Vergessen, um das Ansehen zu retten

Im Bundeswehr-Ausschuß wird immer deutlicher, daß sich die Verantwortlichen an der Hamburger Führungsakademie gegenseitig schonten. Kollektiv wurde der Auftritt des Rechtsextremisten Manfred Roeder verdrängt  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Alle haben eine sehr, sehr gute Meinung voneinander. Der Chef des Stabes, Oberst Norbert Schwarzer, „war mit Ausnahme des Falles Roeder wirklich ein exzellenter Chef“, sagt der ehemalige Kommandeur der Hamburger Führungsakademie, Generalleutnant Hartmut Olboeter. Olboeter sei ein Kommandeur gewesen, vor dem man wirklich keine Angst haben müsse, lobt Oberstleutnant Jörg Barandat, Dozent an der Akademie. Mit hoher Wertschätzung hat auch Oberst Schwarzer in einem Brief an Olboeter begründet, warum er ihn nicht über den Auftritt des Rechtsterroristen Manfred Roeder an der Führungsakademie informiert hatte: „Gerade weil ich Sie so schätze, habe ich Ihnen seinerzeit nicht gemeldet, daß ich auf den Neonazi Roeder hereingefallen war.“

Ganz allmählich schält sich vor dem Bundeswehr-Untersuchungsausschuß in Bonn ein Bild von der Atmosphäre an der Hamburger Führungsakademie heraus. Rechtsextremistische Neigungen läßt auch auf wiederholte Fangfragen hin keiner der Offiziere erkennen. Erkennbar wird vielmehr ein gemeinsames Verständnis von Loyalität, Kameradschaft und Solidarität, das Zusammenhalt nach innen und Abschottung nach außen befördert. Der wirkliche Schaden für Bundeswehr und Führungsakademie sei nicht durch Roeders Vortrag entstanden, sondern durch das Schweigen darüber, betonen mehrere Zeugen übereinstimmend. Welchen Anteil daran der Ehrenkodex der Beteiligten gehabt haben mag, bleibt unerörtert.

Je weiter oben einer in der Hierarchie steht, desto weniger Verständnis zeigt er dafür, daß die Nachricht vom Auftritt des Rechtsterroristen nicht dem Kommandeur gemeldet worden ist. Hartmut Olboeter selbst kann es sich überhaupt nicht erklären: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß es Angst war.“ Die letzte Disziplinarstrafe habe er 1971 verhängt: „Als einen scharfen Hund kann man mich nicht bezeichnen.“

Der ehemalige Kommandeur der Führungsakademie, inzwischen Personalchef des Verteidigungsministeriums, ist auf seine Vernehmung glänzend vorbereitet. Im Gegensatz zu anderen Zeugen niedrigerer Dienstränge stand ihm der hausinterne Bericht der Hardthöhe über die Vorfälle zur Verfügung. Olboeter beantwortet Fragen präzise und flüssig. Er spricht druckreif.

Seit Wochen denke er darüber nach, warum der Chef des Stabes ihm keine Meldung von dem Roeder-Vortrag gemacht habe. Vielleicht habe Oberst Schwarzer befürchtet, andere „reinzureiten“. Die beiden Offiziere verband ein enges Vertrauensverhältnis. Mehr als zehn Mal habe er, Olboeter, sich mit Schwarzer über den Gesundheitszustand von dessen schwerkranker Frau unterhalten. Die Vorstellung, daß Schwarzer sein Vertrauen mißbraucht habe, sei „völlig abwegig“.

Generalleutnant Olboeter ist ein vorsichtiger Mann. Während seiner Dienstzeit hat er oft Rücksprache mit dem Verteidigungsministerium genommen. So hätte er auch gehandelt, wenn ihm der Fall Roeder bekannt geworden wäre: „Für mich als Kommandeur hätte es keine Güterabwägung geben dürfen. Ich hätte es melden müssen, und wenn es mich den Kopf gekostet hätte.“ Den Kopf gekostet? Oberst Schwarzer hatte sein Schweigen als Freundschaftsdienst betrachtet. Er habe geglaubt, dem Kommandeur „eine vermeidbare Beunruhigung“ ersparen zu können, schrieb er diesem im Dezember.

Was ist Mut?

Für welches Verhalten braucht jemand in der Bundeswehr Mut? Immer stärker rückt diese Frage im Zusammenhang mit dem Roeder- Skandal in den Vordergrund. Oberstleutnant Jörg Barandat hatte Oberst Schwarzer im Mai 1995 über den geistigen Hintergrund Roeders informiert. Bei einem gemeinsamen Mittagessen war zufällig die Rede auf dessen Vortrag im Januar gekommen. Danach sei er fest davon überzeugt gewesen, daß der Kommandeur informiert worden war. Warum er das überhaupt für notwendig gehalten habe, will der CSU-Abgeordnete Christian Schmidt wissen. „Wenn man ein offenes Haus hat, und die Führungsakademie ist ein offenes Haus, dann kann man letztendlich nicht verhindern, daß sich jemand einschleicht. Das Problem setzt dann an, wenn man versucht, die Leiche im Keller zu verstecken.“ Jörg Barandat betont, daß er keinen Grund sehe, vor einer Meldung an den Kommandeur Angst zu haben. Dabei hat er während seiner Dienstzeit im Heeresführungskommando einmal selbst die Erfahrung gemacht, daß eine Meldung berufliche Nachteile mit sich bringen kann. Darüber mag er im Ausschuß aber keine Einzelheiten berichten.