Weiterbohren im Flowtex-Skandal

Bei Geschäften mit fingierten Bohrmaschinen entstand ein Schaden von 1,5 Milliarden Euro. Ab Morgen steht ein Beamter, der den Betrug ermöglicht haben soll, vor Gericht

MANNHEIM taz ■ Seit Anfang Februar 2000 sorgt der filmreife Wirtschaftsskandal bundesweit für Aufsehen. In der badischen Firma Flowtex herrschte ein Betrugssystem ungeheuren Ausmaßes. Über Jahre hinweg täuschte sie Banken, Leasinggesellschaften und Steuerbehörden. Sie verkaufte Horizontalbohrmaschinen an Leasingunternehmen und mietete diese dann zurück, um sie später über angebliche Servicegesellschaften einzusetzen. Allerdings: Die meisten dieser Maschinen hat es nie gegeben.

Ab morgen muss sich nun der zuständige Betriebsprüfer des Finanzamtes Karlsruhe vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft Mannheim wirft ihm vor, von alldem bereits zu einem frühen Zeitpunkt gewusst zu haben. Aber prinzipiell geht es auch um Schadenersatzansprüche gegen das Land Baden-Württemberg. Wenn die behördliche Betriebsprüfung detaillierte Kenntnisse über das Betrugssystem gehabt hätte, wäre das Land möglicherweise schadenersatzpflichtig. 113 Gläubiger haben sich deshalb zu einer Klagegemeinschaft zusammengeschlossen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Insgesamt fordern sie 1,1 Milliarden Euro Schadenersatz.

Laut Anklage werden dem 56-jährigen Finanzbeamten Beihilfe zum Betrug, Bestechlichkeit und Verletzung des Dienstgeheimnisses vorgeworfen. Er habe das System Flowtex bei seinen Prüfungen schnell durchschaut, die tatsächliche Sachlage aber aufgrund einer persönlichen Beziehung zu Flowtex-Chef Manfred Schmider vor seiner Behörde verschwiegen. Er soll sogar selbst Bohrsysteme abgenommen haben, „obwohl er gewusst habe, dass diese Maschinen mit [falschen] Typenschildern präpariert gewesen seien“.

Das Geschäftsmodell der Firma Flowtex soll nur über den Verkauf von nichtexistierenden Bohrmaschinen funktioniert haben. Nur so konnten die hohen Leasingraten finanziert werden. Mit hoher krimineller Energie und buchhalterischen Tricks gaukelten die beiden Flowtex-Geschäftsführer der Öffentlichkeit über Jahre ein prosperierendes Unternehmen mit Millionenumsätzen vor und leisteten sich einen verschwenderischen Lebensstil mit teuren Jachten, Villen und Nobelkarossen. Auch der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel zeigte sich gern mit den Machern des Vorzeigeprojekts Flowtex.

Die Spirale drehte sich immer weiter. Bald entstand ein „Schneeballsystem“, eine Schuldenlawine, die immer größer und schneller wurde. Ein finanzieller Schaden in Höhe von 1,5 Milliarden Euro war es am Ende, als das System kollabierte. Schmider und der andere Geschäftsführer, Kleiser, wurden deshalb zu elfeinhalb und neuneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Als weitere Gegenleistung soll Flowtex dem Betriebsprüfer im August 1998 einen neuen VW Golf vermittelt haben – lediglich gegen Inzahlungnahme des alten Wagens. Der Restbetrag, rund 11.000 Euro, soll von Schmider beglichen worden sein. Des Weiteren geht es um einen Laptop, den der Beamte zu einem „symbolischen Preis“ von umgerechnet 500 Euro erhalten haben soll.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm außerdem vor, Schmider im Jahr 2000 in einem Telefonat vor dessen drohender Verhaftung gewarnt zu haben. Der Beamte soll dem Flowtex-Chef in dem Gespräch geraten haben, seinen „Urlaub vorzuverlegen“.

Die Anschuldigungen gegen den Finanzbeamten sind hochbrisant. Parallel zum Verfahren in Mannheim prüft nämlich der 12. Senat des Oberlandesgerichts Karlsruhe in einem Zivilprozess eine Amtshaftungsklage gegen den Karlsruher Finanzbeamten. Hierbei geht es um mögliche Ansprüche der Flowtex-Gläubiger gegen das Land Baden-Württemberg. Im Finanzministerium Baden-Württemberg äußert man sich zurückhaltend über mögliche Regresszahlungen. „Gelassen sieht man so etwas nie. Unsere Juristen sind aber zuversichtlich, dass keine Ansprüche gegen das Land geltend gemacht werden können“, erklärt Finanzminister Gerhard Stratthaus gegenüber der taz. Aber auch der Minister weiß: Sollte der Beamte vom Landgericht Mannheim strafrechtlich verurteilt werden, gäbe dies den Klägern in Karlsruhe neue Munition an die Hand.

JOCHEN SCHÖNMANN