Zackig wie Champagne

TEXT UND FOTOSADRIENNE WOLTERSDORF

Der Mann in Uniform – der spritzig hin und her rennt, lacht, Hände schüttelt und Schultern klopft – heißt Champagne. Man kann sich vorstellen, dass es mit ihm sogar Spaß machen könnte, hinter Sandsäcken zu liegen. Er ist der Kumpel, den man neben sich wünscht, wenn es brenzlig wird. Einer, der nichts dabei findet, seine Pflicht zu tun und gute Laune zu haben. Er ist der Vizekommandant der 4. Brigade der 1. Infanteriedivision, Oberstabsfeldwebel Jim Champagne, 39. Er beglückwünscht einige seiner Männer zum neuerlichen Abmarschbefehl in den Irak. Mit seiner Brigade gehört Champagne zu den ersten Soldaten, die im Rahmen der neuen Irakstrategie des US-Präsidenten die amerikanischen Truppen dort verstärken werden.

Gerade hat die Militärkapelle von Fort Riley, der drittgrößten US-Armeebasis in den USA, den „Big Red One Song“, das Lied der 1. Division, geschmettert. Die Abmarschzeremonie findet trotz schönsten Wetters in der Sporthalle des Forts statt. Draußen auf dem Busparkplatz gibt eine Kanone Salutschüsse ab. Drinnen sitzen auf Klappstühlen Honoratioren und Familienangehörige der Soldaten. Nach einigen holprigen Reden über Pflicht und Vaterland und dem feierlichen Einrollen der Brigadestandarte dürfen alle aufstehen und sich aus khakifarbenen Plastikkanistern pinkfarbene Limonade holen.

So zackig, wie Champagne erzählt, dass es für ihn die vierte Tour in diesem Krieg ist, so pfeffrig riecht sein Aftershave. Er hat schon in Afghanistan und im Irak gekämpft und scheint sich auf den bevorstehenden Ausflug irgendwie zu freuen: „Ich habe ein fantastisches Team, das Training im Nationalen Trainingszentrum hier war hervorragend.“ Rund 40 Prozent der 3.500 Männer und Frauen, die er in diesen Tagen ins Zweistromland führen wird, sind erfahrene Soldaten, die Übrigen Greenhorns.

Für ihn und seine Frau, „Oberstabsfeldwebel Lisa Champagne“, wie er betont, sei es „Routine“, zu Einsätzen zu starten. Auch sie sei schon auf drei Touren gewesen. Der einzige Bedenkenträger ist der elfjährige Sohn. „Jetzt fängt er langsam an, uns härtere Fragen zu stellen, manchmal ganz schön tough“, sagt Champagne und lacht. Natürlich gucke die ganze Familie jeden Abend gemeinsam Nachrichten. Dem Gerede um den Irakkrieg schenkt er aber nur wenig Gehör. „Das sollen die entscheiden. Wir Soldaten machen so lange den Job.“

Für weitere Diskussionen hat Champagne keine Zeit mehr. Wie seine Soldaten muss auch er noch eine ganze Menge erledigen. Vergangenen Donnerstag und Freitag standen Papierkram und Impfungen auf dem Programm. Die Militärgeistlichen hatten alle Hände voll zu tun, denn die 3.500 Männer und Frauen mussten ihr Testament machen, Vollmachten erteilen, Versicherungen aktualisieren und sich entscheiden, ob sie im Falle eines Falles Organe spenden wollen. Die Armeeleitung hat aus vergangenen Schicksalsschlägen einzelner, schlecht organisierter Angehöriger gelernt. Anders als früher umsorgt das US-Militär die Soldaten und ihre Familien heute bei allem, von Entschuldungen über Ehekrisen bis hin zur Kindererziehung. Das gebe innere Ruhe, heißt es.

Der Offizier im medizinischen Dienst Brian Wood, 34, will deshalb die letzten Stunden vor dem endgültigen Abmarsch noch dazu nutzen, Videos für seine beiden Töchter mit Gutenachtgeschichten zu besprechen. Virtuell präsent bleiben, so wie es der Familientherapeut der Brigade empfohlen hat. „Videos, Webcam kaufen, Fotos machen, das tun in diesen Tagen alle Väter von Kleinkindern“, sagt er und schaut sich um in der Sporthalle. An einige Soldatenbeine in Khaki klammern sich kleine Kinder.

Als Wood am 16. Januar – wenige Tage nachdem Präsident Bush angekündigt hatte, die US-Truppen im Irak aufstocken zu wollen – seinen Abmarschbefehl erhalten hatte, fuhr er weinend nach Hause. „Wir sind jetzt an einem ganz entscheidenden Punkt im Irak“, redet er sich Entschlossenheit ein. Seine Frau Glenda, 34, hat weniger Zweifel. „Wir müssen eben patriotisch sein in diesen Zeiten“, sagt sie und richtet sich auf. „Jemand muss ja für unsere Freiheit kämpfen, wir müssen uns vor Terrorismus schützen.“ Während Brian Wood davon erzählt, wie unwichtig die kleinen Alltagssorgen angesichts des Iraks werden, wie besonders süß er Kennedy und Jessica, die beiden Mädchen, jetzt in jeder Sekunde findet, schwärmt Glenda vom super Familienprogramm für Soldatenangehörige, von den Kinderfreizeiten übers Wochenende im Fort und davon, wie sie sich bei den anderen Strohwitwen aufgehoben fühlt, wenn ihr Mann nicht zu Hause ist. Jessica sagt dann zum Schluss noch, wie traurig sie ist, dass Daddy wieder wegmuss: „Mein Herz wird weinen.“ Brian Wood knuddelt sie dafür herzhaft.

Liebe und Pflicht. Angst und Patriotismus. Vertrauen und Politik. Als gäbe es nicht schon genug Unvereinbares, durchspielen andere Soldaten im 407 Quadratkilometer großen Fort sogenannte Moralisches-Dilemma-Situationen. Die Männer in Kampfmontur, die draußen, im verschneiten Feld, zwischen Containern und kaputten Büroeinrichtungen herumlaufen, werden fit gemacht für die Demokratisierung des Iraks und Afghanistans.

Während die 4. Brigade gemeinsam mit den Irakern ausschließlich kämpfen wird, sollen diese Männer meistens als elfköpfige advisory teams, Beratergruppen, in die neu formierte irakische Arme eingebettet werden. Mit ihrem Spezialwissen als Logistiker oder Operationskoordinatoren treten sie seit 2005 als Mentoren auf, die den afghanischen und irakischen Soldaten zeigen, wie sich eine moderne Armee verhalten soll.

„Mafi muk!“, brüllt der Mann im langen irakischen Männerkleid, das er über einen Skianzug gezogen hat. „Mafi muk!“, ruft Neal Wheatley, 34, und gestikuliert zusammen mit anderen, ähnlich aussehenden Rollenspielern wild herum. Die Männer aus Kansas hoffen, dass sie aussehen wie empörte Iraker. Die „Bürgermeisterszene“ hat gerade angefangen. Ein advisory team stapft durch den Schnee, der Kommandant umarmt den Bürgermeister des orientalisch gestalteten Containerdorfes. Salam alaikum, dann Konversation über den Dolmetscher. Die Amis stürmen kurze Zeit später ein Containerhaus und übergeben den irakischen Gefangenen den irakischen Soldaten. Die tragen zur besseren Erkennung alte US-Wüstenuniformen und blaue Westen und werden auch von Rollenspielern gemimt. Als die Darsteller beginnen, den Gefangenen in den Schnee zu werfen und ihn zu misshandeln, protestieren Neal und die anderen „irakischen Bürger“ lautstark. Jetzt hat der US-Teamchef seinen Trainingsauftritt.

Er soll dem irakischen Bürgermeister und dem irakischen Teamführer mit allem gebotenen Respekt klarmachen, dass Gefangenenmisshandlung nach westlichen Vorstellungen nicht okay ist. Es wird palavert, nach zehn Minuten umarmen sich Ami und Iraker. Die US-Soldaten ziehen ab.

„Mafi muk!“, brüllt Neal noch einmal etwas kraftlos. Gehirnloser Depp!, soll das heißen, hat man ihm gesagt. Der alleinerziehende, arbeitslose Vater einer sechsjährigen Tochter hat erst vor zwei Wochen als „Iraker“ angeheuert. 13,29 Dollar pro Stunde bekommt er von der Armee, besser als Tütenpacken im Wal-Mart draußen vor dem Fort. Die Nachrichten guckt er jetzt mit ganz anderen Augen, erzählt er in einer Spielpause am Lagerfeuer, dass aus einer ausgedienten Öltonne herauszüngelt. Authentisches Accessoire. „Ich verstehe die jetzt auf einmal da unten in Bagdad besser. Die sitzen den ganzen Tag genauso rum wie wir hier. Nee, das ist doch kein Leben.“ Ob er jetzt eigentlich einen Sunniten oder einen Schiiten spielt? So genau weiß er dass nicht.

Nach Kräften bemühen sich Instrukteure, Sprachlehrer, Dolmetscher und eine Handvoll echter Iraker darum, die Verwirrung in den Köpfen der rund 2.300 US-Berufssoldaten zu lichten, die seit Oktober hier als Teamberater trainieren. Die meisten haben schon mehr als ein Jahrzehnt Armee hinter sich. Was sie jetzt lernen müssen, ist das Ding mit dem Irak. Die beiden echten Iraker haben sich völlig vermummt und wollen auf keinen Fall mit der Presse sprechen. Aus Angst, erkannt zu werden, und wegen ihrer noch im Irak lebenden Verwandten. Die US-Armee und von ihr beauftragte Headhunter suchen händeringend nach Irakern, aber nur wenige irakische Greencard-Inhaber wollen ausgerechnet für die US-Armee arbeiten.

Mangels authentischer Quellen erzählen eben irakerfahrene Veteranen, wie der Iraker an und für sich so denkt, fühlt und entscheidet. „Wir wissen, dass zur erfolgreichen Durchführung unserer Mission ein kulturelles Verständnis des Iraks absolut essenziell ist“, hatte am Morgen Zweisternegeneral Carter Ham, Fort-Riley-Chef, erklärt. „Wir versuchen, unseren Soldaten die Komplexität ihrer Operation bewusst zu machen, vor allem müssen sie verstehen, dass sie dem irakischen Volk dienen.“ Sie sollen sich, schärft ihnen Ham stets ein, als eingeladene Gäste verstehen, die den Irakern immer den Vortritt lassen wollen.

Im Sprachlabor, in dem die große Mehrheit der Soldaten ihre aussichtsloseste Schlacht kämpfen, stehen 240 Computer mit dem Selbstlernsprachprogramm „Skill Builder“ für Dari und Arabisch. Kapitän Kenneth Wright, 44, der Intelligence-Officer seines Teams, ringt mit der Aussprache, dem Mikrofon und den irakischen Sätzen. Seit einer halben Stunde versucht er sich einen Dialog aus der Kategorie heikle Konversation einzuhämmern, den er für wichtig hält. Und der geht so:

Irakischer Zivilist in seinem Haus, wild gestikulierend: „Wer bist du?“

US-Beratersoldat, ins Haus eintretend: „Ich bin amerikanischer Offizier.“

Iraker: „Was willst du?“

Soldat: „Wir wollen helfen.“

Iraker, aufgebracht: „Es ist uns unmöglich, die amerikanische Okkupation des Iraks zu akzeptieren!“

Soldat, beschwichtigend: „Jetzt mal langsam. Lassen Sie mich erklären! Unsere Mission ist friedlich. Wir wollen Ihnen helfen, ihre Stadt wiederaufzubauen.“