Sturz vom Patriarchenthron

Wildes Fabulieren mit sehr hohem Trash-Faktor und reichlich Mord und Totschlag: Vier Filme von Kim Ki-Young in der Forum-Reihe „Schauplatz Korea“  ■ Von Alexandra Seitz

Vergangenen Herbst kamen Filmscouts aus aller Welt vom 2. Internationalen Filmfestival in Pusan zurück und berichteten von einer Entdeckung namens Kim Ki- Young; ein weitgehend unabhängig arbeitender Regisseur, der von 1955 bis 1984 einunddreißig Filme gedreht (und zumeist auch geschrieben) hat. Inzwischen wird das Koreanische Filmarchiv in Seoul von Anfragen nach Kopien überflutet, erzählt Ulrich Gregor. Das Forum kann sich also glücklich schätzen, vier Highlights aus Kim Ki-Youngs Schaffen ergattert zu haben. Der 79jährige Regisseur und seine Frau Kim Yu-Bong, die einen Großteil seiner Filme produzierte, wurden in Berlin erwartet. Doch bei einem Brand in ihrem Haus kamen beide am 4. Februar ums Leben. Tragischerweise wird die Hommage damit zu einer Retrospektive.

An Begriffen, die versuchen, Kim Ki-Youngs Werk zu beschreiben, besteht kein Mangel: Die Melodramen Sirks und Fassbinders werden genannt, der visuelle Stil des deutschen Expressionismus und des italienischen Neorealismus dienen als Orientierungspunkte, der Horror William Castles begegnet einem in der wilden Welt Suzuki Seijuns. Nicht zuletzt scheint Kim Ki-Youngs Werk seine Entstehung einem unbeugsamen Willen wie dem Edward D. Woods jr. zu verdanken.

Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, entziehen sich seine Filme der Einordnung. Bei Kim Ki-Young krachen Genres aufeinander, daß es nur so staubt, wildes Fabulieren paart sich mit der totalen Lust am Bild, und das raffinierte Detail sieht sich plötzlich grober Stümperhaftigkeit gegenüber. „I have no editing style“ sagt Kim Ki-Young und pfeift auf lineares Erzählen und Logik, er schweift ab, verliert sich in Nebenhandlungen, in der Musik oder in der Optik. Aber wie!

Eines seiner Lieblingsthemen ist der Untergang der Familie, heraufbeschworen durch das unglückselige Zusammentreffen von sexueller Begierde des Mannes und Machtstreben der Frau. Die Geschichte vom Hausmädchen, dem der Familienvater verfällt und das grausame Rache dafür nimmt, daß es zur Abtreibung gezwungen wurde, hat Kim Ki-Young gleich dreimal verfilmt (1960, 1971 und 1982; das Forum zeigt mit „Hanyo“ und „Hanyo '82“ die erste und die dritte Verfilmung). In „Chung Nyo“ („The Insect Woman“, 1972) trifft ein impotenter Mann in einer Bar auf ein Mädchen, das für seinen studierenden Bruder zu sorgen hat. Kurzerhand erklärt sie sich zu seiner Mätresse und gerät mit der starken Ehefrau des Schwächlings aneinander, die letzteren im Zuge der Auseinandersetzungen sogar sterilisieren läßt.

In einer der vielen waghalsigen Szenen von „Chung Nyo“ findet ein Geschlechtsakt auf einem Glastisch statt, über den zuvor diese Murmel-Bonbons verstreut wurden, die man aus den Siebzigern noch irgendwie ungut in Erinnerung hat. In einem verblichen- orangen Licht (die Kopien sind leider in einem schlechten Zustand) schaut die Kamera durch die Glasscheibe auf den plattgedrückten Frauenhintern, in dem die bunten Kugelbonbons kleben. In „Hanyo“ („The Housemaid“, 1960) schleift der Familienvater seine Geliebte, die sich an seinem Bein festklammert, eine Treppe herunter, wobei ihr Kopf krachend auf jede Stufe schlägt. In „Iodo“ (1977) kommt es gar zum Geschlechtsverkehr mit einem Toten.

Daß das koreanische Publikum auf dergleichen Bilder irritiert reagiert hat, kann man sich vorstellen. Kim Ki-Young gilt in seiner Heimat als Exzentriker; in seinen Filmen ist von Sadomasochismus, Nekrophilie und Kannibalismus nicht nur die Rede, und Mord und Totschlag gehören zum Alltag.

Der schwache Mann, dem die Kontrolle über seine Familie entgleitet, ist kein neues Phänomen im koreanischen Kino, aber Kims Filme sind die einzigen, in denen es mit den Männern, ihren Familien und ihren Mätressen grundsätzlich kein gutes Ende nimmt. (Daß eine kleine Rahmenhandlung sich als pädagogische Erzählung outet, ist zu vernachlässigen). Über den Trash-Faktor hinaus können Kim Ki-Youngs Filme als Zeichen einer kulturellen Identitätskrise gesehen werden. „Kim Ki-Youngs Filme zeigen das Häßliche, Böse und Gewalttätige der Modernisierung Koreas in den Sechzigern und Siebzigern“ (Pusan-Festivalkatalog). Damals wirbelte ein viel zu schneller Aufbruch in eine westlich orientierte Wirtschaftsform die traditionell konfuzianische Gesellschaft durcheinander und warf insbesondere die Männer von ihren patriarchalen Thronen. Kim Ki-Young zeigt den desolaten psychischen Zustand von Menschen in einer Umbruchphase, in der eine neue Moral noch nicht gegründet ist.