcheinander nicht, aber bestimmt „urban“. Wie die Architektur: Beim Verlassen der Kantine stolpert man im Foyer noch einmal über den merkwürdigen Gegensatz zwischen ausgestelltem Sicherheitsdienst und dem in Glas, Licht und Luft gekleideten Öffentlichkeitsanspruch des Renzo-Piano-Gebäudes. Und sich draußen fragen, was das witzige Türmchen auf dem Hochhaus eigentlich soll, warum die Fassaden aussehen wie Heizkörperverkleidungen und warum überhaupt der ganze Potsdamer Platz mit komischen Bauten vollgestellt wird, die man nicht einmal einem richtig schlimmen Kapitalisten-Konzern an den Hals wünschen würde.

Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Genauso wenig wie eine neue Eß-Klasse. Und darum steht der Potsdamer Platz mit seinem gerade eröffneten Innenleben einfach so ganz gelassen da und wartet auf das 21. Jahrhundert. Zur Zeit noch – bald wird er damit beschäftigt sein, auf das 22. Jahrhundert zu warten. Das ist die Banalität der 90er Jahre, auch wenn sie stellenweise 85 Meter hoch ist: der gelangweilte Aufbruch in die sogenannte Zukunft. In der Debis- Kantine kann man es riechen – eine unaufgeregte Mischung aus Baustaub, Broccoli-Gratin und Millenium.

Es läßt sich auch so sagen: „Jetzt spürt man deutlich, daß die Stadt im Aufbruch ist.“ So faßte Helmut Kohl diese Schwellenerfahrung vor kurzem auf dem Zweiten Debis-Dienstleistungskongreß zusammen. Da er Bundeskanzler ist, weiß er das einfach so und muß nicht erst bei Daimlers essen gehen. Obwohl die Gurkencremesuppe mit Dillspitzen, die dort gereicht wird, durchaus Kanzlerniveau hat. Anderen Menschen, die in weniger visionären Ämtern tätig sind oder im Lesesaal der benachbarten Staatsbibliothek Hunger bekommen, können daher ja mal in der Debis-Kantine vorbeischauen und dort gemeinsam mit dem Potsdamer Platz ein bißchen auf die Zukunft warten. Weil die so schnell nicht kommt, mundet das Essen gleich umso besser.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen