Das Bundesinnenministerium hat eine Machbarkeitsstudie zur „Asylcard“ in Auftrag gegeben. Sie soll als Ausweis, Asylheimschlüssel, elektronische Geldbörse, Patientenkarte und Nachweis über den Stand des Asylverfahrens dienen. Von Julia Naumann und Patrik Schwarz

Der volldigitalisierte Flüchtling

Die Adresse klingt fast idyllisch. „An der Kapelle 2“ in Paderborn hat die Firma Orga Consult ihren Sitz, die derzeit in großer Heimlichkeit einen Auftrag von Manfred Kanther umsetzt. Der Bundesinnenminister läßt erkunden, wie mittels einer Chipkarte eine ganze Bevölkerungsgruppe datentechnisch überwacht und kontrolliert werden kann. Zielobjekt ist eine Gruppe, die Kanther schon seit langem im Visier hat: AsylbewerberInnen. Ja, bestätigt ein verantwortlicher Mitarbeiter bei Orga Consult, man arbeite im Auftrag des Bundesinnenministeriums an einer Machbarkeitsstudie über die Einführung einer „Asylcard“ – aber weitere Auskünfte dürfe er nicht geben.

Bereits jetzt unterliegen AsylbewerberInnen in Deutschland strikter Kontrolle. Sie werden bei ihrer Ankunft erkennungsdienstlich behandelt, sind zwangsweise in Sammelunterkünften untergebracht, dürfen nicht arbeiten und ihren Meldebezirk nicht verlassen. In Berlin darf ein Teil der Flüchtlinge nur noch bargeldlos einkaufen, in extra für sie eingerichteten Läden.

Werden die Pläne für eine Asylcard realisiert, dann wird die staatliche Kontrolle extrem ausgedehnt und Flüchtlingen ein Leben ohne Karte unmöglich gemacht. Achtzehn verschiedene Funktionen soll die Asylcard übernehmen, lautet die Vorgabe im Anforderungskatalog des Innenministeriums, der der taz vorliegt. Die Plastikkarte wäre dann unter anderem Ausweis, Wohnheimschlüssel, elektronische Geldbörse, Patientenkarte und Nachweis über den Stand des Asylverfahrens. Wie bei einer Stechuhr würde die Karte registrieren, wann der oder die InhaberIn ihr Heim verläßt. Auch wenn sie zum Arzt geht oder einkauft oder einen Termin bei der Ausländerbehörde hat – überall müßte sie das kleine Stück Plastik mit dem integrierten Chip vorlegen.

Und der Chip denkt mit. Der Datenspeicher gibt nicht nur Auskunft über die ursprünglich eingelesenen Informationen, sondern registriert auch laufende Vorgänge. Im Fachjargon ist darum von „Smartcards“ die Rede, „smart“ wie schlau. Sie hat eine Speicherkapazität von zwei Kilobyte, die Produktionskosten werden auf rund 15 Mark pro Karte geschätzt. „Das Konzept hat die meisten Datenschutzbeauftragten der Länder entsetzt“, sagt Hansjürgen Garstka, Berlins oberster Datenschützer.

Sein Kollege aus Niedersachsen warnt: „Über die Karte würden Persönlichkeitsbilder entstehen, die die Flüchtlinge zu gläsernen Menschen, zu reinen Objekten, zu chipgespeicherten Informationsmustern für die Verwaltung machen.“ Bedenken gegen die Asylcard gibt es auch bei weiteren Landesdatenschützern, etwa in Bremen und Schleswig-Holstein.

In einem internen Gutachten des niedersächsischen Datenschutzbeauftragten heißt es, das Konzept des Bundesinnenministeriums sei „mit den deutschen verfassungsrechtlichen Standards nicht in Einklang“ zu bringen. Insbesondere verstoße die Asylcard gegen das Gebot des Bundesverfassungsgerichts, wonach Daten nur für einen genau umrissenen Zweck erhoben werden dürfen. Die 18 unterschiedlichen Funktionen der Karte bedeuteten, daß Datenspeicherung auf Vorrat betrieben werde: Wenn ein Asylbewerber die Karte als Schlüssel zu seinem Wohnheim benutzen muß, entsteht gleichermaßen ein Logbuch seiner Bewegungen. Da die Asylcard zugleich der „Erzwingung räumlicher Aufenthaltsbeschränkungen“ dient, wie es in dem niedersächsischen Gutachten heißt, könnte die an sich harmlose Information, wann der Karteninhaber das Heim verläßt, gegen ihn verwendet werden.

Eine weitere Befürchtung der Datenschützer ist, daß die Asylcard wie ein „Schlüssel“ für weitere Computerdaten benutzt werden kann. Mit der „Karte für alles“ könnten die Behörden dann Daten im Sozialamt, bei der Polizei und im Krankenhaus abrufen, die normalerweise getrennt voneinander gespeichert werden. Dann müßten die AsylbewerberInnen numeriert werden, um Verwechslungen zu vermeiden, glaubt der Berliner Datenschützer: „Ohne Nummern wird man nicht auskommen.“ Das erinnert an Überlegungen von 1976, eine Personenkennziffer für alle EinwohnerInnen der Bundesrepublik einzuführen. Der Innenausschuß des Bundestages kippte damals das Vorhaben wegen verfassungsrechtlicher Bedenken.

Mit der Geldkartenfunktion der Asylcard läßt sich außerdem feststellen, ob die Flüchtlinge nicht nur Mehl, Gemüse und Konserven, sondern auch Kekse und Alkohol kaufen. Wenn etwa in den Parteien der Ruf lauter wird, auch beim Essensgeld für AsylbewerberInnen zu sparen, kann durch diese Überwachungsmöglichkeit eine Kürzung des Verpflegungssatzes gerechtfertigt werden. Das Resümee der Datenschützer fällt hart aus: Die Asylcard könne von den politisch Verantwortlichen wie „Daumenschrauben“ genutzt werden, sagt Thilo Weichert, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.