Madonna, Mond und Sterne

Das Material Girl wohnt hier nicht mehr: Zum neuen Album „Ray of Light“ ist Madonnas Künstlichkeit einer künstlichen Natürlichkeit gewichen. Der Sound ist Sphäre und Raum, und über allem liegt ein Hauch Esoterik: Statt Sex setzt es Kitsch, Kabbala und Liebe  ■ Von Heike Blümner

Wie heißt das verdammte Kaff, in das wir jetzt müssen?“ dürfte Madonna ihren Manager gefragt haben, als sie vor knapp zwei Wochen im sonnigen Los Angeles ins Flugzeug stieg. „Hab' ich auch gerade vergessen“, antwortete wahrscheinlich der Manager, „ich schau' gleich noch mal in den Unterlagen nach.“

Duisburg war's. Doch das hat Madonna wohl schon wieder vergessen. Duisburg und Madonna, Madonna und Duisburg. Noch unlängst wäre man jede Wette eingegangen, daß es nicht möglich ist, diese beiden Namen in einem sinnvollen Satz unterzubringen. Genauso wie Naomi Campbell und Ingolstadt, Isabella Rossellini und Braunschweig oder Uma Thurman und Koblenz.

Woran sich Madonna jedoch noch erinnern wird, ist, daß sie an diesem seltsamen Ort ihre neue Single „Frozen“ vorstellte. Und daß sie sich danach auf einem Sofa wiederfand, zwischen den zwei unattraktivsten Männern, denen sie je in ihrem Leben begegnet ist. Was denkt jemand wie Madonna, die Queen of Style, wenn sie Menschen wie Thomas Gottschalk oder Jürgen von der Lippe trifft? Der eine, eine grobteutonische Mischung aus David Lee Roth und Linda Evans, grapscht unaufhörlich an ihr herum. Der andere, ein zum Leben erweckter Disney- Zwerg, beäugt sie aufdringlich von der Seite. Der eine stellt Fragen wie: „Madonna, wechselst du die Windeln deiner Tochter selbst?“ Dem anderen fällt in ihrer Gegenwart nur die Zahl „69“ ein.

Okay, dezentes Benehmen und popmusikalisch relevante Fragen hatte man von den deutschen Mitessern der globalen Unterhaltungsindustrie sowieso nicht erwartet. Doch mit dieser Ladung Sexismus, die auf Madonna in „Wetten, daß...?“ zum Erscheinen von „Ray of Light“ niederprasselte, konnte auch nicht gerechnet werden. Erst letztes Jahr sah alles danach aus, als würden bei Madonnas nächstem Album die dumpf- chauvinistischen Attacken sparsamer ausfallen. Und zwar interessanterweise aus dumpfen Beweggründen. Denn vor „Ray of Light“ gab es mit „Evita“ die Mutter Madonna der Nation und mit Tochter Lourdes die Mutter Madonna.

Schönheit aus dem örtlichen Gothic-Club

„Evita“ sei Kitsch, hieß es allerorten, und zum Ereignis Lourdes wurde Madonna mit Hochsteckfrisur und zart-güldenem Kreuz auf bebender Brust in einer amerikanischen Talkshow gesichtet, wo sie verkündete, daß erst Muttersein ihrem Leben einen „echten Sinn“ gegeben hätte. Na also: Madonna altert sittsam in Musicalbusineß und Familie. Das heißt: Niemand braucht mehr Angst vor ungezügelter Erregung haben (und peinlichen Ausrutschern in der Beurteilung ihrer Produkte). Endlich: Madonna, gezähmt durch altersbedingten, schicksalhaft-schlechten Geschmack, gezähmt durch die eigene Biologie! Die Kulturbeilage Spiegel extra titelte „Madonna mit Kind – Die neue Rolle der Pop- Ikone“, das britische Q-Magazine versuchte es mit „Sexy Mother“. Doch siehe da, schon wieder reingefallen. „Ray of Light“ ist weder der Soundtrack zu einem christlichen Musical, noch enthält es Coverversionen der niedlichsten Kinderlieder. Statt dessen gibt's ein neues Video, eine neue Frisur, ein neues Outfit, eine neue Single, ein neues Album – und alles mal wieder anders als vorher. Erst die Verpackung, dann der Inhalt, dann der Inhalt des Inhalts. „Wer behauptet, sich dem jeweils neuesten Output von Madonna anders zu nähern, schwindelt.

Für „Ray of Light“ bekommen wir eine warme, strahlende, lachende Madonna mit wallenden goldbraunen Locken präsentiert. Ihre künstliche Künstlichkeit ist einer künstlichen Natürlichkeit gewichen: Madonnas neuer Look wäre perfekt für eine Werbekampagne für Parfüms mit den Namen „Joy“, „Sun“, „Life“ oder „Optimism“. Verschwunden ist das Verruchte, darüber legt sich statt dessen ein Hauch Esoterik. Das Cover zu „Ray of Light“ sieht so aus, wie geschmackvolle Menschen sich visualisiertes „positives Denken“ vorstellen: Sehr, sehr sauber und ordentlich sind die Fotos auf krisp- blauen Hintergrund gelegt. In ihrem neuen Video zur Single „Frozen“ zeigt Madonna sich von der düster-magischen Seite. Madonna in schwarzen Gewändern, mit langen Haaren und Sanskritzeichen auf dem Körper. Es heißt ja immer, daß Madonna die Fashiontrends scoutet, fünf Sekunden bevor die Masse sie haben will. Könnte sie sich diesmal irren? Oder geht es ihr mit ihrem Outfit um etwas anderes? Denn so richtig cool sieht die schwarze Magierin Madonna nicht aus. Eher wie die Schönheit aus dem örtlichen Gothic-Club.

Und dann die Musik. Produziert wurde „Ray of Light“ von ihr persönlich sowie von Patrick Leonhard, Mario De Vries und dem angesagten britischen Ambient-Produzenten William Orbit. Wohin die musikalische Reise gehen soll, deutet sich im letzteren Namen schon an.

Madonnas Musik hat zwar von jeher ihre Wurzeln in Club- und Dancesounds. Doch „Ray of Light“ ist das Album, das von allen Madonna-Werken am elektronischsten klingt und das wahrscheinlich auf diesen Klang hin auch ganz bewußt produziert wurde. Alles ist Sphäre und Raum. Als Beat dominiert einfacher House- Rhythmus, manchmal auch eine Ahnung von Drum'n Bass. Alle Stücke sind von verspielten Effekten durchwoben: Es zirpt, klingelt, wirbelt, hallt und raschelt fast ohne Unterlaß. „Ray of Light“ soll modern klingen, ist aber nicht progressiv, und wenn es nicht Madonna wäre, die ihre Melodien und ihre Stimme über die Tracks legen würde, wäre das Album an einigen Stellen langweilig. Schade ist, daß nur „Nothing Really Matters“ als einziges Stück vorwärts treibt und deshalb nur einmal dieses Madonna-typische Gute-Laune-Gefühl rüberkommt. Die zweite Single- Auskopplung, „Ray of Light“, erinnert dagegen ein wenig an Songs, die „Bobo In The White Wooden Houses“ schon vor vier Jahren gemacht haben. Alle anderen Stücke auf dem Album befehlen einem, daß man eintauchen soll in die tiefe Welt der spirituellen Mrs. Ciccone.

Madonna heil, Welt kaputt

Kommen wir also zum Inhalt des Inhalts. Doch eins vorweg: Alle, die behaupten, „Evita“ sei so kitschig gewesen, lassen außer acht, daß Madonna schon immer kitschig war, und zwar oft bis an die Grenze des Politisch-Korrekten. Nein, es geht selbstverständlich nicht um die Sexgeschichten, sondern um Madonnas szenische Entwürfe von Familie und Zweisamkeit. In „Papa Don't Preach“ zum Beispiel mimte sie einen schwangeren Teenager, der nicht abtreiben will („He said, that he's going to marry me, and that we can have a little family“). Oder in „La Isla Bonita“, wo sie eine hispanische Multikulti-Idylle erfand („Beautiful faces no cares in the world, where a girl loves a boy and a boy loves a girl“). Sie schrieb auch schon früher kindliche Songs, wie zum Beispiel „Dear Jessie“, und immer wieder hat sie sentimental die Kindheit heraufbeschworen als einen verlorenen Ort, wie in „Playground“. Da aber auf „Ray of Light“ so gut wie kein Sex passiert, bleibt viel Raum für Madonna, in ihren Texten ungehindert ihren alt-neuen, ganzheitlich spirituellen Knall auszuleben und gleichzeitig auf ihr bisheriges Leben zurückzublicken: „I traded fame for love, without a second thought, it all became a silly game“, so die Richtungsvorgabe des ersten Stückes „Drowned World/Substitue for Love“. Das Material Girl wohnt hier nicht mehr. Doch wo so viel Liebe ist, liegt die Bedrohung schon auf der Lauer: „Children killing children while the students rape their teachers. Comets fly across the sky, while the churches burn their preachers“, singt sie in „Swim“. Madonna heil, Welt kaputt? Und wer ruft jetzt die Polizei? Oder helfen da nur noch Sonne, Mond und Sterne, Kaballa und indische Erweckungs-Popsongs wie „Shanti/Ashanti“? Interessanter sind auf „Ray of Light“ die Stücke, die nicht in der Eso-Ecke Unsinn treiben. Dann darf es auch mal ein wenig fleischlicher werden wie in „Skin“. Am schönsten sind jedoch die Stücke, die Madonna für ihre Tochter geschrieben hat, ihrem „Little Star“: „Never forget where you come from, from love... may the angels protect you and sadness forget you, little star.“ Wen das nicht rührt, der hat ein Herz aus Stein!

Bleibt noch die Frage, wen genau Madonna mit „Ray of Light“ rühren will. Im Q-Magazine antwortet sie auf die Frage, wer denn ihre Fans seien mit: „Keine Ahnung.“ These: Madonnas Fans sind schon aus dem Gröbsten heraus und werden mit ihr zusammen älter. Für Teenies und Neueinsteigerinnen taugt sie nicht mehr wirklich. Für jeden, der sich „Ray of Light“ als erstes Madonna-Album kauft, und das könnte beispielsweise ein fünfzehnjähriges Mädchen sein, ist es wahrscheinlich ganz nette Musik von einer schönen, erwachsenen Frau. Madonna, größter weiblicher Popstar, funktioniert für unter Zwanzigjährigen kaum noch. Es sei denn, sie gehen wieder zurück zu den Anfängen, in das New York der frühen achtziger Jahre, zurück zu den Vorläufern von House-Music, in die damalige Club-Community, wo sie eine junge toughe Frau mit großen Ambitionen und einfachen Pop-Tanzstücken entdecken werden. Madonna ist um so faszinierender, je länger man sie „kennt“: Neben dem New Yorker Streetgirl, der Marilyn-Monroe-Interpretation, der Disco-Queen, Katholikin, Feministin und Domina macht man deshalb gern auch noch Platz für die Spiritualistin. Mal sehen, was als nächstes dran ist.