Der kriminelle Pkw-Solofahrer

■ Die Utopienecke: Gedanken eines Motorisierten beim Umkurven des Straßengrüns nach dem Erlaß des Nichtmitnahmeverbotes

Wollen Sie wissen, was sich wirklich seit dem Nichtmitnahmeverbot verändert hat?

Einfache, rechtschaffene Bürger, mit Haus und Auto, eben so wie du und ich, wurden über Nacht zu Kriminellen gemacht! Ich bin früher immer allein gefahren, schließlich gehört mein Autositz mir, und jetzt muß ich plötzlich dafür Strafe zahlen, daß ich nicht irgendeinen Langhaarigen oder eine junge Mutter mit sabberndem Kind auf 'm Rücksitz haben will.

Angeblich wurde das wegen der Luft und so eingeführt. Dabei wird doch jedem mit ein bißchen Überlegen klar, was wirklich dahintersteckt: Es soll weniger Auto gefahren werden!! Die mächtige Straßenbahnlobby setzt skrupellos ihre Interessen durch, oder warum sonst ist die BVG plötzlich so billig geworden, daß man geradezu gezwungen wird umzusteigen?

Aber ich leiste Widerstand!! Wenn ich morgens zum Beispiel drei Stunden früher aufstehe, kann ich allein zur Arbeit fahren, um die Zeit wird man nur selten erwischt, und kann dann noch gemütlich drei Stunden vor dem Werk in meinem Auto sitzen. Abends gehe ich heimlich rasen. Zwischen Hellersdorf und Marzahn gibt es eine Spezialstrecke, wo zwischen zwölf und zwei Uhr keiner mitkriegt, wenn ich achtzig fahre. Oder ich fahre am Wochenende illegal kleine Straßen ab, das wird allerdings immer schwieriger, denn nicht nur daß es sowieso nur noch vier Hauptstraßen in Berlin gibt, die offiziell für den Autoverkehr zugelassen sind, jetzt fangen dämlich grinsende Familienväter auch noch an, meine letzten Schleichwege zuzupflanzen. Gestern biege ich von rechts in die Wienerstraße, steht da 'ne Buche, mit Schaukel, plus Kind!! Oder letzten Samstag, da hatten sie die ganze Großbeerenstraße mit Bänken zugestellt, das ist ja jetzt das Neueste, wir feiern einfach draußen auf der Straße, juhu, irgend so 'ne Anthroposophenhochzeit, Tische und Apfelkuchen die ganze Straße lang, interessiert ja jetzt keinen mehr, wie man da mit dem Auto durchkommen soll. Genau wie die Mode mit den Hollywoodschaukeln. Mercedes baut ja jetzt hauptsächlich für den ÖPNV und hat die Marktlücke mit den Schaukeln entdeckt, stabil, nichtquietschend, garantiert umkippfest. Die Straßen rauf und runter wird jetzt in der lauen Juliluft geschaukelt nach Feierabend, in der Freizeit oder nur mal so zwischendurch.

Raus fahren ins Grüne? Ha, selbst so einfache Ausflugsfreuden werden einem vermiest, nicht nur wegen dem Sonntagsfahrverbot, ich fahre ja manchmal trotzdem, die fünfhundert Mark sind es mir wert, aber vor allem lohnt es sich ja gar nicht mehr, wenn hier alles grün ist, mich fragt ja keiner, ob ich's so toll finde, daß vor meinem Fenster eine zarte Buche steht und ich jetzt jeden Morgen vom Vogelgezwitscher begleitet werde. Und alles nur, weil man zu den wenigen Aufrechten gehört, die ihr Auto nicht einfach an einer der Recyclingstellen abgeben oder Blumenkübel, Parkbänke und Wohnzimmercouchs draus basteln.

Aber wissen sie was das Schlimmste ist? Ich werde langsam mürbe. Erst mein Arzt, der will mir letztens bei meiner Routineuntersuchung weismachen, daß mein Asthma besser geworden ist, und jetzt habe ich selber schon so ein gutes Gefühl in der Lunge. Britta Steffenhagen