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Ariels Traum und Prosperos Schallplatten

■ Theater als Auslaufrille und Endlosschleife: Stefan Puchers „Flashback“ in der Volksbühne

Der freundliche „Tagesschau“- Sprecher Jo Brauner verliest von einer Videoleinwand herab die Topmeldung des Tages: Auf die Sängerin Madonna wurde ein Attentat ausgeübt. Außerdem: „Die USA haben die Deutschen 3:0 besiegt und werden Fußballweltweltmeister.“ So sieht die Zukunft aus: Auf Madonna wird geschossen. Die Vereinigten Staaten festigen ihre Weltherrschaft. Und Jo Brauner behält sein leicht entrücktes Lächeln, das aus Meldungen melancholische Erinnerungsfetzen macht.

Die Gegenwart ist von Anfang an nichts anderes ist als Erinnerung, und die Zuschauer werden in Stefan Pucher Volksbühnen-Inszenierung „Flashback“ auch gleich gewarnt: „Werfen Sie einen letzten Blick auf diesen Ort, bevor er ein Foto ist.“ So ein letzter Blick ist „Flashback“: Stefan Pucher, der junge Off-Regisseur, sammelt in seiner ersten Arbeit an einem großen Theater Jetztzeit-Erinnerungen. Am besten geht das mit Musik. „This used to be my playground, this used to be my childhood memory“: Madonna, von Claudia Splitt – der Sängerin von Madonna Hip Hop Massaker – so schön gesungen, daß man gleich losheulen könnte.

Dieses Theaterstück benimmt sich zunächst wie ein ordentliches Radio: Es klingt gut. Allerdings benimmt sich „Flashback“ nicht wie ein ordentliches Theaterstück: Es gibt zum Beispiel außer der Guckkasten-Bühne von Michael Simon keinen Rahmen, der die aneinandergereihten Momentaufnahmen zusammenhält. Und die neun Schauspieler? Sie schauspielern eigentlich nie. Sondern sprechen namenlos die bezaubernden Texte über das „Weitermachen“ von Rolf Dieter Brinkmann, die Pucher für das Stück zusammengestellt hat. Mal mit Sonnenbrille, mal ohne. Sie sind nur Stimmen – weit weg von ihren Körpern, die sie auf ein großes Sofa oder hinter einem Plattenspieler setzen. Dort frieren sie dann ganz ein, scratchen ihre Text vom Vinyl, und die Stimmen fliegen wie befreite Luftgeister durch den Raum: Ob es das ist, wovon Ariel in Shakespeares „Sturm“ immer geträumt hat?

An der Volksbühne, wo man häufiger mal gesehen hat, wie ein Text zerschlagen und neu zusammengesetzt wird, werden diesmal Schauspieler in ihre Einzelteile zerlegt. Bis sie nur noch Schatten sind, die vor dem flackernden Feuer des Videobeamers tanzen. Auch das fühlt sich einen Moment lang noch viel zu gut an. Bis man begreift, daß Stefan Pucher gar nicht vorhat, seine Schauspieler wieder zusammenzusetzen. Und bis man begreift, daß die Warnung – man möge sich die Gegenwart sehr genau einprägen – sehr ernst gemeint war: Es wird auch weiterhin alles dasein, aber in Einzelteilen. In Zitaten, in Körpergliedern, im Lächeln eines Nachrichtensprechers. Man könnte das Ganze fotografieren. Aber das Foto wäre grauslich anzusehen. So etwas ist nur im Theater auszuhalten und auch dort nur schwer: Ob deswegen so viele Zuschauer bei der Premiere kräftig gebuht haben?

Eigentlich müßten sie immer noch buhen. Denn „Flashback“, dieses schrecklich schöne Theaterstück, hat natürlich kein Ende, sondern macht wahrscheinlich einfach weiter. Es summt leise Melodien vor sich hin, guckt ab und zu traurig aus einem Fenster der Volksbühne und sieht zu, wie auch draußen alles auseinanderfällt. Bis es das nächste Mal auf die Bühne darf. Kolja Mensing

Heute sowie am 22. und 23.10, 19.30 Uhr in der Volksbühne

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