Sehr gefährlicher Vergewaltiger frei

Er hat neun Mädchen gequält. Jetzt kommt er frei, weil die Sicherungsverwahrung erst später eingeführt wurde

Die Nazis führten die Sicherungsverwahrung 33 für „Gewohnheitsverbrecher“ ein

BERLIN taz ■ Ein Sexualstraftäter sorgt für Streit zwischen Berlin und Potsdam. Der heute 42-jährige Uwe K. hatte von 1992 bis 1995 im brandenburgischen Falkensee neun Mädchen gequält und vergewaltigt. Am 25. Januar wurde er aufgrund einer Gesetzeslücke entlassen, obwohl er immer noch als gefährlich gilt.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) macht Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) dafür verantwortlich, weil sie die Gesetzeslücke nicht rechtzeitig geschlossen habe. Diese entgegnet in einem der taz vorliegenden Brief, das Land habe viel zu spät auf die Dringlichkeit hingewiesen.

Der Streit hat historische Wurzeln. Die Sicherungsverwahrung wurde 1933 von den Nazis eingeführt. Sie ermöglichte es, einen „Gewohnheitsverbrecher“ auch nach Verbüßung der Strafe in Haft zu lassen, um die Allgemeinheit zu schützen. Nach dem Krieg blieb das Instrument in Westdeutschland im Wesentlichen bestehen, während es das Oberste Gericht der DDR 1952 als „inhaltlich faschistisch“ beurteilte und für ungültig erklärte.

Nach der Wiedervereinigung wurde das westdeutsche Sanktionssystem auch in der DDR eingeführt – mit nur einer Ausnahme: die Sicherungsverwahrung wollte man weiterhin nicht haben. Sie wurde im Osten erst 1995 eingeführt – auch unter dem Druck der reißerischen Medienberichterstattung über Sexualdelikte. Für Altfälle wie Uwe K. besteht nun allerdings eine Gesetzeslücke. Denn zum Zeitpunkt seiner Verurteilung durfte eine anschließende Sicherungsverwahrung noch nicht verhängt werden.

Diese Lücke schloss auch die 2004 bundesweit eingeführte „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ nicht. Sie erlaubt, Täter nach Verbüßung der Strafe weiter in Haft zu lassen, wenn sich die andauernde Gefährlichkeit erst während der Haftzeit herausstellt. Verlangt werden hierfür aber neue „Tatsachen“, die erst nach der Verurteilung erkennbar sind.

Zypries wirft Brandenburg nun vor, es habe gar nicht versucht, den Fall Uwe K. bis zum Bundesgerichtshof (BGH) zu tragen. Allerdings weist der Brandenburger Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg zu Recht darauf hin, dass der Antrag beim BGH keine Chance gehabt hätte.

Die Justizministerin ist durchaus bereit, die Gesetzeslücke zu schließen. Vom Fall Uwe K. und dessen Entlassung erfuhr sie jedoch erst Ende Dezember vergangenen Jahres von der Potsdamer Staatskanzlei. Sie verspricht nun „schnellstmöglich“ eine ergänzende Regelung auf den Weg bringen. Für bereits entlassene Täter wie Uwe K. würde die von Zypries angestrebte nachträgliche Norm zur Sicherheitsverwahrung jedoch nicht gelten.

Offenbar wurde nicht nur Zypries vom Fall Uwe K. überrascht, sondern auch die brandenburgische Polizei. Sie nahm den frisch Entlassenen bis Dienstag und für maximal vier Tage in Polizeihaft, um Zeit für eine Gefährdungsanalyse zu erstellen. Das Ergebnis könnte sein, dass K. eine polizeiliche Rund-um-die-Uhr-Überwachung bekommt – so wie seit einiger Zeit der entlassene Frauenmörder Frank O. im sachsen-anhaltinischen Quedlinburg. CHRISTIAN RATH