„Ich will an den Hebeln sitzen“

Klaus Müller (27), grüner Bundestagsanwärter aus Kiel, hat schon in Schleswig-Holstein mitregiert und möchte ab September in Bonn bündnisgrüne Finanzpolitik machen  ■ Von Constanze v. Bullion

Kein Telefon, keine Termine, kein Fax. Die Küche blitzsauber, der Schreibtisch staubfrei. Ein paar Zeitungsartikel hat er noch ausgeschnitten – dann war alles getan. „Bemerkenswert ruhig“ sei es in seiner Wohnung geworden, schon wenige Stunden nach seinem Rücktritt, erzählt Klaus Müller und setzt mit seinem roten Golf zum Überholen an, „das war schon eine beschissene Situation“.

Wie süß der Applaus ist und wie bitter der Abtritt von der politischen Bühne, die Erfahrung hat der Ex-Sprecher des bündnisgrünen Kieler Landesvorstands schon hinter sich. 27 Lenze zählt der aufgekratzte Jüngling, der hinterm Steuer klebt und durch holsteinische Dörfer kurvt. Klaus Müller ist nicht gerade ein routinierter Autofahrer, aber das gehört in seiner Partei ja zum guten Ton. Über Ökosteuern und Beschäftigungspolitik will er heute abend in Oldenburg referieren. Diesmal geht es auch für ihn ums Ganze.

Ein Stühlchen in Bonn soll's sein, Klaus Müller hat Platz 2 der bündnisgrünen Landesliste von Schleswig-Holstein ergattert — und würde bei einem Wahlergebnis von sieben Prozent im Bundestag sitzen. Erstaunlich in dem Alter? Wer den Kandidaten näher betrachtet, wird sich eher wundern, daß er derzeit ohne Amt ist. „Wahnsinnig ehrgeizig“ und „echt begabt“, diese Attribute schreiben ihm gute Freunde zu. Müller sei „machtgeil“ und habe „grüne Ideen verraten“, fluchen indes seine Gegner.

Das war im Mai 1997, als Schleswig-Holsteins Bündnisgrüne sich heillos zerstritten hatten. Weil das AKW Krümmel bleibt, weil die A20 kommt und Frauen- oder Flüchtlingsfragen zurücktraten, wollten die Fundis raus aus dem Kabinett von Heide Simonis. Doch die Rechnung hatten sie ohne den Müller gemacht. „Wenn ich in eine Partei gehe, arbeite ich auch in der Regierung mit“, heißt die Devise des Realos, der „Spontivorstöße und endloses Geschwafel immer ätzend“ fand. Und der nach einer „ziemlich ekligen Auseinandersetzung“ lieber selbst abtrat, als die Koalition platzen zu lassen.

Seither also sitzt er in dieser aufgeräumten Zweizimmerwohnung, sortiert Papierchen und feilt am politischen Comeback. Abends. Am Wochenende. Immer dann, wenn er nicht die kanariengelbe Krawatte anlegt, das großzügig geschnittene Burgundersakko überwirft und losstürmt. Klaus Müller kann Unpünktlichkeit nicht ausstehen, schließlich tickt die Stechuhr in der Investitionsbank Kiel. Banktrainee ist dieser Nachwuchsgrüne, den es ein Lächeln kostet, für sein Kreditinstitut EU-Förderprogramme abzuwickeln und für eine Partei anzutreten, deren Gründer noch am großen Umsturz bastelten.

„Ich will an die Hebel und Politik gestalten“, bekennt Klaus Müller, der „mit der Verbiesterung und dem geschlossenen Weltbild“ grüner Altvorderer „wenig anfangen“ kann. Eine Portion Pragmatismus lag schon in der Wiege, die Mutter ist promovierte Biochemikerin, der Vater Manager eines Tabakkonzers. Anderthalb Jahre USA, Abitur in Wuppertal, dann „Daumen raus und durch Australien“: Im liberalen Speckgürtel der westdeutschen Vorwenderepublik ist Klaus Müller großgeworden. In einer Generation, die ihre Eltern — „mein Vater ist nicht dogmatisch, ich auch nicht“ — schon nicht mehr provozieren konnten mit den Forderungen der Ökopaxe.

Mehr Pax als Öko übrigens, Anfang der 90er sang Klaus Müller gegen Rüstung und Golfkrieg an. Er habe „christlich motiviert verweigert“, viele Freunde studierten Theologie, Klaus entschied sich fürs Irdische. „Was die Welt zusammenhält, ist Geld“, meint der diplomierte Volkswirtschaftler, der die Gorleben-Demo ausfallen ließ, „weil eine Klausur dazwischenkam“, aber in die Friedensbewegung „ziemlich gut reingerutscht“ ist. Daß sein Jahrgang in etablierte grüne Strukturen schliddern konnte, findet er nicht nur von Vorteil: „Die älteren Grünen haben in K-Gruppen politische Kompetenz erworben, wo lernen die Jungen zu diskutieren?“

Klaus Müller hat es gelernt. Mit 20 Jahren saß er im grünen Kreisvorstand Bonn, mit 23 rückte er in den schleswig-holsteinischen Landesvorstand auf, mit 25 Jahren handelte er den rot-grünen Koalitionsvertrag aus. „Natürlich wird einem das auch geneidet“, weiß der Newcomer, den bislang noch sein jungenhaftes Auftreten vom aalglatten Funktionär unterscheidet. Druckreif sind die Sätze, die er hinterm Steuer über Arbeitszeitverkürzung oder „den positiven Nettoeffekt der Ökosteuer“ losläßt. Und es klingt nicht, als sei er eine Niete in Mathe, wenn er die „Lohnnebenkosten der Arbeitgeber in eine Wertschöpfungsabgabe umwandeln“ will oder „mehr Finanzkompetenz für die Kommunen“ fordert.

Draußen tauchen die Klinkerbauten von Oldenburg auf, drinnen im Wagen geht es um „Leistung“ und „Bürgerarbeit“. Daß Klaus Müller seine Hand auf die Zukunftsthemen Arbeit und Finanzen legt, dürfte zum Ticket nach Bonn werden. Nein, dieser junge Mann fürchtet nicht das Rednerpult im Bundestag. Er hat den GAU des Magdeburger Parteitags überstanden, wo er in der Programmkommission saß. Er hat gelernt, Niederlagen „sehr rational zu analysieren“ und „kleine Erfolge nicht gleich kaputtzureden“. Mulmig wird ihm nur, wenn er an das strenge Regime des großen Joschka denkt. Oder an „dieses Scheißleben“, das ihm winkt.

Sicher, 17.000 Mark netto monatlich können einige Wunden heilen. Aber der MdB von morgen scheint nicht zu kokettieren mit seiner „Angst, mich zu verändern“. Nicht mehr ganz normal zum Bäcker gegenüber zu gehen und hinter jedem netten Gesichtern einen falschen Freund wittern zu müssen und „ständig zwischen zwei Leben zerrissen zu sein“, sagt er, „das gruselt mich schon“. Müller hat eine Freundin, und die hat er noch nicht allzu lange, sie ist grüne Pressesprecherin und wird in Kiel bleiben. Eine Wochenendbeziehung führen zu müssen, das würde der Kandidat „schon sehr bedauern“.

Heute abend scheint es, als gräme sich der Mann umsonst. Kein einziger potentieller Wähler hat sich eingefunden, als Klaus Müller den Oldenburger „Schützenhof“ betritt. Daß Bertis Buben an diesem Abend ums WM-Achtelfinale kämpfen, hatte das Häuflein Parteikollegen „total verschwitzt“, mit dem er schließlich essen geht.

Angst vor dem Absturz, zurück in die stille Wohnung? Ach was, sagt Klaus Müller. Das hat ihn sein Lieblingshobby, das Paragliding gelehrt: „Du läufst los, und plötzlich fliegst du. Wenn du keine Fehler machst, kannst du gar nicht abstürzen.“