Kleine Geschenke fördern die Mitgliedschaft

■ Selbständige sind den gesetzlichen Krankenkassen die liebsten Kunden. Um sie zu ködern, verlangen die Kassen nur Minibeiträge. Das Bundesversicherungsamt erhebt schwere Vorwürfe

Berlin (taz) – Es sei letztlich doch alles eine Frage des Konkurrenzdrucks, versucht die Pressesprecherin der Angestelltenkassen zu erklären. Seit der Gesundheitsreform stünden eben auch die Krankenkassen im harten Wettstreit gegeneinander. Stimmt. Im Kampf um die meisten Versicherten scheint den gesetzlichen Krankenkassen jedes Mittel recht. Vielfach locken sie neue Kunden mit Beiträgen, die weit unter den gesetzlich festgelegten Mindestbeiträgen liegen. Die Kassen verzichten so auf Einnahmen im dreistelligen Millionenbereich. Zu diesem Ergebnis kommt das Bundesversicherungsamt (BVA) in Berlin, der Prüfdienst der Krankenversicherung, in seinem Jahresbericht für 1997.

Offenbar, so die BVA, erhoffen sich die Kassen als Gegenleistung, daß die Selbständigen im Gegenzug ihre Angestellten dazu bringen, ebenfalls zu wechseln. Die Prüfer haben herausgefunden, daß Kassen vor allem bei freiwillig Versicherten (Selbständige, Beamte) nicht so genau hingucken. Als Beispiel nennt der Bericht eine einzige Geschäftsstelle einer Krankenkasse, die „270 hauptberuflich selbständige Mitglieder unterhalb der Mindestbemessungsgrenze“ einstufte. Etwa 300.000 Mark Einnahmen seien der Kasse entgangen. Einige Kassen berücksichtigten bei den Beiträgen auch nicht die Einmalzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld bei Beamten und Pensionären. Oder sie umwerben Freiwillige mit Sonderbehandlungen, die sie den gesetzlich Versicherten vorenthalten.

Peter Schmidt, der Chef des Prüfdienstes, sagt, „fast alle“ gesetzlichen Krankenkassen würden mit solchen unlauteren Methoden werben. Allerdings nennt der Bericht keine Kasse beim Namen. Bundesweit werben etwa 270 gesetzliche Krankenkassen um die Gunst der Versicherten. Da wiegt der Vorwurf schwer und wird heftig zurückgewiesen. „Da ist für uns überhaupt nichts dran“, sagt eine Sprecherin der Techniker Krankenkasse. Ihr Kollege von der DAK kann „solche Praktiken ausschließen“. Ein Sprecher der Innungskrankenkassen fordert den Prüfdienst auf, „Butter bei die Fische zu tun“. Auch von den Betriebskrankenkassen will's keiner gewesen sein.

Allein der Pressesprecher des Bundesverbandes der AOK räumt etwas gewunden ein, daß es „Prüfungsbedarf bei der tatsächlichen Einkommensermittlung geben könnte“. Unter den Zwängen des Wettbewerbs würde eine AOK- Geschäftsstelle vielleicht auch mal einen Fehler machen. Die BVA- Prüfer bemängeln, daß die Krankenkassen sich bei der Aufnahme nicht in jedem Fall die Einkommensteuererklärung des Selbständigen zeigen lassen. Als Nachweis genüge ihnen häufig eine Erklärung des Steuerberaters, die nicht immer mit den Angaben des Finanzamtes übereinstimme. Einmal aufgenommen, vernachlässigten die Kassen auch die jährlichen Einkommensprüfungen.

Selbständige sind selten krank und gelten als „gutes Risiko“. Gesetzlich werden sie nicht in eine Krankenversicherung gezwungen. Das gleiche gilt auch für Angestellte, die mehr als 6.300 Mark brutto (Ost: 5.250 Mark) verdienen. Der vorgeschriebene Mindestbeitrag in einer gesetzlichen Kasse liegt im Westen bei 450 Mark (Ost: 370 Mark). Annette Rogalla