Ein Ort, wo die Stadt Pause macht

Die Verteidigung des Platzes gegen den Rufmord inszenierter Bilder: Am aufgerissenen Kulturforum müht sich eine Initiative, die unfertige Mitte der Stadt zu bewahren  ■ Von Ulrike Steglich

Naßkalt, trübe, dämmrig. An solchen Tagen ist ganz Berlin ungemütlich. Erst recht das Kulturforum: zur Zeit eine Baustelle mit Parkplatz zwischen Philharmonie, Matthäikirche, Staatsbibliothek, Nationalgalerie und BKA-Zelt. Und lauter Zäunen – es scheint unmöglich, den Platz überhaupt betreten zu können. Den Begriff „öffentlicher Raum“ traut man sich gar nicht mehr in den Mund zu nehmen.

In einem unscheinbaren Container mitten auf dem Platz sitzen vier Menschen um einen Frühstückstisch. Es ist das „Wochenanfangsfrühstück“ der Initiative „Raumentwicklung Kulturforum“, dessen Mitbegründer der Künstler Rainer Düvell und der Architekt Karsten Feucht sind. Seit 1995 beschäftigt sie dieser Ort. Für sie ist das Kulturforum eine Stadtlichtung; ein einzigartiger Ort, an dem die den Platz fassenden Gebäude die Stadt ein Stück zurückdrängen und so einen Raum offenhalten, der sonst nicht möglich wäre. Ein Ort, wo die Stadt Pause macht. Es brauche nur Angebote, Anstöße. Deshalb quartierten sich beide im April hier ein und machten Angebote: jeden Montagmorgen öffentliches Frühstück, jeden Freitagabend „Wochenausklang“: Lesung, Abendessen oder einfach nur reden, während andere Karten spielen oder auf Karstens Saxophon spielen. Ein paar Gerüste, von Rainer gebaut, dienen als Räume, rote Stoffbahnen als Wände. Unter den Bäumen in der Platzmitte saßen im Sommer ganz unterschiedliche Leute zusammen. Als Karsten Feucht fragte, warum sie ausgerechnet an diesen Ort gekommen seien, um sich den Sonnenuntergang anzuschauen, sagte einer: weil der Himmel hier so groß ist.

Der winzige Container auf dem Areal zwischen Potsdamer Platz, Baggern, Kränen und Kultureinrichtungen hat etwas von Don Quichote. Karsten Feucht hat es sich anfangs leichter vorgestellt, Verbündete bei Bezirk oder Senat für die Idee zu finden. Ursprünglich dachten sie, daß es nicht so schwer sein könnte, mit den umliegenden Institutionen einen Vertrag abzuschließen, um über einen gemeinsamen Topf eine „Angebotsstation“ in der Mitte zu finanzieren. Sei es das Angebot von Frühstück, Informationen, „Stadterkundungsspielen“. Sei es, daß sich die Tangoszene, die im Sommer abends an der Galerie unter freiem Himmel tanzte, von ihnen einen Besen ausleiht: um zum Tanzen das Granulat wegzufegen, das dort gestreut wurde und Skater an deren Freizeitspaß hindern sollte. Auch eine Form von Nutzungsbekämpfung.

Währenddessen gibt es immer noch unterschiedliche Pläne für diesen Ort. Die in den 60ern von Hans Scharoun konzipierte Stadtlandschaft blieb unvollendet, das geplante Gästehaus in der Mitte ist nie gebaut worden. Während sich Scharoun-Verfechter für die Vollendung des Konzepts einsetzen, betrachtet der Masterplan des Stadtentwicklungssenators die Moderne als „abgeschlossene historische Epoche“: Geplant sind nunmehr eine neu/alte Straße durch das Gelände und zwei Neubauten. Düvell und Feucht durften an den nichtöffentlichen Masterplan-Planungswerkstätten zum Bereich Kulturforum teilnehmen. Dort hörten sie von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder, daß der Platz „aufgeräumt“ werden müsse, damit die „Architekturjuwele“, die einzelnen Gebäude, zur Geltung kommen. Zunächst begrüßten das die beiden: schließlich hatten sie auch das Areal von Müll, Cola-Dosen und Kippen befreit. Bis sie begriffen, daß mit „Aufräumen“ „abräumen“ gemeint war. Unter anderem auch sie selbst.

Inzwischen geht alles Schlag auf Schlag: die Potsdamer Straße wird umgebaut, der Senat hat eilig einen landschaftsplanerischen Wettbewerb ausgeschrieben – zur Eröffnung der Gemäldegalerie im Juni 98 soll sich der Platz mit einem „grünen Teppich“ „aufgeräumt“ zeigen. Die Matthäikirchgemeinde ist aufgelöst und hat ihr Grundstück verkauft. Den Nutzern – BKA, Raumentwicklung Kulturforum, Autohändler, Imbiß – wurde zum Ende 97 gekündigt.

Der Autohändler ist schon gegangen. Von ihm übernahmen sie den Container für den Winter. Karsten Feuchts Vision für das Kulturforum ist eine Atmosphäre wie zur Reichstagsverhüllung. Ein lebendiger Ort, wo Menschen einfach nur da sein können. Die unfertige Mitte sei wie eine offene Frage – die manchmal nur schwer auszuhalten ist. „Aber darin liegt eine Chance und eine Größe: sich die offenen Fragen auch städtebaulich zu leisten. Dazu braucht man auch Leere.“ Leere: das Schreckenswort für Planer, für die Urbanität lediglich eine Frage von Bebauung und Verdichtung ist. Natürlich verlangt es Kraft, das auszuhalten. Woher die Kraft kommt? „Aus Liebe zum Ort. Letztlich auch durch akzeptieren, was ist, durch loslassen.“ Hält man den Platz flexibel, hat man die Zeit zu schauen und dann das zu bauen, was tatsächlich gebraucht wird.

Das größte Problem des Kulturforums ist dessen schlechter Ruf. Man kann Plätze miesmachen, bis jeder davon überzeugt ist, daß der Platz so nicht funktioniert. Deshalb fangen die beiden gar nicht mehr mit Rechtfertigungen an. Sie sagen gleich: „Der Platz ist toll.“ Die Verteidigung der realen Stadt gegen den Rufmord durch inszenierte Bilder. Das praktische Antreten des Beweises, daß öffentliche Räume selbst im windigen November belebt sein können.

Potsdamer Ecke Sigismundstraße, montags von 8 bis 12 Uhr Frühstück, freitags Wochenausklang ab 15 Uhr. Heute ganztägig der „2. Runde Tisch Kulturforum“.