: Der Sozialismus fährt im Westerwald spazieren
Einzelkämpfer muß man sein, sehr langmütig und einen alten Robur-Bus steuern können, wenn man für die PDS in einem Land wie Rheinland-Pfalz um Wählerstimmen werben will. Morgen läutet die Ost-Partei offiziell ihren Wahlkampf im Westen ein ■ Von Jens Rübsam und Ute Moschner (Fotos)
Gelegentlich sucht der PDS- Spitzenkandidat Jürgen Locher, 32, Trost bei der SPD. „Es gibt Gegenden hier“, seufzt er schwer und läßt den Blick besorgt durch die klebrige Scheibe des alten Robur schweifen, „da wirst du selbst als Sozialdemokrat verteufelt.“
Draußen zieht der Westerwald vorbei. Wald, Wiesen, feine Dörfer mit lauschigen Namen: Rotenhain, Hahn und Langenbach; feine Häuser und feine Straßen, alles fein. Keine zweistellige Arbeitslosenquote. Kein soziales Elend. An jedem Haus ein Garten, „davon lebt man hier“, heißt es. Es heißt auch, der Westerwald habe den größten Bevölkerungszuwachs von Rheinland-Pfalz. Städter aus Köln und Bonn kauften Bauland und zogen her. Bauern verkauften Grundstücke und wurden reich. Eine Grüne klagt: „Selbst uns fehlen im ländlichen Rheinland-Pfalz die Wahlkampf-Themen.“
Was also will hier die PDS? Was wollen hier ein Ex-DKPler aus Bad Kreuznach, eine Sächsin, die jetzt in Bonn wohnt und stolz berichtet, „die Partei war immer für mich da“, und ein 25jähriges Antifa-Kid aus Bielefeld, das in Koblenz Pädagogik studiert und meint, „wenn ich aufhöre, wäre es mit der PDS in Koblenz vorbei“? Was eigentlich wollen Jürgen Locher, der Spitzenkandidat der rheinland-pfälzischen PDS für die Bundestagswahl, Mirjam Lassak, 29, die zweite und Jan Kroll, der fünfte auf der Landesliste? Die Partei hat sie nominiert und auf Wahlkampftour geschickt – samt einem roten Robur-Bus, eine Art rollender DDR, einem Bus, hergestellt in einem realsozialistischen Produktionsbetrieb, Baujahr Anfang der 80er, Kennzeichen P-DS 98. Locher, Lassak und Kroll wissen nichts voneinander, sie verbindet auch nichts, außer ihrem Parteibuch und dem Wahlkampf.
Knatternd quält sich der rote Robur an diesem milchiggrauen Morgen durch den Westerwald, als wolle er sagen: Es hat keinen Sinn, den Sozialismus hier spazieren zu fahren. In Bad Marienberg schauen die Leute, als sei der Papst vorbeigekommen. Mitten in der Fußgängerzone hält der Robur. „Für eine gerechte Republik“ steht obendrauf, ein Motto, das irgendwie nach Kirchentag klingt, irgendwie aber auch nach Sozialismus. „Ihr habt doch 40 Jahre gefaulenzt“, raunzt ein älterer Herr den PDSlern entgegen. Andere bleiben erst gar nicht stehen. Ein paar Orte weiter, in Hachenburg, fragt ein Mittfünfziger: „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen PDS und DKP?“ Und in der Kneipe am Koblenzer Marktplatz meckern alte Herren, daß „die da drüben doch hochzufrieden sein müssen, da sind Millionen reingepumpt worden“, und daß „wir für die mitbezahlen“.
Erst kürzlich hat eine Wählerbefragung des Berliner Meinungsforschungsinstituts INFO GmbH ergeben: Die PDS ist bei etwas mehr als der Hälfte der Westdeutschen „als SED-Nachfolgepartei negativ stigmatisiert“. 35,1 Prozent halten sie für „eine Gefahr für die Demokratie“.
Es hat angefangen zu regnen. Locher, Lassak und Kroll fahren weiter tapfer durch den Westerwald. Sie sind das, was man als klassische West-PDSler bezeichnen könnte. Locher ist Metallarbeiter in Bad Kreuznach und seit März im Betriebsrat. Er war in der Friedensbewegung, in der Gesellschaft für bedrohte Völker, Mitglied der DKP, Absolvent der DKP-Schule im damaligen Ost- Berlin, „Diplom-Marxist könnte ich mich nennen.“ Er war schon mal arbeitslos, ist aus der Kirche ausgetreten und irgendwann aus der DKP, weil es „unmöglich war, diese Partei zu reformieren“. Sein Lieblingsbeispiel: Der Nürnberger Parteitag, ein Tag nach Tschernobyl. Alles sei Lüge und Propaganda, habe ein Redner geschrien. „Wenn in Moskau jemand formuliert hätte, die Erde ist ein Würfel, dann hätte das auch die DKP vertreten.“ Mirjam Lassak, die zweite auf der Landesliste, hat schon so manches vertreten, die Politik der SED vor allem. In ihrem Ausbildungsbetrieb im Sächsischen wurde sie FDJ-Sekretärin, mit 17 wurde sie Kandidatin der SED, später die Sekretärin des Parteisekretärs; sie war auf der Bezirksparteischule, sie war die letzte Hauptamtliche der SED-Kreisleitung Klingenthal, sie war „vollkommen überzeugt“. Nach der Wende hatte sie sich anhören müssen: „Du bist die erste Kommunistensau, die man hängt.“ Sie ging in den Westen, fühlte sich wohl, weil „hier die Leute viel freundlicher waren“, sie arbeitet jetzt bei der PDS-Bundestagsgruppe und kandidiert für den Bundestag mit dem Charme einer Pionierleiterin. „Ich hatte eine Super-Jugend. Kinderkrippe, Kindergarten, Hort, das Bildungssystem war super. In der DDR gab es viel Positives: Annahmestellen für Sekundärrohstoffe zum Beispiel und daß die FDJler in ihrer Freizeit Bänke anstrichen und den Ort verschönerten.“ Als schön will Jan Kroll, der Jugendiche mit dem Antifa-Anstrich und den kurzen Stoppelhaaren, die DDR nicht gerade bezeichnen, aber „sie war okay“. Einmal war er dort, die Kirche hatte einen Jugendaustausch organisiert. Jetzt ist er in der PDS, weil sie „radikaler ist als die SPD“. Er ist der einzige PDSler an der Universität Koblenz und einer der wenigen Linken im Asta. „Koblenz ist traditionell schwarz“, sagt Jan Kroll und macht eine lange Pause.
Aus dem Robur-Radio kriechen die Pet Shop Boys, „Go West“ klingt es lieblich. Im Jahre acht der Wiedervereinigung ist festzuhalten: Die PDS hat sich auf ihrem Trip in den Westen an der Zonengrenze verheddert.
1990 hatte Gregor Gysi vor Studenten der Westberliner Freien Universität getönt: „Die Politiker werden schon sehen, was sie von der Einheit haben: Die PDS im Westen.“ Sehen konnten die Politiker im Dezember vor allem das Ergebnis der Bundestagswahl: 0,3 Prozent für die PDS im Westen, 11,1 Prozent im Osten, fünf Prozent weniger als noch ein halbes Jahr zuvor bei der Volkskammerwahl. Politikwissenschaftler konstatierten: „Sind Wahlen Indikator gesellschaftlicher Akzeptanz und Relevanz, so zeigen die Erfolge der PDS, daß sie keinen Zugang und keine Antworten zur westdeutschen Gesellschaft gefunden hat.“
Die Wahlergebnisse der West- PDS lesen sich tatsächlich wie Preise auf Aldi-Werbezetteln: 0,5 Prozent bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen 1991. 4,4 Prozent bei der letzten Bundestagswahl, davon 1 Prozent im Westen. Nur dank dreier Direktmandate in den neuen Ländern zog die PDS in den Bundestag ein. 1995 erzielte Gysis- Truppe 2,37 Prozent bei der Bremer Bürgerschaftswahl und 4,6 Prozent für die Bezirksverordnetenversammlung von Berlin- Kreuzberg. Bei der Kommunalwahl in Nürnberg 1996 brachte sie es auf 1,32 Prozent und das, obwohl die Stadt von der Parteispitze für einen „Schwerpunktwahlkampf“ auserkoren worden war. Selbst Gysi mußte bekennen: „Unterschiedliche Kultur, Sprache, Erfahrungen und Geschichte haben sich als Faktoren erwiesen, die wir unterschätzt haben.“ Erfolge hatte die PDS bisher nur dort, wo die DKP einst stark war: 1997 bei den hessischen Kommunalwahlen in Marburg beispielsweise, wo das Bündnis PDS/Marburger Liste 6,2 Prozent holte. Ein Jahr zuvor waren PDSler in die Parlamente von Hannover und Oldenburg eingezogen. Ende vergangenen Jahres fragte Parteichef Lothar Bisky die Delegierten auf dem Landesparteitag der PDS Baden-Württemberg: „Wie wollt ihr denn aus der Westsackgasse herauskommen? Der einzig gangbare Weg für mich ist die landespolitische Verankerung.“
Vielleicht. Nur wie? 2.527 Mitglieder hat man in den alten Bundesländern, in Rheinland-Pfalz gerade mal 100. Gysi, Bisky, eine Dame, die dem radikalen Block vorsteht und im günstigsten Fall noch Modrow sind bekannt. Wer in Rheinland-Pfalz in diesem Jahr PDS-Spitzenkandidat ist, weiß niemand im Westerwald. Der Bürgermeister von Neuwied, einer für pfälzische Verhältnisse großen Stadt, will nicht mal wissen, daß es hier eine PDS gibt. Und wenn, „können die bestimmt Skat zusammen spielen“. Der CDU-Vorsitzende des Kreises Neuwied vermutet, „alle pfälzischen PDSler haben in einer Telefonzelle Platz“.
Bei der Rheinpfalz, Helmut Kohls Heimatzeitung aus Ludwigshafen, steht die PDS zusammen mit DVU und den „Republikanern“ auf einer Liste der als Anzeigenkunden unerwünschten Parteien. Als der 1. FC Kaiserslautern 1997 den Wiederaufstieg in die Bundesliga schaffte, durfte der PDS-Landesverband per Annonce gratulieren. Dieses Jahr aber, die Roten Teufel waren Deutscher Meister geworden, lehnte die Verlagsleitung einen bezahlten Glückwunsch ab. Begründung: „Es ist Wahljahr.“
In sechs Wochen ist Bundestagswahl. Morgen startet die PDS in Köln mit Deutschrock aus Thüringen und einer Breakdance- Show in ihren Wahlkampf West. „Banane“ findet ein führendes PDS-Mitglied die Aktion. In allen Westbundesländern, außer Nordrhein-Westfalen, seien Ferien, die West-Kandidaten seien im Urlaub, potentielle Wähler aus den großen Werken wie Audi, BASF und ABB sowieso. „Für mich“, frotzelt der PDSler, „wird das höchstens ein Anstandsbesuch“.
Wie für Locher, Lassak und Kroll, die drei rheinland-pfälzischen Bundestagskandidaten, die Tour im Nostalgie-Bus ein Anstandsbesuch ist. Locher wäre längst im Urlaub, wäre nicht just in diesen Tagen der alte Robur frei gewesen. Lassak hat heute eigentlich nicht viel Zeit, sie muß in zwei Stunden zurück nach Bonn. Kroll hätte eine Klausur schreiben müssen, „aber Politik ist jetzt wichtiger“. 1,2 Prozent wollen die PDS- Pfälzer in ihrem Land holen, 1994 waren es 0,6 Prozent. „Wir dürfen uns nicht auf die Verteidigung von Minderheiten und Themen beschränken, die die Bevölkerung allenfalls marginal berühren“, sagt ein Mitglied des Landesvorstandes.
Daran halten sich brav die drei fahrenden PDSler. Statt Sozialismus-Parolen und Antifa-Sprüchen, wird in Bad Marienberg, Hachenburg und Koblenz von den Renten geredet und über eine Regelarbeitszeit von 35 Stunden pro Woche. „Arbeitszeitverkürzung“, predigt Jürgen Locher, „kann mehr Arbeitsplätze schaffen.“ Was außerdem gut ankommt im Westerwald: Lochers strikte Ablehnung der 0,0 Promille-Grenze für Autofahrer, die seine Partei fordert. „Das halte ich für weltfremd.“ Es fällt auf, daß Locher pro Stunde mindestens einmal betont, er komme aus einem Weinland und daß zu einem guten Essen ein guter Wein gehöre. Man weiß nie so genau, ob der Spitzenkandidat jetzt nicht lieber bei einem Riesling sitzen würde, als auf den Straßen der Westerwälder Kleinstädte zu stehen, wo er verzweifelt versucht, Leuten Faltzettel in die Hand zu drücken.
Warum, so fragt man sich nach diesem Tag, tun sie sich das an? „Weil es unerträglich ist, zu Hause zu sitzen, sich über die ganze Scheiße, die in diesem Land läuft, zu ärgern und nichts zu tun“ (Locher). „Weil wir im Westen totgeschwiegen werden“ (Lassak). „Weil es gerechter zugehen muß. Weil der Mensch wieder in den Mittelpunkt der Gesellschaft rücken muß und nicht das Geld“ (Kroll). „Weil ich an den Sozialismus glaube.“ Das sagen alle drei.
Nun ist das, wie man weiß, mit dem Glauben so eine Sache.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen