■ Die geplante europäische Superliga wird das Fußballgeschäft komplett umwälzen. Profitieren werden vor allem die Medienkonzerne
: Neues vom Kapitalismus

Noch vor wenigen Monaten hatte sich Uefa-Präsident Lennart Johansson die Zukunft völlig anders vorgestellt. Fifa-Boß wollte er werden und dann dem Weltfußball einen genuin europäischen Stempel aufdrücken. Aber die Sache ging schief. Erst wurde Joseph Blatter unter dubiosen Umständen zum neuen Chef des Weltverbandes gewählt, und jetzt wollen die europäischen Topklubs der Uefa auch noch ihr liebstes Spielzeug wegnehmen: den Europacup. Dabei hatte Johansson gerade die Champions League im Fifa-Wahlkampf pausenlos als Prototyp für emsiges Geldscheffeln gepriesen.

Ganz hübsch, aber nicht genug, halten die Manager der Spitzenvereine dagegen. Ihnen geht die Entwicklung der Champions League zur echten Europaliga viel zu langsam voran. Die Uefa ist für sie lediglich einer mehr, der abkassieren will. Einer zuviel, genauer gesagt. In zwei Jahren, so erklärt Uli Hoeneß im Focus-Interview, wird eine Europaliga mit 32 Mannschaften, von denen 16 dauerhaft gesetzt sind, in Betrieb gehen. „Die Einbindung von DFB oder Uefa ist nicht notwendig“, fügt der Manager von Bayern München hinzu. Den alten Organisationen des Fußballs droht der Sturz in die Bedeutungslosigkeit. Im Einklang mit der Gesetzgebung in einem vereinten Europa nimmt der Profifußball seine Vermarktung selbst in die Hand, Uefa und DFB dürfen sich perspektivisch auf die Nationalmannschaften und die Ausrichtung der Europameisterschaft konzentrieren.

Die Uefa steht ihrer Abservierung hilflos gegenüber. Die Drohung, jene Vereine aus den nationalen Ligen auszusperren, lassen die Initiatoren der Superliga kalt. Sie wissen, daß keine nationale Liga freiwillig auf ihre populärsten Teams verzichten wird. Wahrscheinlicher ist, daß sich die gesetzten Europaligaklubs früher oder später selbst aus den nationalen Ligen verabschieden und nur noch in der Europaliga antreten.

Bislang sind die 16 festen Mitglieder nach Informationen der italienischen Zeitung Tuttosport Inter und AC Mailand, Juventus Turin, Manchester United, Arsenal, FC Liverpool, Borussia Dortmund, Bayern München, Paris St. Germain, Olympique Marseille, Real Madrid, FC Barcelona, Ajax Amsterdam, Panathinaikos Athen, RSC Anderlecht und Benfica Lissabon. Man kann davon ausgehen, daß langfristig noch mindestens 16 weitere Gesetzte hinzukommen und insgesamt mit 48 oder 64 Mannschaften gespielt wird. Während die Verbände hartnäckig darauf beharren, daß die Basis des Profifußballs das System von Auf- und Abstieg sowie sportlicher Qualifikation sein muß, sind die Spitzenvereine nicht mehr bereit, sich solchen Unwägbarkeiten zu unterwerfen. Wer Millionen umsetzt, riesige Superarenen baut, in diverse Wirtschaftszweige investiert und an der Börse gehandelt wird, kann nicht riskieren, plötzlich zwei Jahre nicht im Europacup zu spielen und Unmengen Geld zu verlieren, so wie es dem AC Mailand widerfuhr. Die Strukturen in den Verbänden hindern das Kapital in Europas Fußball sozusagen, sich auch wie Kapital zu verhalten. „Von Vermarktung keine Ahnung“, nennt es Leverkusens Manager Reiner Calmund bezüglich des DFB.

Es geht ums Geld. Fast 60 Millionen Dollar soll der Gewinner der Superliga erhalten, jedem Teilnehmer soll die das Projekt betreibende Agentur Media Partners und deren Finanzier, die US-Bank JP Morgan, rund 23 Millionen Dollar pro Spielzeit garantieren. Das ist mehr, als Real Madrid als Champions-League-Sieger kassierte. Bei diesen Summen wird jeder Manager schwach, und es bleibt abzuwarten, ob die Klubs vorsichtig genug sind, sich nicht in die Hände von Investoren zu begeben, die den Fußball als pure „Money-Making-Machine“ (Uli Hoeneß) verstehen.

Bei dem gründerzeitlichen Raubkapitalismus, welcher derzeit im Fußball herrscht, ist diese Gefahr keineswegs von der Hand zu weisen. Während die als Vorbild dienenden US-Profiligen eine gewisse Trennung zwischen Klubs, Ligamanagement und Fernsehsendern praktizieren, deutet vieles darauf hin, daß im Fußball alles in denselben Händen landet – in denen der üblichen Medienmogule nämlich: Murdoch, Kirch, Bertelsmann, Berlusconi, Scheich Al Waled und Co. Diese erwerben Fußballklubs, vermarkten über ihre Agenturen die Wettbewerbe und finanzieren die Sache durch Fernsehverträge mit ihren eigenen Stationen. Auf jeder Seite des Verhandlungstischs sitzt sozusagen ein Kirch. Klubs, die nicht in das Schema von Entertainment und Profit passen, was so ziemlich auf das gesamte Osteuropa zutrifft, bleiben auf der Strecke.

Die Frage ist, wo bleibt der Fußballfan? Antwort: Er muß sich entscheiden, ob er mitspielt oder nicht. Will er Profifußball sehen, muß er die „Geldscheffelmaschinen“ (Berti Vogts) und den Verlust alter Werte in Kauf nehmen. Wenn er, überspitzt ausgedrückt, den Zeiten nachtrauert, in denen die großen Spiele des Jahres noch FK Pirmasens gegen Westfalia Herne oder Barmbek-Uhlenhorst gegen Altona 93 hießen, dann muß er eben zu Altona 93–Barmbek- Uhlenhorst gehen – und hat dabei möglicherweise mehr Spaß als an einem ganzen Champions- League-Abend bei RTL. Borussia Dortmund gucken und so tun, als herrsche noch die heile Welt von Aki Schmidt und Hoppi Kurrat, geht jedenfalls nicht mehr. Show und Glamour, Internationalisierung und Kapitalisierung, VIP-Logen und Sponsorengrüppchen haben den Fußball erobert – das ganze „Harlem-Globetrotters- Zeug“ eben, wie es der Vorsitzende des englischen Fußball-Verbandes, Keith Wiseman, nennt.

Voraussetzung für einen Erfolg der Superliga ist, das weiß auch Calmund, „die sportliche Leistungsfähigkeit“. Mit anderen Worten: Dem Zuschauer muß guter, spannender, engagierter Fußball geboten werden – und zwar leicht zugänglich. Mit Pay-TV-Eskapaden könnten die Murdochs ihr neues Fußballbaby schnell ins Grab schaufeln.

Sicher ist, daß die Einführung der Superliga mit ihren gewaltigen Einnahmen die Spaltung in reiche und arme Klubs rapide vorantreibt. Wer bei den Aufstockungen in den nächsten Jahren den Sprung in den erlauchten Kreis jener verpaßt, die ihren Platz garantiert haben, ist weg vom Fenster und dazu verdammt, in alle Ewigkeit ein Dasein in einer devaluierten nationalen Liga und minderen europäischen Wettbewerben zu fristen. Es sei denn, ein reicher Prinz kommt daher und erlöst das Aschenputtel. Nur dumm, daß dieser dann höchstwahrscheinlich Leo Kirch heißt. Matti Lieske