Rentenprotest befeuert Tarifgespräche

Die IG Metall kämpft gegen die Rente mit 67 – und gleichzeitig für höhere Löhne. Einen Tag vor der Eröffnung der Tarifrunde ärgern sich die Arbeitgeber über die „politischen Streiks“. Gesamtmetall kritisiert Machtmissbrauch der Gewerkschaften

AUS BERLIN THILO KNOTT

Martin Leutz, Sprecher des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, findet solche Aktionen gar nicht gut. „Dieser politische Streik in den Betrieben hat für die Verhandlungen sicherlich nicht geholfen“, sagte Leutz der taz. Die Gewerkschaftsproteste seien „eindeutig ein Missbrauch der Sozialpartnerschaft“. Die IG Metall hatte mit Arbeitsniederlegungen in den Betrieben gegen die Rentenpläne der großen Koalition protestiert. Morgen will der Vorstand der IG Metall eine Lohnforderung von 6,5 Prozent bekannt geben, heißt es. (Kasten)

Aber auch die IG Metall ist enttäuscht. Sie hatte sich bei ihren Anti-Rente-67-Protesten Unterstützung von den Arbeitgebern erhofft. „Eigentlich hätten sich die Arbeitgeber den Protesten anschließen müssen“, erklärt Gewerkschaftssprecherin Ingrid Gier. Alternde Belegschaften seien auch ein Thema für die Unternehmen. Doch nur der Arbeitgeberverband Stahl in Nordrhein-Westfalen schrieb gemeinsam mit der IG Metall einen Brief an Franz Müntefering (SPD) – und forderte den Bundesarbeitsminister auf, den Menschen auch in Zukunft Wege zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zu eröffnen. Ansonsten kritisierte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Proteste. Auseinandersetzungen mit der Politik in die Betriebe zu tragen, sei „Machtmissbrauch“ der Gewerkschaften und ein „klarer Rechtsbruch“.

300.000 Beschäftigte haben sich nach Gewerkschaftsangaben in den vergangenen zwei Wochen an Renten-Protesten beteiligt. Sie alle könnten Probleme bekommen. Was Gesamtmetall mit „klarer Rechtsbruch“ meint, berührt eine deutsche Spezialität: Hier sind politische Streiks nicht erlaubt.

Die IG Metall will von „politischem Streik“ nicht reden. Sie sagt lieber „Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit“ – schließlich lebe man nicht in einem Land, in dem „die Verfassung nur in der Freizeit und am Wochenende gilt“. Nach geltender Rechtslage ist ein Streik hierzulande nur dann rechtmäßig, wenn sein Ziel der Abschluss eines Tarifvertrages ist. „Politische Streiks“ – etwa um die Beibehaltung der Rente mit 65 zu erzwingen – sind nicht zulässig. Eine solche Forderung könnte nur von der Politik erfüllt werden – aber nicht von den Arbeitgeberverbänden. „Politische Ansichten sind keine tariflich regelbaren Ziele“, heißt es in der Rechtsprechung.

Sollte also ein Arbeitgeber vor Gericht gehen und dieses einen „politischen Streik“ feststellen, wird es unangenehm. „Dann drohen Abmahnungen, Abzug der Lohnvergütung, ja sogar Schadenersatz“, sagt Richterin Ursula Masuhr vom Arbeitsgericht Stuttgart. Selbst Gesamtmetall rechnet aber nicht damit, dass Unternehmen ihre Belegschaft vor Gericht bringt.

Der Gewerkschaftsexperte Hans-Peter Müller von der Fachhochschule für Wirtschaft in Berlin glaubt nicht an eine neue Strategie in der politischen Auseinandersetzung. „Dieser politische Streik ist eher ein demonstrativer Akt nach innen: Seht her, wir haben Flagge gezeigt, wir sind noch da, lautet die Botschaft“, sagt Müller.