Kommentar
: Drohkulisse mit Restrisiko

■ Rot-Grün verzichtet auf feste Fristen für den Atomausstieg

Es ist schon ein merkwürdiger Fahrplan, den Rot-Grün da entworfen hat. Das Publikum weiß nun, daß der Zug abfährt, aber nicht, wo er ankommt, geschweige denn wann. Die Furcht der juristischen Bedenkenträger vor dem Restrisiko milliardenschwerer Entschädigungslasten wog am Ende schwerer als die Angst der Bevölkerungsmehrheit vor dem Restrisiko eines Super-GAU. Das sagt eigentlich alles über den Mut und die Entschlossenheit der SPD, einen weit über die eigene Anhängerschaft hinaus populären Reformauftrag zügig umzusetzen. Und es sagt viel über das Drohpotential der Konzerne.

Trotzdem, oder gerade deshalb, hätte es schlimmer kommen können. Schon die plakative Umwidmung des geltenden Atomkraft-Fördergesetzes in eines zum Zweck des Atomausstiegs ist entgegen den reflexartigen Protestnoten der Atomkraftgegner nicht geringzuschätzen. Sie wird – jenseits konkreter Stillegungsentscheidungen – ein politisches Eigengewicht entwickeln, das eine erneute 180-Grad-Wende praktisch versperrt.

Zusätzliche Daumenschrauben, die Atomstrom teurer machen und den Betrieb der Meiler juristisch unsicherer, sind fest verabredet. Auch dies ein Beitrag zur „Unumkehrbarkeit“ der Wende. Schröders Angebot an die Atomstromer, sich freundschaftlich auf einen Ausstieg im Gleitflug zu verständigen, ist für sich genommen natürlich naiv – oder unredlich. Der Übergang in eine vegetarische Gesellschaft geht nicht im Konsens mit der Metzgerinnung. Verknüpft mit einer Drohkulisse, die die Konzernherren entscheidend ernster nehmen als die Anti-Atomkraft- Kämpfer, wird daraus eine Strategie: Ein Jahr verhandeln, dann drohen gesetzlich verfügte Ausstiegsfristen.

Das ist, flapsig formuliert, die Methode Holbrooke. Und das unterscheidet diesen dritten Anlauf fundamental von früheren Konsensrunden, bei denen die Stromwirtschaft stets sicher sein konnte, daß die Regierung im Fall des Scheiterns den Lauf der Dinge in ihrem Sinne fortschreibt.

Also alles paletti? Nein. Mit ihrem Verzicht auf die Verabredung einer Ausstiegsfrist in der optionalen zweiten Gesetzesstufe plazierten die Koalitionäre in spe einen brisanten Sprengsatz mitten unter dem künftigen Kabinettstisch. Der könnte hochgehen, wenn sich die Strombosse in den kommenden zwölf Monaten als hartleibiger erweisen als Milošević in den vergangenen Tagen. Gerd Rosenkranz