Zwischen den Rillen: Mamas Muffins
■ Akustischer, als die Blues-Polizei es erlaubt: Alvin Youngblood Heart und Guy Davis
Viele belächeln ihn nur noch, manche haben ihn schon totgesagt. Dabei zeigt der Blues an der Schwelle zum 21. Jahrhundert doch erstaunlich viele Gesichter her, erscheint in seiner Vielfalt zu vital, als daß nur noch ein Platz im Museum rausspringen müßte.
Manchmal ist er ziemlich alt, irgendwie gemütlich und längst jenseits von gut und böse. Dann heißt er B.B. King oder John Lee Hooker. Oder er ist sehr jung, sehr weiß, sehr rockig und sehr erfolgreich. Dann heißt er Jonny Lang oder Kenny Wayne Shepard. Oder er steckt in den besten Jahren (so sagt man), ist schwarz und hat mehr Pop- und Sex-Appeal, als die Blues-Polizei erlauben mag. Dann heißt er Keb' Mo. Oder er ist rauh, primitiv und irgendwie postmodern. Dann heißt er Jon Spencer. Oder er ist weiß, cool und feminin. Dann heißt er Susan Tedeschi oder Sue Foley.
Vor allem aber ist die Renaissance des Blues in den 90er Jahren eine akustische. In der Rückbesinnung auf das, was das Genre einst wachsen und gedeihen ließ – die Worte, die Stimmen, die Rhythmen –, scheint die Zukunft jenseits eitler Selbstdarstellung am Instrument und verzweifelter Crossover-Versuche zu liegen. Und kein anderer verkörpert diese Zukunft so entschieden wie Alvin Youngblood Hart.
Für sein Debüt „Big Mama's Door“ wurde der ehemalige Küstenwachmann aus Kalifornien zwar von der Kritik beiderseits des Atlantik mit Lob überschüttet; auch die Lobbygemeinde des Blues ließ sich nicht lumpen und verteilte im vergangenenJahr Auszeichnungen am Stück, darunter den begehrten „W.C. Handy“-Award für den „Best New Artist“. Das mit viel Bally-Hoo reaktivierte Prestige-Label Okeh indes, das dem Blues in den 20er Jahren unter anderem mit Mamie Smiths Pionierarbeit „Crazy Blues“ erst auf die Beine half, ließ den schwer vermarktbaren Mittdreißiger mit den Dreadlocks einfach links liegen und investierte die großen Budgets lieber in Hipster wie G. Love und potentielle Schwiegersöhne wie Keb' Mo.
Hart zog die Konsequenzen und durfte sich eine neue Company suchen, die „Territory“ hoffentlich zu würdigen weiß. Denn es ist ein Album, das dem Blues (s)ein Mysterium und eine Aura zurückgibt, die längst verschüttet schienen unter dem gängigen Kanon von lauter Leerformeln. Und das dabei noch lässig Genregrenzen transzendiert, ohne in experimentellem Selbstzweck zu verenden.
Blues? Er persönlich weigere sich, „eine derartig eng gefaßte Beschreibung zu akzeptieren“, gibt der Mann aus Oakland zu Protokoll und läßt den Worten große Taten folgen, die seine fast paradoxe Situation festschreiben.
Hart ist einerseits charmanter Purist in der Tradition eines Skip James oder Leadbelly, dessen Mama er hier mit „Sallie, Queen Of The Pines“ inspiriert huldigt. Aber er ist andererseits auch ein radikaler Filou und Freigeist, der für heftige Bauch- und Kopfschmerzen in der traditionell konservativen Blues- Gemeinde sorgen wird, die ihre patentierten Licks und Phrasen will, immer wieder.
Stolpern wird der Vatikan der Blue Notes gleich zum Auftakt von „Territory“ über „Tallacatcha“, ein Lap Steel-Stück, das den Western Swing eines Bob Wills, eines Roy Rogers auf dem Erbe der native americans tanzen läßt. Stolpern wird er zum Schluß über das – im wahren Sinne des Wortes – traumhafte Trance-Instrumental „Underway At Seven“. Dazwischen plaziert Hart aufgeweckten Bluebeat mit Bläsern (“Just About To Go“), Country-Waltz (“Dancing With Tears In My Eyes“) und Country-Blues (“Mama Don't Allow“, „John Hardy“) sowie zwei Songs, die zentral sind für sein weit gefaßtes und doch konzises Konzept: „Countrycide“ ist eine düstere, psychedelisch gebrochene Westernballade aus eigener Feder. Und Captain Beefhearts „Ice Rose“ lebt als elektrisiert-elektrisierendes Instrumental in klassischer Triobesetzung auf.
Auch Guy Davis spinnt auf „You Don't Know My Mind“ gern geeignete Vorlagen fort. Den aus den 20er Jahren stammenden Titeltrack zum Beispiel, eine Art Blues-Pendant zu Smokey Robinsons tragikomischem Versteckspiel „Tracks Of My Tears“. Oder Lead Bellys „Pretty Little Woman“, das sich Davis bei einem Straßensänger in Harlem abschaute.
Seine Stimme ist allerdings ein Bariton, brüchig und rauh, ein Instrument, mindestens so wirkungsvoll wie seine diversen Gitarren, die „Grandma“ oder „Black Betty“ heißen. Auf seinem dritten Album spannt der Mann von der Ostküste den stilistischen Bogen zwar nicht so kühn wie Hart. Doch Davis' Blues – ob solo-akustisch oder mit Bedacht für eine kleine Rhythmusgruppe arrangiert – vergißt über der historischen Dimension (“Georgia Flood“) nie die aktuelle Lage, er besitzt soziale Relevanz (“Best I Can“) und strahlt spirituelle Kraft aus. Nicht zu vergessen jene unverhohlene Anzüglichkeit, die den Blues auch groß gemacht hat und hier keineswegs zu kurz kommt. Als Kostprobe empfehlen wir die folgenden Zeilen aus „Home Cooked Meal“, das er sicherheitshalber lieber gleich seiner Gattin gewidmet hat. „I love to eat her muffins, they look so nice and round“, gurrt Davis. „I love to eat her puddin', it feels good going down.“ Jörg Feyer
Alvin Youngblood Hart: „Territory“ (Rykodisc/Rough Trade)
Guy Davis: „You Don't Know My Mind“ (Red House/Fenn)
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