Aufstieg eines Ausputzers

Buttermilch war früher ein Arme-Leute-Essen. Jetzt ist sie in der Gourmetküche angekommen. Zwei Pluspunkte: wenig Fett und viele Nährstoffe. Das Getränk hat aber noch ganz andere Qualitäten

VON LARS KLAASSEN

Was den einen Wellness bereitet, schlägt andere in die Flucht. Das gilt zumindest für die Buttermilch. Maulwürfe etwa sind keine Freunde der Flüssigkeit. In Kombination mit Molke oder Milch und Knoblauch wird sie nimmtvielerorts in die unterirdischen Tunnelanlagen der Tiere gekippt, um die Tiere damit in die Flucht zu schlagen. Auch Rehe lassen sich mit Buttermilch vertreiben. Um Pflanzen vor ihren hungrigen Mäulern zu schützen, können sie mit dem Erfrischungsgetränk besprüht werden. Fünf Liter reichen für 5.000 Stiefmütterchen. Wer das Wild lieber gleich erlegt, ist mit Buttermilch ebenfalls gut bedient. Ihre chemische Beschaffenheit eignet sich gut, um frisches oder abgehangenes Wild einzulegen, wenn dessen strenger Geschmack doch mal gemildert werden soll. Und wo wir schon bei Haushaltstipps sind: Gegen Kalkflecken auf Badewanne oder Waschbecken hilft das Wundermittel natürlich auch.

Ihren guten Ruf verdankt die Buttermilch jedoch anderen Qualitäten: Sie ist reich an Nährstoffen und zugleich fettarm – anders als die „gute“ Butter. Dabei ist das Getränk nur ein Abfallprodukt bei der Produktion des Brotaufstrichs. Ihre Basis ist die eiweiß- und mineralreiche Milchflüssigkeit, die dabei übrig bleibt. Milchsäurebakterien besorgen den Rest, sie wandeln die Flüssigkeit in Buttermilch um. Wird bereits angesäuerter Rahm verwendet, sind nicht einmal die Bakterien vonnöten, der Gärprozess nimmt auch so seinen Lauf.

Das Ergebnis: Buttermilch kann bis zu 91 Prozent Wasseranteil haben, aber beinhaltet nahezu den vollständigen Gehalt aller Nährstoffe, die auch in Milch zu finden sind. Anders als bei Milch oder gar bei Butter beträgt ihr Fettgehalt maximal ein Prozent. Was als „Buttermilch“ deklariert ist, kann mit Zusätzen von bis zu 10 Prozent Wasser oder 15 Prozent Magermilch oder Milchpulver versehen sein. Dabei handelt es sich um Milch, der ein Säuerungsmittel, etwa Streptococci-Bakterien, zugesetzt wurde. Lediglich „Reine Buttermilch“ hat garantiert keine Zusätze.

Solche Details interessieren Dieter Bohlen wohl kaum. Deshalb hat er es vermutlich auch mit seinem flotten Spruch nicht so genau genommen: „Buttermilch wird von 50-jährigen alternativen Biolatschenträgerinnen gekauft“, behauptete der Unterhaltungskünstler. Es sei klar, „dass die nicht unbedingt Produkte kaufen, auf denen meine Rübe prangt“. Deshalb hatte die Molkerei Alois Müller auch kein Interesse mehr daran, die Rübe des 51-Jährigen abzubilden, um Buttermilch zu bewerben. Der Streit ums fettarme Produkt drehte sich um fette Summen: Bohlen klagte die Zahlung seines restlichen Honorars in Höhe von 500.000 Euro ein. Müller forderte die bereits gezahlte Vergütung von 900.000 Euro zurück. Bevor es zur Verhandlung am Landgericht Augsburg kam, einigten sich die Kontrahenten gütlich. Über die Form der Einigung vereinbarten beide Seiten Stillschweigen.

Uneinigkeit herrscht nach wie vor zwischen Müller und Greenpeace, weil die Umweltschützer so gar nicht schweigen wollen: Als „Gen-Milch“ bezeichnen sie die Produkte des Konzerns, der mit einem Umsatz von 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2003 die Nummer drei in der deutschen Molkereibranche ist. Betrachtet man nur Milchprodukte ohne Butter und Käse, ist Müller mit einem Marktanteil von 18 Prozent sogar mit Abstand Marktführer. In einer juristischen Auseinandersetzung hat Greenpeace die richterliche Erlaubnis erhalten, das böse Wort zu verwenden. Die Begründung: Weil Müller Milch von Kühen verarbeitet und verkauft, die zum Teil genmanipulierte Futtermittel im Trog haben, sei die Bezeichnung „Gen-Milch“ zulässig. Schließlich liege „unabhängig von einer späteren Nachweisbarkeit ein von Gentechnik betroffenes Produkt“ vor. Der Begriff sei damit vom Recht auf freie Meinungsäußerungen gedeckt und stelle keine Tatsachenbehauptung dar.

Tatsachen oder nicht: „Gen“ macht sich im Zusammenhang mit Wellness überhaupt nicht gut. Deshalb ist die Buttermilch aus dem uckermärkischen „Ökodorf Brodowin“ auch so gefragt. In der Meierei des Demeter-Betriebs fallen täglich rund 50 Liter an. Bei der Butterproduktion im klassischen Fass bleibt das Getränk übrig. Es wird ausschließlich an Bäckereien verkauft.

Eine der kleinsten Molkereien Deutschlands führt Familie Bentrup. Dort werden wöchentlich gerade mal 120 Liter Buttermilch produziert. Die werden traditionell in Handarbeit gemacht. Da wird noch persönlich im rotierenden Butterfass geprüft, ob die Butterkrümelchen schon die richtige, nämlich Erbsen-Größe haben. Bevor die Flüssigkeit ins Butterfass kommt, wird sie mit den Bakterien-Kulturen versetzt und 12 bis 14 Stunden auf 13 Grad Celsius gehalten. Die strengen Hygienevorschriften werden auf dem Hof regelmäßig kontrolliert, denn Bentrups verzichten auf das abschließende Ultrahocherhitzen. „Damit die Eiweiße sich nicht verändern, nehmen wir uns mehr Zeit auf niedrigerer Temperatur“, erläutert Seniorchef Ewald Bentrup. Nach 30 Minuten auf 60 Grad ist die Buttermilch fertig. Weil sie nicht so lange haltbar ist wie industriell erzeugte Produkte, wird die Ware nur in der Region verkauft. Bei Bentrups gibt es neben der klassischen auch eine Erdbeer-Buttermilch. Die Traditionalisten sind mit ihrer Kombinationslust nicht allein.

Im „Suppengrün“, wo Büroarbeiter in Berlin-Mitte ihr Mittagessen an Stehtischen löffeln, steht Karottensuppe mit getrockneten Tomaten und Buttermilch auf der Karte. Das ist nur eines von mehreren Rezepten, bei denen Inhaber und Koch Hagen Franke auf diese Zutat zurückgreift. Matthias Buchholz, Sternekoch im „Firstfloor“ des Hotel Palace Berlin, kreiert Avocado-Dip mit Buttermilch, Apfelsaft, Balsamico und Geflügelfond. Das sind Höhepunkte einer steilen Karriere: vom Arme-Leute-Essen in die Gourmetküche. Vor 100 Jahren war Buttermilch in deutschen Küchen sehr verbreitet, weil sie so billig war. Das „Universal-Lexikon der Kochkunst“ aus dem Jahr 1907 führt eine Reihe von Rezepten für Buttermilch-Suppen auf. Brot, Graupen und Bohnen waren gängige Zutaten, die der Speise Volumen gaben.

Das ist bei Wellnessfreunden meist nicht mehr gefragt. Heutzutage sind Buttermilch-Shakes angesagt, die mit verschiedensten Obstsorten angereichert werden. Leicht soll es sein. Schließlich wäre es sonst schade um den geringen Fettgehalt. Axel Maria Klaus meint es ganz ernst: In den 40 Tagen der jährlichen Fastenzeit nimmt er lediglich je ein Glas Buttermilch zu sich. Nachahmern rät er aber zur Vorsicht: „Das sollte nicht ohne ärztliche Beratung vonstatten gehen!“ Damit zu viel nicht zu wenig wird, empfiehlt sich die Kombination mit anderen kulinarischen Genüssen.