Liverpool im kalten Osten

Auch eine Geschichte der DDR: In seiner Autobiographie erzählt der Musiker Klaus Renft vom Beat im Arbeiter-und-Bauernstaat. Alles war wie anderswo, nur ganz anders  ■ Von Anke Westphal

Der Sommer 1973 war etwas Besonderes. Die „X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ spülten bunte junge Menschen und eine größere Anzahl Beat-Konzerte in die „erste sozialistische Stadt“ der DDR. Es kamen Männer, die von den Eisenhüttenstädter Schülerinnen aufregend gefunden wurden, weil sie aus Manchester oder Liverpool und schon 22 Jahre alt waren. Die Schülerinnen waren dreizehn und fanden „Wer die Rose ehrt“, das neue Lied von Renft, „stark“. So stellten sie sich Zärtlichkeit vor.

Außerdem: War es bei Renft nicht so ähnlich wie bei Heinrich Heine, der gerade in der Schule dran war? „Fortschrittlich“ galt für Renft natürlich auch – schließlich war es ja eine DDR-Band. Und doch fürchtete sich Heine davor, daß im Sonnenstaat der Kommunisten Blumenbeete zu prosaischen Kartoffeläckern und Gedichte zu Einkaufstüten würden.

Auch Renft pflegten Untertöne. Abends auf dem „Gammler- Spielplatz“ hinter dem Haus sangen die Dreizehnjährigen die „Rose“ von Renft, aber mit der gleichen Hingabe sangen und fühlten sie auch Juliane Werdings „Am Tag, als Conny Kramer starb“ und „He ain't happy“ von den Hollies. Es läßt sich schwer sagen, wann ein Stürmer-&-Dränger-Leiden am Leben nun politisch wird, oder ob es das überhaupt jemals wird. War man anders, bewußter, erwachsener und wacher, wenn man bei der Schuldisko zu Renfts „Ketten werden knapper / und brechen sowieso“ in die Knie ging und den Kopf nach unten knallte? Oder war es nur der Beat? Denn „Ketten werden knapper“ endete mit marschierenden Stiefeln.

Rebell von Gaschwirt, Mülsen und Röcknitz

Renft wurden 1975 verboten. Die Nachricht traf bei den Schülern der 1. Polytechnischen Oberschule „Georgi Dimitroff“, zu denen ich damals gehörte, auf Verständnislosigkeit. Im nachhinein erscheint das Verbot individuell wie historisch als Beginn einer langen pubertären Lähmung, gegen die, wer „Musikinstinkt“ und also Sehnsucht hatte, vor dem Radio ankämpfte: „AFN FM“, „Rock over Rias“, dann „SFBeat“. Klaus Renft hatte nach seiner Übersiedelung nach West-Berlin eine eigene Sendung beim Rias. Die Ausbürgerung Wolf Biermanns ein Jahr später geschah dann schon weit weg, in Australien vielleicht. Naive Verarschung war es, beim Vorstellungstreffen an der Uni auf die Frage der Seminarleiterin nach dem Hobby zu antworten: „Ich reise gern in der Welt herum.“ Man lachte unfroh und traf sich abends am Ofen.

Klaus Renft wurde 1942 in Jena geboren. Seine nach einem Renft- Titel benannte „Autobiographie“ „Zwischen Liebe und Zorn“ ist ein Bausteinsatz, bestehend aus einem langen Interview, Stasi-Dokumenten, Auszügen aus Renfts Tagebüchern und Eindrücken zweier Ex- Renftler, des Texters Gerulf Pannach sowie des Komponisten und Musikers Peter Gläser. Die Klaus- Renft-Combo, gegründet 1958, wurde 1962 „wegen Verbreitung amerikanischer Unkultur“ verboten. Klaus Renft (auch Klaus Jentzsch – komplizierte familiäre Verhältnisse) gründete daraufhin 1963 The Butlers, die 1965 auf Lebenszeit verboten wurden. Grund: „Das Auftreten Ihrer Kapelle steht im Widerspruch zu unseren moralischen und ethischen Prinzipien.“ Renft schließlich, gegründet 1967, spielte 1972 und 1974 eine LP ein, tourte durch „Gaschwitz, Mülsen und Röcknitz“ und wurde 1975 wegen „Beleidigung der Arbeiterklasse und Diffamierung der Staats- und Schutzorgane“ verboten.

Das letzte Gespräch zwischen der Band und dem Komitee für Unterhaltungskunst liest sich heute nicht ohne Komik. Christian „Kuno“ Kunert von der Band: „Was werfen Sie uns vor? Deutsch-Rock?“ Staat: „Das reicht ja wohl, oder?“ Kuno: „Warum soll ich nicht Kritik anbringen?“ Staat: „Sie wollen also doch Politik machen!“ Die Stasi- Akten über Renft dokumentieren „feindlich-gefährliche Plattentitel“, vor allem aber eine strahlende Kenntnislosigkeit der Aktenhalter, die weder die Band-Namen „Buhtlers“ und „Ranft“ noch so komplizierte Worte wie „Kortschuhe“ oder Jean-Paul „Bellmondo“ orthographisch korrekt wiedergeben konnten. Auf beiden Seiten wurde schwer gesoffen. Hat der Alkohol diese Ionesco-Spiele zwischen Staat und „Beat“ gemildert – oder deren Absurdität noch gesteigert?

Die Kunst, auf Abruf zu kotzen

In der Anordnung dieser Autobiographie folgt Klaus Renfts Leben dem Modell Simplicissimus – der arme Vagant, der nichts dazulernt, ewig auf Irrfahrt in der Gesellschaft. Als penetranter Spaßvogel, so scheint es, öffnete sich Renft die Hintertüren des Arbeiter-und- Bauernstaates. Kaum zur Nationalen Volksarmee eingezogen, macht er Gebrauch von seiner Fähigkeit, auf Abruf kotzen zu können, und landet in der Krankenstube, in die hinein man ihm die Vereidigungsuniform, nicht aber die zugehörigen Stiefel reicht: Renft latscht in Hauspantoffeln auf den Appellplatz.

In „Zwischen Liebe und Zorn“ ist nachzulesen, wie aus solchen Aktionen irgendwann bitterer Ernst wird, wie „unpolitischer“ Protest sich unterm Auge der Stasi zu staatsfeindlichen Umtrieben auswächst – Posse und Spaß mit einem Mal beiseite. Den Leser wundert nur, daß Renft das eigene Ungelittensein damals so sehr wunderte. Glaubwürdig wird die Sache dennoch, weil sich Renft nie zum Opfer macht. Sein tragisches Leitmotiv sieht eher so aus: Man macht alles falsch, wenn man sich so gibt, wie man zu sein glaubt. Obwohl da etwas dran ist, tut einem soviel „ehrrlische“ Uncleverness fast leid.

Das Buch liest sich weg wie Schwuppdich, was immer und nur dann so der Fall ist, wenn man durch einen anderen endlich ein Stück weiter hinter das Geheimnis des eigenen DDR-Lebens zu kommen meint – es zählt zu den Hintertreppenwitzen der Geschichte, daß die Stasi die Renft-Akten schon in den siebziger Jahren mit dem Vermerk „Geschichtlich wertvoll“ versah. „Zwischen Liebe und Zorn“ gibt Auskunft über rebellische Spiele und politische Folgen, über den Alltag in der DDR, den staatserhaltenden Wert der Bürokratie, über mehr als fünf Schwierigkeiten, auf der Bühne die Wahrheit zu sagen, und über einen allgemeinen Band-Mechanismus nach dem Modell Beatles oder Oasis: Musik, Bier (Varianten möglich), Krach um Personenkult.

Jungs, die auf die Beatles neidisch waren

Renfts Erinnerungen erhellen auch – und so präzise wie hier hab' ich das noch nirgendwo getrennt gefunden –, daß sich DDR-Beat- und Rockmusiker beim Spielen Spannungen ausgesetzt sahen, die herzlich wenig mit politischem Protest zu tun hatten. Einerseits wollte man „nur rocken“, andererseits stand man – hier eben staatlicherseits – unter dem Druck, „heiße Rhythmen musikalisch gekonnt zu spielen“, sonst wurde einem allein wegen der fehlenden „Einstufung“ (einer Art Stiftung Warentest der DDR-Unterhaltungskunst) die Auftrittserlaubnis gar nicht erst erteilt oder aber entzogen. Und dann wieder ergaben sich interne Spannungen, wenn sich eine Gruppe wie Renft plötzlich als Medium des Protestes sah, während ein Teil der Band „nur spielen“ und der andere politische Opposition bilden wollte.

Klaus Renft urteilt, daß Rockmusik in der DDR entweder „rebellisch“ war oder „Pseudophilosophie, Pseudopoesie“. Harte Worte. „Die Ideologisierung der DDR ließ nicht mehr zu, sich unabhängig von festgelegten Etiketten zu bewegen. Es gab nur rote Jasager und Pseudo-Neinsager.“ Renft, den Akten zufolge mal „unpolitisch“ und mal „politisch und moralisch verkommen“ eingestuft, zählt sich selbst zu den „Nur“-Rockern.

Dem DDR-Beat&Rock wird heute wegen seiner Hochmetaphorik und eigenartig auf Anspruch bedachten Musik eine Verkunstung zugeschrieben, die ihn zum komischen Trash-Objekt prädestiniert. Ein Vorzug dieser Autobiographie liegt darin, daß Renft die aus der – immerhin liebevollen – Verachtung resultierende immerwährende Kränkung im Ossi zurechtrückt. „Wir haben zum Beispiel lernen müssen, mit der Kraft der Musik nicht die plötzlich vieldiskutierten Texte zu erdrücken. Das war gar nicht so einfach, denn das Musikalische ging immer wieder durch mit uns, und um einen unmittelbar politischen Impuls ging es uns ja gar nicht vorrangig, also nicht vordergründig.“

Ich mache Musik, also bin ich

Hier eine Barock-Passage, da ein paar Mussorgski-Noten – das war teils Alibi vor den Komitees, die zuließen, was geschmackvoll „zündete“, teils aber auch Einbindung in einen größeren Kultur- und Geschichtszusammenhang, so ulkig es heute auch klingen mag. In der DDR sollte (Leipziger Volkszeitung vom 20. 0ktober 1965) schließlich „Geist, nicht Ungeist“ herrschen. Klaus Renft, der „Nomade“, formuliert es so: „Bei den Butlers, da war also nichts mit bewußtem Programm, wir waren Jungs, die auf die Beatles neidisch waren, mehr nicht, aber klar, das hat unser Leben ziemlich verändert ... Wir wollten doch nicht heimisch und familiär werden, wir wollten weit weg, in unser ganz eigenes Liverpool.“

So peinlich (?) es ist: Der Underground macht nicht nur, er hat auch eine Geschichte. Er ist selbst schon so alt, daß seine Pio

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niere struppig, verlebt und „mit ein bißchen Wanne und Lüftung an der Frisur“ vor einem stehen, dabei aber immer noch das Recht der Jugend in Anspruch nehmen, auf der Suche zu sein. Sehnsucht nach gestern ist es nicht, die Renft antreibt. „Die Songs, die in der DDR Power hatten, klangen hier (in der vereinigten BRD) plötzlich weinerlich“, sagt er unbarmherzig.

Ein letztes: Es wäre interessant gewesen zu erfahren, warum sich Klaus Renft mit dem Journalisten Hans-Dieter Schütt, der ein ganz anderes „DDR-Leben“ geführt hat als Renft, ein „FDJ-DDR-Leben“ bei der Jungen Welt nämlich, unterhalten hat. Schütt stand auf seiten derer, die für das Renft-Verbot sorgten.

Vielleicht war es auf Renfts Seite Dankbarkeit dafür, daß ihm jemand zuhörte und seine Geschichte vielleicht ernst nehmen würde. Denn nur darum geht es. Glücklich scheint die Konstellation nicht. Zu offensichtlich redet Schütt, wenn er fragt, davon, was er alles weiß. Als biographisches Kontrastmittel taugen Schütts Fragen nicht – das hier mögen seine fünfzehn Minuten Berühmtheit sein.

Das allerletzte: Tatsächlich bestätigt „Zwischen Liebe und Zorn“ ein Gefühl, das Ossis wie dich und mich befällt, wenn sie zum Beispiel durch eine Ausstellung wie „Boheme in der DDR“ (noch bis 13. Januar im Deutschen Historischen Museum Berlin) laufen: das überraschend schale Gefühl, „damals in der DDR“ bei einer Art besonders ulkigem Take-That-Konzert dabeigewesen zu sein, nur daß die Folgen „damals“ dramatischer ausfielen und „heute“ schlimmer nachwirken. Das alles wurde todernst exerziert?

Natürlich geht dieses bittere Gefühl auf die mit den Jahren eingelegte Distanz zurück, aber auch auf zahllose anmaßende Interpretationen von DDR-Leben, die nicht einmal den Hauch einer Oberfläche kratzen, wenn sie die ganze DDR-Gesellschaft „durchstreichen“ und „psychiatrisieren“, die DDR-Bürger zu „Insassen einer geschlossenen Anstalt“ machen.

Renft besteht darauf, daß das, was da in dem Buch steht, „seine Geschichte ist“. Er sagt: „Ich mache Musik, also bin ich. Ich werde gehört, also bin ich nicht allein.“ Das genügt.

Klaus Renft: „Zwischen Liebe und Zorn. Autobiographie“, hrsg. von Hans-Dieter Schütt, Verlag Schwarzkopf&Schwarzkopf, 320 Seiten (mit Fotos) 29,80 DM