„Der Bürgerkrieg findet ohne die Bevölkerung statt“

■ Die Rebellen kontrollieren das gesamte Gebiet entlang der Grenze zu Uganda, Ruanda und Burundi. Beobachter berichten von Einschüchterung und Repression unter den neuen Herren

„Unsere Truppen sind auf dem Vormarsch nach Bukavu“, verkündete der kongolesische Informationsminister Didier Mumengi am Mittwoch und löste mit diesen Worten bei der Bevölkerung der Provinzhauptstadt des Süd-Kivu eine Panik aus. Doch schon bald entpuppte sich die Meldung als Propagandatrick, und es kehrte wieder Ruhe ein.

Kongos Regierung hat die Städte Goma und Bukavu nicht mehr unter ihrer Kontrolle, genausowenig wie Uvira im Süden an der Grenze zu Burundi. Die Rebellen kontrollieren praktisch das gesamte Gebiet entlang der Grenze zu den Nachbarn Uganda, Ruanda und Burundi. Im Norden rücken die Rebellen der „Kongolesischen Bewegung für die Demokratie“ auf Bunia an der ugandischen Grenze vor.

Die Regierung Kabila in Kinshasa beschuldigt Uganda, zugunsten der Rebellen interveniert zu haben. Sie ruft die Armee und die Bevölkerung der Stadt Bunia inzwischen öffentlich dazu auf, „geschlossen gegen die ausländische Invasion zu kämpfen, den Feind ausfindig zu machen und ihn zu töten“.

In Goma und Bukavu sind die neuen Herren um Normalität bemüht. Die Verwaltungsbeamten wurden in ihren Positionen belassen, die Bevölkerung ist aufgefordert, ganz normal ihrer Arbeit nachzugehen. Nachdem es in Bukavu in der vergangenen Woche zu Plünderungen gekommen war, wurde eine Militärkommission eingesetzt, die für Recht und Ordnung sorgen und Plünderer bestrafen soll. Über einen Notruf können die Bürger im Falle von Plünderungen bei der Kommission Hilfe anfordern. „Aber wozu soll ich bei der Armee anrufen und um Hilfe bitten, wenn es die Armee selbst ist, die bei mir plündert“, klagt ein Geschäftsmann und bringt damit das Hauptproblem der Rebellion zum Ausdruck: das fehlende Vertrauen in der Bevölkerung.

Die Bevölkerung des Kivu war es, die 1996 Kabilas „Blitzkrieg“ gegen das abgewirtschaftete System des Diktators Mobutu ermöglicht hatte. Vom Nordosten her hatte sich Kabilas Rebellion über das ganze Land ausgebreitet, das damals noch Zaire hieß. Seither haben sich die Einwohner der Konfliktregion zwar vom jetzigen Präsidenten des Kongo distanziert und wiederholt ihren Unmut geäußert. Doch ihre Unzufriedenheit über die beherrschende Position der Banyamulenge-Tutsi und die weiterhin andauernde Präsenz ruandischer Truppen war größer.

Die Menschen haben Angst, von den Nachbarländern dominiert oder sogar annektiert zu werden. So ist es nur logisch, daß die Rebellion Berichten aus Bukavu zufolge nicht mit der Unterstützung der Bevölkerung rechnen kann. Wer sich ihr anschließt, wird als Opportunist und Trittbrettfahrer angesehen.

Unter dem Druck, von den eigenen Leuten als Handlanger der Nachbarländer angesehen zu werden, öffneten die neuen Herren inzwischen die Grenzübergänge und ließen Journalisten nach Goma einreisen. Ihnen präsentierte sich eine bunte Mischung von neuen Machthabern. Auf seiten der Rebellion stehen heute Einheiten der Banyamulenge-Tutsi ebenso wie Soldaten aus der Heimatregion Kabilas, die vom einstigen Verbündeten Kabilas, Emile Ilunga, angeführt werden. Unter ihnen sind auch Kämpfer aus der ehemaligen Armee Mobutus, die dann von Kabila „umerzogen“ wurden. Sie sind erfüllt von Rachegedanken gegen Kabila, hervorgerufen durch die „menschenunwürdige Behandlung und Erniedrigung“, die sie in den Umerziehungslagern zu erdulden hatten.

Das ruhige Bild, das sich in Goma bietet, läßt sich auf Bukavu nicht übertragen. Bewohner der Stadt, die nach Öffnung der Grenze aus Ruanda zurückkehrten, berichten von „stundenlangen Verhören“, bevor sie einreisen durften. Beobachtern zufolge herrscht in Bukavu ein Klima der Einschüchterung, Verfolgung und Repression.

Die Lage im Bürgerkrieg zwischen den Rebellen aus dem Osten und Kabilas Regierungstruppen ist durch diese Gemengelage relativ undurchsichtig. Ein Universitätsprofessor aus dem Kivu, der nicht genannt werden will, meint: „Dieser Bürgerkrieg findet ohne die Bevölkerung statt. Sie wird weder um ihre Meinung gebeten, noch ist sie zur Zeit im Rahmen von Kampfhandlungen an der Verschiebung der Front beteiligt. Sollte es sich bei diesem Konflikt wider Erwarten doch um eine rein innenpolitische Angelegenheit handeln, dann sollten wir uns allerdings überlegen, uns abzugewöhnen, jeden unbeliebten Präsidenten mit der Macht der Waffen zu vertreiben.“ Oliver Meisenberg