Tod und Teufel

■ Seine Grimme-Preise hat nun auch das 97er TV-Jahr. Fazit: Schwermut auf hohem Niveau

Am dritten Tag fingen alle an, sich um die Nominierungskommission Sorgen zu machen. Oder ist 1997 tatsächlich ein so morbides Fernsehjahr gewesen? Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatte uns die Vorauswahljury praktisch ausnahmslos Krankheit, Tod und Teufel herübergereicht. „So was kommt schon vor“, beruhigte ein älterer, erfahrener Juror die verschreckten Novizen. Er erinnere sich noch gut an ein Jahr, da habe in jedem Film Witta Pohl mitgespielt.

Vielleicht war es wirklich ein schwermütiges Jahr. Das aber dann auf recht hohem Niveau. So setzte sich gerade im Hinblick auf etliche herzschmerztriefende Melodramen jüngster Zeit die wohltemperierte Tonlage von „Nur für eine Nacht“ (ZDF) deutlich ab. Das Fernsehspiel von Michael Gutmann und Hans-Christian Schmid erzählt sehr leichtfüßig die Geschichte des krebskranken halbwüchsigen Felix, der vor Beginn seiner Chemotherapie eines noch wissen will: Wie ist das, mit einer Frau zu schlafen? In einer turbulenten Nacht setzt der Vater alles daran, seinem Sohn diesen „letzten Willen“ zu erfüllen. Wer hätte gedacht, daß man daraus eine so stilsichere Komödie machen kann?

Auf ganz andere Art souverän geht der Dokumentarfilmer Martin Zawadzki auf das Thema Tod zu. Sein Erstling „Isolator II“ (SFB/ZDF/3sat) zeigt die existentielle Bedrohung einer Knochenmarktransplantation in all seiner Brutalität. Der Film begleitet einen Patienten durch die sechs Wochen dauernde Therapie, die nur die Hälfte der Patienten überlebt, und montiert diese klassischen Dokumentarbilder mit Versatzstücken anderer Genres. Entstanden ist so ein sehr konzentrierter Essayfilm über den Weg vom Leben in den Tod ins Leben.

Als Andres Veiel seine Recherchen für „Die Überlebenden“ (ZDF) aufnahm, war der Tod längst eingetreten. Drei seiner Mitschüler des Abiturjahrgangs 1979 haben sich das Leben genommen. Veiel rekonstruiert ohne übergestülpte Interpretationen die fast hermetische Ausweglosigkeit dieser Suizide. Lange diskutierte die Jury, ob dieser Film überhaupt ausgezeichnet werden sollte. Denn der Ausstrahlung im ZDF ging eine vergleichsweise lange Kinoauswertung voraus. Letztlich bleiben die Kriterien des Grimme- Preises hier unscharf, denn kaum eine große TV-Produktion ist ohne Filmfördermittel und Kinoauswertung mehr finanzierbar. So entschieden sich die Juroren, hier der Qualität Vorrang vor formalen Überlegungen zu geben.

Ausschließlich fürs Fernsehen gemacht ist „Die verschwundene Armee“ (NDR/arte). Die Dokumentation von Jürgen Eike und Werner Brüssau trägt im klassischen Stil Daten, Zahlen und Fakten über die NVA zusammen, die Armee, der am 3.10. 1990 ihr Staat abhanden kam. Das Ost-West- Duo bezieht keinen ideologischen Standpunkt, sondern konzentriert sich wohltuend auf ein journalistisches Erkenntnisinteresse. Mit diesem Film unterstreicht das Fernsehen seine Funktion, über den Tag hinaus gültige Hintergrundberichterstattung zu leisten.

Sehr weit von einem bloßen Tatsachenbericht entfernt sich „Der Hauptmann von Muffrika“ (ZDF). Paul Meyer und Rufold Kersting tragen die Spuren einer „blutigen Köpenickiade“ vor Kriegsende zusammen, angezettelt von einem sardonischen Gefreiten in geklauter Hauptmannsuniform. Die beiden Filmemacher entwickeln eine außergewöhnliche Form, um die Ereignisse jener Tage adäquat zu schildern: Sie erzählen eine Moritat mit schaurig- schönen Bildern und einer waghalsigen Balance zwischen Faszination und Ekel vor dem Bösen. Beklagten die Juroren, in diesem Jahr kaum mit ästhetischen Wagnissen konfrontiert zu werden, so ist der „Hauptmann von Muffrika“ eine Ausnahme.

Den für seine stilistischen Experimente bekannten Dominik Graf hatte die Vorauswahlkommission mit dem Drogenkrimi „Skorpion“ ins Rennen geschickt. Die Endjury machte von ihrem Recht der Nachnominierung Gebrauch und stellte auch seine bereits ausgeschiedene Heimatfilmparodie „Dr. Knock“ (BR/arte) erneut zur Diskussion. Während der „Skorpion“ sich in der Bebilderung moderner Designerdrogen erschöpfte, war sich die Runde einig, mit „Dr. Knock“ eine ästhetisch avancierte Produktion gesehen zu haben. Die Groteske über den neuen Landarzt, der sich seine gesunden Patienten erfolgreich krankredet, mixt einen skurrilen Plot mit klassischer Aufklärung: Und die Medizin wirkt.

Hier endet auch schon das Hohelied auf die gelungenen Form- Experimente. Zwei nominierte Produktionen wurden heftig diskutiert: die Dokumentation „Die A-Klasse“ (arte) und Heinrich Breloers „Todesspiel“. Beide Stücke wurden aufgrund formaler Zweifel abgelehnt.

Vor allem die am Schluß einhellige Zurückweisung des „Todesspiels“ (WDR) ist das Ergebnis einer langen Erörterung. Zwar spielt Breloer, der mit seinen Produktionen bislang auf Grimme-Preise geradezu abonniert schien, die Trumpfkarte „Thrill“ eindrücklich aus. Andererseits gibt es größere formale Mängel: So beharrt Breloer auf der von ihm auktorial inszenierten Innensicht, die er zudem nach erzählerischen Gesichtspunkten begradigt. Die potentielle Stammheim-Zeugin Irmgard Möller wird nicht nur nicht befragt, sondern konsequenterweise gleich aus der Story gestrichen. Einen gesellschaftlichen Kontext kennt weder der taktische Kleinkrieg zwischen Helmut Schmidts „Großer Lage“ und der RAF-Kommandozentrale noch das Auftauchen fanatischer Palästinenser in der Kabine der „Landshut“. Zweifel an der Verortung von Gut und Böse, Wahr oder Falsch ersetzt Breloer konsequent durch die Behauptung seiner inszenierten Bilder. Das erschien der „Großen Lage“ in Marl doch zu gewagt.

Bei der „A-Klasse“ blieben die Meinungen dagegen unversöhnlich: Während die Befürworter die Reportage aus der Chefetage von Mercedes für einen aufschlußreichen Einblick in die Unternehmensstrategie des Großkonzerns hielten, meinten die Gegner, Schoen sei bei allem Bemühen um Unabhängigkeit doch nur in eine generalstabsmäßige PR-Kampagne geraten: Man hatte ihm nur gezeigt, was man zeigen wollte.

Ein einhelliges Mehrheitsvotum gab es dagegen für Christian Görlitz' Romanverfilmung „Freier Fall“ (ZDF/arte). Josef Bierbichler gibt beeindruckend den harmlos-korrupten Baudezernenten, der aufgrund einer mörderischen Intrige im freien Fall ins Bodenlose stürzt. Schnörkellos konzentriert sich die Inszenierung auf ihre Story und verläßt sich auf die starken Dialoge. Ein souveräner, 90minütiger Freiflug, dem die Jury gleich einen Preis in Gold verpaßte.

Last not least die Sat.1-Komödie „Viel Spaß mit meiner Frau“. Eigentlich variiert Autor Bernd Schirmer hier nur das alte Klamotten-Thema Verwechslung. Aber Peter Welz hat mit Jörg Gudzuhn und Jörg Schüttauf zwei bisher verkannte Komödianten entdeckt, die mit ungebremster Spiellust ein berufliches Wechselspiel zum Tragen bringen, das zugleich in noch nicht gesehener Leichtigkeit die banalen Attitüden der Wessi-Unternehmer aufs Korn nimmt. Und überhaupt kommt das Stück ohne einen einzigen Toten aus. Klaudia Brunst

Die Autorin war Mitglied der Jury „Allgemeine Programme“.