Pop, komm raus...
: Soundstrom aus der Leitung

■ Einfach runterladen: Music on Demand strebt langsam, aber stetig der Marktreife entgegen

Schöne neue Welt: Wir sitzen am PC, im Hintergrund dudelt das Radio, und plötzlich hören wir ihn: den Sound, der uns bewegt. Mit zwei Mausklicks kommt man ins Online-Kaufhaus und kann das eben gehörte Stück bestellen. Wenige Minuten später hören wir es wieder, diesmal über die Soundkarte unseres PCs...

Music on Demand, so der Name dieser Technologie, wird auf der diesjährigen Popkomm präsentiert. Musik auf Abfrage gibt es im Internet schon länger, bisher freilich als klassischen Online-Versandhandel, wie ihn der US-amerikanische Konzern Music Boulevard (http://www. musicblvd.com) anbietet. Man wählt die Titel am Bildschirm aus, bezahlt per Kreditkarte und bekommt den Tonträger zugestellt. Bei Music Boulevard hat man außerdem die Möglichkeit kurzer Hörproben im sogenannten Liquid-Audio-Format: Sofern die technischen Voraussetzungen (Multimedia-PC, ISDN-Anschluß) erfüllt sind, können die zu bestellenden Titel in eher mangelhafter Tonqualität getestet werden. Der eigentliche Akt des Kaufens freilich läuft dann über Kreditkarte, was viele (zu Recht) aus Datenschutzgründen vor dem Kauf zurückschrecken läßt.

Tatsächlich eine Neuerung dagegen bietet das oben skizzierte Online-Music-Angebot der Telekom (http://www.Audio-onDemand.de): Zum einen werden die Kosten für die Musikübertragung nicht mittels Kreditkarte beglichen, sondern über die Telefonrechnung – die unsichere Übermittlung von Geheimnummern fällt weg. Konzeptionell unterscheidet sich das Programm von den schlichten Online-Versandhäusern, die bis dato marktführend sind: Eine CD wird nicht bestellt und kommt dann Tage später per Post, sie wird in Echtzeit über zwei ISDN-Leitungen auf den heimischen PC übertragen und kann während der Versendung gleich mitangehört werden. Die Datenmenge der bestellten Musik befindet sich dann auf der Festplatte des Käufers, woraufhin dieser eine CD brennen kann, die im CD-Spieler abspielbar ist. Die in der Regel recht dürftige Lautsprechertechnik von Multimedia-PCs wird so umgangen – vorausgesetzt, das aufwendige technische Inventar ist vorhanden.

Die Telekom hat eine Technik entwickelt, die virtuelle Musik Wirklichkeit werden lassen könnte. Die meisten Mängel der bisherigen Anbieter (unsichere Bezahlungsweise, schlechte Tonqualität, lange Ladezeiten) sind behoben, kein konventionelles Kaufhaus wird von multimedialer Verkleidung kaschiert, Musik ist tatsächlich ohne den Umweg über die industrielle CD-Produktion im Netz verfügbar. Sollte sich dieses Prinzip durchsetzen, wären die Folgen für die Musikindustrie enorm: Der gesamte kapital- und materialintensive Vertrieb über Plattenfirmen würde sich zwar nicht auflösen, auf lange Sicht aber neben einem zweiten Markt existieren, der auch unabhängigen Bands erlaubt, ohne nennenswerten Kapitalaufwand weltweit zu veröffentlichen. Dieser Markt, der wenig marktwirtschaftliches Risiko birgt, weckt besonders bei Independent-Labels Interesse für das Telekom- Projekt.

Daß der immaterielle Tonträger trotzdem vorläufig Zukunftsmusik bleibt, liegt einerseits am technischen Aufwand (Multimedia-PC, ISDN-Anschluß, CD- Brenner). Auf der anderen Seite steht einer schnellen Etablierung des Angebots das Repertoire der Telekom entgegen: Streift man über die optisch aufwendigen und demzufolge mit längeren Ladezeiten eher benutzerfeindlichen Seiten, so ist es, als besuchte man einen Plattenladen mit rührend dürftigem Angebot. Das Angebot von Music Boulevard ist da weit anspruchsvoller: Neben einem weitgehend vollständigen Archiv des US-amerikanischen Angebots sind auch europäische Alternative-Titel abrufbar.

Auch in der Preispolitik beweist die Telekom ein barbarisches Musikverständnis: Zu zahlen sind die Übertragungskosten von 23 Pfennig pro Minute sowie der eigentliche Preis der Musik, der an die Plattenfirmen überwiesen wird. Eine CD von 45 Minuten schlägt so beim Online-Kauf mit bis zu 40 Mark zu Buche – merklich teurer als im Laden. Auch die Probeschnipsel zum Reinhören sind aus juristischen Gründen mit 5 Pfennig pro 20 Sekunden nicht, wie im Plattenladen, gratis. Norman Thal von der Telekom kontert dieses Ungleichgewicht mit der Möglichkeit, nicht die ganze CD, sondern nur einzelne Titel zu kaufen – und somit weniger zu zahlen. Noch ist Music on Demand kein Geschäft für die Telekom. Wenn aber die Kinderkrankheiten erst einmal kuriert sind, dann bleibt kein Song auf dem anderen. Falk Schreiber