Kommentar
: Es geht voran

■ Edmund Stoiber will keine neuen Atomkraftwerke in Bayern bauen

Daß hierzulande auf absehbare Zeit neue Atommeiler nicht gebaut werden, ist keine Neuigkeit. Niemand will sie. Niemand braucht sie. Sie rechnen sich nicht mehr. Es gibt schon jetzt zuviel Strom. Das gilt im übrigen für Westeuropa insgesamt. Insofern verkündet Edmund Stoiber im blauweißen Wahlkampf, was eh schon jeder Eingeweihte weiß.

Trotzdem signalisieren die neuen Töne des Oberbayern eine Tendenzwende. Denn es sind erst wenige Wochen vergangen, seit Stoibers Wirtschaftsminister Otto Wiesheu die Kernkraft wie eh und je als „Zukunftstechnologie“ pries und als potentiellen Exportschlager, den allein „unsere gesellschaftlichen Bedingungen“ am Erfolg hinderten. Wenn wir nicht zur Atomenergie stünden, jammerte Wiesheu vor der versammelten Nukleargemeinde, werde auch das Ausland sie nicht bei uns kaufen. Und nun? Nun mag auch sein Chef nicht mehr dazu stehen. Jedenfalls nicht im eigenen Vorgarten.

Es ist die Botschaft hinter der Botschaft, die Hoffnung macht. Stoiber verteilt Beruhigungspillen, und er verteilt sie im Wahlkampf. Als letzte Partei in Deutschland hat nun auch die CSU begriffen, daß der heroische Einsatz für die Atomtechnologie am Wahltag nach hinten losgehen könnte. Der Skandal um die verseuchten Brennelementetransporte zeigt Wirkung.

Jahrelang machten sich Regierungspolitiker in Bonn und München immun gegen die notorisch atomkritische Stimmung im Lande. Unverdrossen kämpften sie für eine Technologie, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr will und deren Zukunftschancen selbst die atomkrafttreibende Stromwirtschaft immer unverblümter in Frage stellt. Diese Phase geht nun zu Ende: Einen Pro-Atom-Wahlkampf wird es in Deutschland in Zukunft nicht mehr geben – von wem auch immer. Angela Merkel, die sich als einsame Kämpferin wacker müht, die lustlosen Stromer zum Jagen (sprich: zum neuentwickelten Europäischen Druckwasserreaktor) zu tragen, gehört zu einer aussterbenden Spezies. Ein Fall für Nostalgiker.

Heinrich von Pierer, Chef des letzten deutschen Reaktorherstellers Siemens, versicherte jüngst vor Arbeitnehmervertretern, der Konzern werde in alle Geschäftsbereiche investieren – nur nicht in solche, für die die gesellschaftliche Akzeptanz verlorengegangen sei. Es geht voran. Gerd Rosenkranz