Opernhaft tödliche Angst

■ Das Spannende im Leben geschieht letztlich doch immer zwischen zwei Menschen: "Die Unschuld der Krähen" (20.45 Uhr, Arte)

Schon der Anfang ist schlimm: Die kleine Paula geht. Dann wacht Georg auf. Ein Kindheits-Alptraum. „Georg hat immer Angst gehabt“, erinnert sich Paula. Da ist Paul schon tot, und Paula setzt mit seinem Sarg auf die heimatliche Hallig über. Georg Finke war bieder und Buchhalter in Hamburg, wurde dann arbeitslos und aus Angst, Paula an die Armut zu verlieren, zum Mörder.

„Die Unschuld der Krähen“ von Horst Sczerba geht auf eine Erzählung von Cornell Woolrich zurück, doch das entscheidende Problem stellt sich anders: Welche Labyrinthe können Regie und Schauspieler in einem Angsthasen, in dessen tödlicher Angst, freilegen? Joachim Król setzt den Georg mit einer depressiven Getriebenheit an, die sich situativ von innen nach außen wendet. Bald werden bei Georg und Paula Auto und Möbel gepfändet; die Räumung der Wohnung steht an. Unter dem Leidensdruck explodiert Georg. Niemand würde das bei so einem Menschen erwarten. Gerade eben noch hat Georg – in Staubmantel und Krawatte sozial ganz Integriertheit – eine Gruppe Obdachloser beobachtet. Als Zuschauer darf man minutiös mitansehen, wie sich diese geistige Vorwegnahme des möglichen eigenen Absturzes in Georgs feingeschnittenes Gesicht einschreibt: Es schließt sich, macht zu. Paula (wunderbar spröde und verletzlich: Nina Petri) versucht es wieder zu öffnen.

Soweit zu den darstellerischen Mitteln. Die Methoden der Regie wirken erst subtil und zum Ende hin opernhaft, was hier kein Vorwurf sein soll. Georgs anfängliche Canossa-Gänge zu Kreditbüros, Leihhäusern und Kirchen enden im Amoklauf. Ganz verhalten (dickes Lob!) wird es spannend. Nie vergißt der flüchtende Georg seine Verantwortung für Paula – es zerreißt einem das Herz. Paulas Gleichnis von der „Unschuld der Krähen“ lief darauf hinaus, daß der Schwarm sich nicht gegen den Falken verteidigt, weil es dieses Mal einen anderen und nicht einen selbst erwischt hat. Georg mochte es nicht.

Horst Sczerbas Film folgt einem langsamen Sterben und bündelt es doch in einem einzigen kurzen Gespräch. Einmal versucht Paula, den verzweifelnden Georg zu beruhigen. „Du weißt gar nicht, wie stark du bist.“ „Doch“, antwortet Georg, „weiß ich. Deswegen habe ich ja so Angst zuzuschlagen, daß ich jemandem weh tue oder die Knochen breche.“ 60 Minuten vor dem Filmabspann ist alles schon entschieden. Dennoch: Wie Paula sich auflehnt gegen die Gewißheit des Endes. Paare und Passanten, Georg und Paula, Paula und der Busfahrer, Georg und der Taxifahrer. Das Spannende im Leben geschieht letztlich immer noch zwischen zwei Menschen.

Ohne Einsatz von Psycho- Blabla bleibt Horst Sczerba sozial genau. Am Ende wären die Toten – man weiß es eigentlich – nicht nötig gewesen. Sautraurig. Anke Westphal